Ab Donnerstag spielt die Musik. Im 1800-Seelen-Ort werden 70 000 Fans erwartet. Kein Problem für die Bewohner.

Wacken. Der Weg ist so einfach: Von der Autobahn abfahren, immer geradeaus, bis zu dem Dorf, wo die Ortsschilder abgeschraubt sind. Anstelle des gelben Schilds "Wacken" grüßt die Besucher ein über die Straße gespanntes schwarzes Banner mit dem Schriftzug: "Welcome Metalheads" (Willkommen Metallköpfe). Der 1800-Seelen-Ort Wacken in Schleswig-Holsteins Provinz bereitet sich auf das weltgrößte Heavy-Metal-Festival (W:O:A) vor, das am Donnerstag (31. Juli) startet. Wo bis vor wenigen Tagen noch Kühe Gras gefressen haben, verbauen Hunderte Helfer 600 Tonnen Stahl für die Bühnen. Im kleinen Supermarkt müssen Katzen- und Hundefutter Extrarationen Bier und Ravioli weichen. Der Raiffeisen-Turm ist bereits mit einer schwarzen Fahne eingehüllt, auf der das W:O:A-Symbol mit dem Stierschädel prangt.

Hans Kähnert hat keine Angst. Während ein Päckchen Butter und Milch in seine Einkaufstasche im Edeka-Markt wandern, sagt der 78 Jahre alte Rentner: "Endlich ist mal was los im Dorf." Heavy Metal sei zwar nicht direkt seine Musik, "das ist doch ganz schön laut". Aber wenn die heimische Feuerwehrkapelle traditionell zum Auftakt vor Tausenden schwarz gekleideten Metalfans "Auf die Vogelwiese geht der Franz" spielt, steht Hans Kähnert vor der Bühne. Seit dem mehrfach preisgekrönten Dokumentarfilm "Full Metal Village" der Koreanerin Sung-Hyung Cho ist Wacken auch über die Grenzen Schleswig-Holsteins hinweg Kult.

Im Dorf kennt jeder jeden, man engagiert sich im Skat-, Angler- oder Kegelclub - und profitiert vom W:O:A, das heute bis zu acht Millionen Euro kostet. Rund 50 Anwohner der Hauptstraße haben Anträge gestellt, Kuchen, oder Mettbrötchen verkaufen zu dürfen. "Die Kleinen werden wieder mit den Kettcars für ein paar Euro die Bierkisten zum Festivalgelände fahren", sagt eine Kundin. "Dann müssen die Metal-Leute sie nicht mehr wie früher mit Bändern scheppernd die Hauptstraße runterziehen." Während sie das sagt, brettert ein Lastwagen mit Dutzenden Toilettenhäuschen Richtung Festivalgelände. Für ihre Toleranz und Hilfe dürfen die Bewohner sogar einen Tag gratis zu den Konzerten. Dieses Jahr erwartet sie und die 72 500 Teilnehmer mit der britischen Band Iron Maiden eine Ikone der Metal-Szene. Zur 20. Auflage im kommenden Jahr träumen die Organisatoren schon davon, Metallica oder AC/DC in den Kreis Steinburg zu holen.

Torsten Arp, der den 1919 eröffneten Landgasthof "Zur Post" in vierter Generation führt, wird auf dem Festival einen Biergarten mit 4500 Plätzen betreiben. Dabei hatte er früher, wie viele Wackener, seine Probleme mit dem W:O:A. Vorgärten wurden ruiniert, Ortsschilder als Souvenir abgeschraubt. Im Gasthof fand einmal zeitgleich eine Goldene Hochzeit statt, der Jubilar kam vor lauter Freunden harter Musik gar nicht mehr aufs Klo. "Im nächsten Jahr haben wir dann einen Sicherheitsdienst engagiert, dann hat aber einer - während drinnen ein 80. Geburtstag gefeiert wurde - an das Fenster gepinkelt."

Alles Schnee von gestern, sagt er. Jetzt entrümpelt er zum Festival seine Speisekarte - Pfifferlinge und Fisch runter - Currywurst rauf. Heute ist es eine goldene Regel, dass die Fans beim Bäcker, im Supermarkt oder vor Arps Toilette die Einheimischen vorlassen.

Bauer Uwe Trede ist noch nicht in Festivalform. Bis vier Uhr morgens hat er die Einweisung der Helfer gefeiert, mit glasigen Augen öffnet er die Tür. Er gehörte schon immer zu den Befürwortern des dreitägigen Spektakels und hatte auch nichts dagegen, als sein Kumpel beim Dorfarzt eine Liste mit 330 Unterschriften gegen das Festival kurzerhand mitgehen ließ. Als das W:O:A immer größer wurde, bot er sich an, gegen einen "Betrag X" bei den Bauern die notwendigen Kuhweiden anzumieten und die Müllentsorgung zu organisieren. "Dafür brauche ich mittlerweile 600 Leute, die fünf Tage lang alles wieder einsammeln", sagt Trede. Er hat auch ein Beispiel parat, warum Wacken so anders ist: "Letztes Jahr fand ein Mädchen beim Aufräumen einen Geldbeutel mit 400 Euro", berichtet Trede. "Den haben wir dann mit einem netten Brief an die Besitzerin in Lippstadt geschickt."

Dem 68-jährigen Milchbauern und sechsfachen Opa macht nicht nur die Landwirtschaft Spaß, er lebt auch für das Heavy-Metal-Festival und ginge gern als Letzter. "Wenn ich bis vier Uhr bleibe, sind immer noch welche übrig. Und wenig später kommen ja die Ersten schon wieder."