Mehr als 75 000 Fans aus aller Welt feierten sich und ihre Musik - ganz in Schwarz und mit coolen Sprüchen.

Wacken. 9000 Kilometer sind verdammt viel, aber für Arnoldo, der von seinen Freunden "Bones" gerufen wird, kein echtes Hindernis. "Einmal im Leben muss jeder Heavy-Metal-Fan nach Wacken",weiß der 19-jährige Mexikaner und hat sich in seinen Semesterferien auf die Reise ins "Holy Wacken Land" gemacht. Nun ist er am Ziel, steht am Freitagmorgen in eine mexikanische Fahne gehüllt vor der Party-Stage und wartet auf den Auftritt der irischen Band Primordial.

Zu diesem Zeitpunkt, es ist gerade mal elf Uhr, liegen die meisten der etwa 75 000 Metalfans aus aller Welt allerdings noch in oder vor ihren Zelten. Die letzte Nacht war lang und hat auf dem riesigen Campingareal deutliche Spuren hinterlassen. Was hier entlang der mit so martialischen Namen wie "Cannibal Corpse Street oder Death Avenue betitelten Wege an Glas- und Dosenpfand herumliegt, dürfte für die Anschaffung eines Mittelklassewagens reichen und sichert den zahlreichen Sammlern mindestens die nächste Palette des gut gekühlten Wacken Skoal. Es findet in den extra eingerichteten Supermärkten auf dem Festivalgelände reißenden Absatz.

Was auch daran liegen könnte, dass die schwarzen Bierdosen mit dem Büffelschädel-Logo optisch einiges hermachen - und die Optik spielt in Wacken eine große Rolle. Nicht nur bei Bands wie Gorgoroth, die in der Nacht auf Sonnabend wie lebende Tote geschminkt auf der Bühne stehen und - im Hintergrund hängt eine Nackte am Kreuz - wüste Black-Metal-Salven abfeuern. Auch als Fan führt kein Weg am richtigen Outfit vorbei, und das ist in allererster Linie mal schwarz. Ein möglichst abgefahrenes Band-T-Shirt ist eigentlich Pflicht, aber auch coole Sprüche, die häufig mehr als nur einen Kern Wahrheit in sich tragen, sind beliebt. "Ich verachte Jugendliche", bekennt eine Mittvierzigerin, und der schwankende Metalhead mit "Wenn ich sterbe, dann besoffen"-Shirt, ahnt sein Schicksal vielleicht schon voraus. 2800-mal kommen die 370 Sanitäter und 14 Ärzte in den drei Festivaltagen zum Einsatz - die Kombination aus Alkohol und Sonne macht sich deutlich bemerkbar. Wie gut, dass die Regengüsse am Freitag für ein wenig Abkühlung sorgen.

Keine Abkühlung, eher das Gegenteil, suchen indes all jene, die sich im Metal-Markt um die kleine Bühne drängen, sind hier doch mindestens zweimal täglich die Girlz from Hell zu erleben - Stripperinnen, die neue Dessous präsentieren, beziehungsweise zeigen, wie man sich dieser möglichst sexy entledigt. Da laufen nicht nur die Digitalkameras heiß ...

Keine Zeit für derartige Ablenkungen hat Jan Sönksen, der mit seiner Familie an der Wackener Hauptstraße wohnt. Seit 2000 schon bietet er auf seinem Grundstück Speis und Trank an. Besonders sinnig: Das "Hangover Frühstück" mit drei Spiegeleiern auf Toast, Speck, drei Bratwürstchen, Kaffee und Saft für 7,50 Euro. Dem Beispiel des Gelegenheits-Gastronomen sind viele gefolgt: Ob Oma ihre selbst gepressten Fruchtsäfte verkauft oder die zehnjährigen Enkel für ein kleines Entgelt mit dem Bollerwagen Bierkisten gen Campingplatz ziehen: Wer will, kann hier das Geschäft des Jahres machen.

Einige Konzerte des Jahres sind derweil auf den Festivalbühnen zu erleben: Negura Bunget aus Rumänien versetzt mit bis zu 15-minütigen Ambient-Black-Metal-Epen auf der W.E.T.-Stage das Publikum in Trance, die wieder vereinte Death-Metal-Legende Massacre lässt auf der Party-Stage Fanträume wahr werden, und die finnischen Charts-Stürmer Children Of Bodom donnern ihre Riffs so druckvoll von der True-Metal-Stage, dass die Trommelfelle glühen.

An Schlaf ist hier jedenfalls bis in die frühen Morgenstunden hinein nicht zu denken, denn wenn die letzte Band ihre Instrumente ausgestöpselt hat, geht es auf den Zeltplätzen bei unzähligen Privatpartys munter weiter. Aber wer kommt schon zum Schlafen nach Wacken? "Das ist hier wie ein Familientreffen" schwärmt Holy-Moses-Sängerin Sabina Classen aus Hamburg, die bereits zum 17. Mal dabei ist, mit ihrer Band natürlich wieder auftritt und wie so viele das ganze Jahr über den drei brüllend lauten Tagen in der Provinz entgegenfiebert. Einmal im Leben nach Wacken? Das reicht noch lange nicht - und auch "Bones" aus Mexiko wäre am liebsten schon 2009 wieder dabei.