Für eine ihrer wichtigsten Routen sucht DFDS dringend ein neues Schiff. Spezialisten sollen die letzten Brandherde auf der “Lisco Gloria“ löschen.
Kopenhagen/Kiel. Nach dem Brand ihrer Ostseefähre „Lisco Gloria“ sucht die DFDS-Reederei ein Ersatzschiff. „Wir sind ab Mittwoch fast völlig ausgebucht und derzeit auf der Suche nach einem geeigneten Schiff, das wir zusätzlich nutzen können“, sagte Deutschland-Geschäftsführer Heikki Tapionlinna am Montag in Kiel. Da die Route nach Klaipeda eine der wichtigsten für DFDS sei, müsse schnell Ersatz organisiert werden, hieß es am Hauptsitz in Kopenhagen. Zieltermin sei dieser Donnerstag. „Es gibt nicht viele große Schiffe, die ostseetauglich sind und unserer Passagier- und Frachtkapazität gerecht werden“, sagte Tapionlinna. Die 200 Meter lange „Gloria“ hatte auf insgesamt fast 2500 Metern Länge Platz für Fahrzeuge und Anhänger. Zunächst fährt auf der Route nur die „Lisco Maxima“.
Unterdessen haben auf der "Lisco Gloria" am Montagmorgen erstmals Lösch- und Bergungsspezialisten ihre Arbeit aufgenommen. Wie die dänische Seenotrettungszentrale mitteilte, hat sich die Temperatur auf dem südlich der Insel Langeland ankernden Schiff so weit abgekühlt, dass drei Spezialisten an Bord gehen konnten.
28 Menschen wurden bei dem Unglück verletzt, bis auf einen wurden bereits alle wieder aus dem Krankenhaus entlassen, sagte der Deutschland-Geschäftsführer der dänischen Reederei DFDS, Heikki Tapionlinna in Kiel. Er werde noch einige Tage im Krankenhaus in Kiel verbringen müssen, Alter, Herkunft und Geschlecht des Verletzten konnte Tapionlinna nicht nennen.
Die letzten elf Passagiere, die noch in Deutschland waren, seien am Sonntagabend vom dänischen Sonderburg nach Palanga in Litauen geflogen worden. Die meisten Betroffenen haben bereits bis Sonntagmittag die Heimreise angetreten. Das 200 Meter lange Schiff war in der Nacht zum Sonnabend nördlich von Fehmarn bei einer Fahrt von Kiel nach Klaipeda in Litauen in Brand geraten. Als wahrscheinlichste Unglücksursache gab das Kieler Innenministerium am Wochenende ein defektes Aggregat an einem Lastwagen an. Die 236 Passagiere und die Besatzung wurden gerettet und auf die Fähre „Deutschland“ gebracht.
Die drei Spezialisten der niederländischen Bergungsfirma Smit sollen auf dem Wrack zunächst mögliche kleine Restbrände löschen, hieß es bei der dänischen Seenotrettungszentrale weiter. Danach besteht ihre wichtigste Aufgabe darin, das Abpumpen von Löschwasser aus der „Lisco Gloria“ aus den unteren Decks und dem Autodeck vorzubereiten.
Anschließend soll das Schiff in einen Hafen geschleppt werden, um Schäden zu begutachten und die Brandursache zu klären. Wann dies sein wird und um welchen Hafen es sich handelt, steht nach Angaben von DFDS noch nicht fest. Das komme auch auf die Schäden an und ob das Schiff dort repariert werden solle, sagte Reedereisprecher Gert Jakobsen in Kopenhagen.
Das Bundesverkehrsministerium will zunächst die Untersuchungen zum Fährunglück abwarten, bevor über Konsequenzen nachgedacht werde. Dies sagte eine Ministeriumssprecherin am Montag in Berlin. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) werde sich ausdrücklich noch beim Havariekommando in Cuxhaven bedanken, das die nächtliche Rettungsaktion „hervorragend“ koordiniert habe.
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Dem jungen Litauer ist die Todesangst ins Gesicht geschrieben, als er vor dem Kieler Nobel-Hotel Atlantic von dem Feuerinferno auf der Fähre "Lisco Gloria" erzählt. "Ich sah nur Rauch und Feuer", berichtet Vitali Jus. Zwei Landesleute nicken. "Es war Panik überall", sagt der eine. "Immer wieder sind Tanks von Trucks und Autos explodiert", ergänzt der andere. Der Decksboden sei erst warm geworden, dann so heiß, dass er hüpfen musste. "Der Boden glühte."
Alle drei sind voll des Lobes für den Kapitän der Fähre und seine 31 Mann Besatzung, allesamt aus Litauen. "Sie haben uns das Leben gerettet." Großen Respekt zollt auch die Reederei der litauischen Fähre, die dänische DFDS. "Die Rettungsaktion ist gut gelaufen", sagt Sprecher Gert Jakobsen. "Mit dem nötigen Glück haben alle 236 Menschen an Bord die Katastrophe überlebt, die kurz nach 0 Uhr über das Schiff hereinbrach."
Bei bestem Wetter hatte die weiße Fähre, die vor neun Jahren in Italien vom Stapel lief, am Freitagabend um 22 Uhr in Kiel abgelegt. Die Stimmung sei gut gewesen, erinnern sich die Litauer. An Bord seien viele Landsleute gewesen, meist Lkw-Fahrer, dazu einige Dänen, wenige Deutsche. "Wir haben uns alle auf Klaipeda gefreut", sagt der Litauer, der in London Gabelstapler fährt und seine Familie besuchen wollte. Kurz nach Mitternacht wird der Törn vor der Insel Fehmarn zum Horrortrip. Ein Matrose entdeckt bei einem Kontrollgang über das obere Fahrzeugdeck, wie Flammen aus dem Kühlaggregat eines Lastwagens schlagen. Der Matrose versucht verzweifelt, aber vergeblich, das Feuer zu ersticken, alarmiert die Brücke.
Der Kapitän erfasst die dramatische Situation sofort, setzt einen Notruf ab, lässt Schwimmwesten ausgeben und die großen Rettungsboote zu Wasser bringen. Das Feuer breitet sich in Windeseile aus, springt auf dem vollgeparkten Deck von Truck zu Truck. Anicetas Porakis schreckt in seiner Kabine aus dem Schlaf. "Nur mit Unterhosen bin ich auf den Flur gelaufen und habe Rauch gerochen." Der Litauer rennt zurück in die Kabine, holt Papiere und Kleidung, eilt an Deck. Dort gibt es ein großes Durcheinander. Weil über dem Heck die Flammen zusammenschlagen, laufen alle zum Bug.
In letzter Minute können 25 Schüler aus dem litauischen Silute die Feuerfähre verlassen. Die Jungen und Mädchen, 15 und 16 Jahre alt, hatten in Westerstede (Niedersachsen) bei einem EU-Austauschprogramm mitgemacht. "Als das Feuer ausgebrochen ist, haben die Schüler geschlafen", erzählt eine Betreuerin. Ein Hubschrauber des Marinefliegergeschwaders 5 aus Kiel sucht die gut zehn Grad kalte Ostsee mit der Wärmebildkamera ab. Pilot Sebastian Steffens entdeckt plötzlich auf dem Schiff einen Jungen, der wild aus einem Kabinenfenster winkt. Steffens lässt den Rettungskorb herab, in den er hineinkrabbelt - seine Rettung. "Der Junge hatte nur eine Unterhose an", berichtet er. Eine Viertelstunde später liegt er im Arm des "Lopo", des Luftfahrzeug-Operationsoffiziers.
Der Notruf der "Lisco Gloria" verhallt nicht. Der Fehmarnbelt gehört mit mehr als 60 000 Passagen im Jahr zu den am meisten befahrenen Seewegen Europas. Als Erstes erreicht die "Neustrelitz" die Fähre. Das Schiff der Bundespolizei nimmt aus den Rettungsbooten des Havaristen mehr als 100 Unglücksopfer auf, versorgt sie mit Decken und warmen Getränken.
Kurz vor 2 Uhr trifft die "Deutschland" ein. Auf dem Fährschiff befürchtet man das Schlimmste. "So ein Feuer habe ich im Leben noch nicht gesehen", sagt der Erste Offizier Johannes Wasmuth. Die Fähre nimmt die Schiffbrüchigen auf, auch die drei Litauer. "Jetzt wussten wir, wir haben es geschafft", erinnert sich der Balte aus London. Gegen 6 Uhr hat er endlich festen Boden unter den Füßen. Die "Deutschland" macht im Kieler Marine-Stützpunkt fest. Auf das Trio aus Litauen wartet ein Frühstückstisch. Aus der Marineküche kommen frischer Kaffee und warme Brötchen. Vielen Passagieren sitzt der Schreck in den Gliedern, einige haben einen Schock und werden von Seelsorgern betreut. 28 Unglücksopfer müssen in Kliniken behandelt werden, meist wegen Rauchvergiftung.
Vor Fehmarn hat derweil das Havariekommando Cuxhaven die Regie übernommen. Die Krisenzentrale von Bund und Küstenländern war nach der Strandung des Frachters "Pallas" 1998 vor Amrum gegründet worden, koordiniert nach der brisanten Rettungsaktion den heiklen Löscheinsatz. Der Havarist brennt lichterloh, hat aufgrund des Löschwassers aber schon Schlagseite, droht zu sinken. "Wir müssen uns darauf beschränken, die Außenhaut des Schiffs zu kühlen", lautet die Order aus Cuxhaven. Vier Brandexperten entern das Schiff, werfen Anker und stoppen den treibenden Havaristen kurz vor der dänischen Insel Langeland.
Erst am Sonntag erlischt das Feuer auf der Fähre. "Die Reederei will möglichst schnell Leute an Bord schicken und dann über die Bergung entscheiden", so Sprecher Jacobsen. Ziel sei es, das Schiff in einen nahe gelegenen Hafen schleppen zu können.
Das Trio aus Litauen will so schnell wie möglich in die Heimat. Vitali Jus will seinen Fuß allerdings vorerst nicht wieder auf eine Schiffsplanke setzen, lieber nach Hause fliegen.
"Ich will nach Hause und mir was anderes anziehen", sagt er schmunzelnd und zeigt auf seinen Trainingsanzug. Das sei alles, was er habe. Koffer, Handy und selbst seine Uhr musste er zurücklassen. 70 Litauer fliegen am Sonntag nach Litauen. Dem Kapitän und seiner Mannschaft wird ebenfalls ein Flug angeboten. Sie lehnen ab - und gehen auf die Fähre. Mit 113 anderen Passagieren, die nicht fliegen wollten.