Als das Feuer an Bord der Ostseefähre „Lisco Gloria“ ausbrach, schliefen die meisten der 249 Passagiere. Sie konnten nur das Nötigste retten.

Cuxhaven/Kiel. Rund 30 Minuten trieben die Passagiere der Fähre „Lisco Gloria" bei Windstärke 5 in Rettungsbooten in der Ostsee, bis die Retter kamen. Direkt vor ihnen brennt die Fähre über die gesamte Länge, Flammen schlagen meterhoch in den Himmel, immer wieder gibt es kleine Explosionen.

"So ein brennendes Schiff hab ich noch nie gesehen“, sagte Eugen Kube (49), Kapitän der Scandlines-Fähre "Deutschland". Er habe befürchtet, dass das Schiff jeden Moment auseinanderbreche. Die meisten Geretteten seien nur notdürftig bekleidet gewesen, trugen keine Schuhe. Sie wurden offenbar aus dem Schlaf gerissen.

120 Passagiere wurden zunächst an Bord des Bundespolizei-Schiffs „Neustrelitz“ geholt und von dort zur "Deutschland"-Fähre gebracht. „Über die Lotsenpforte in Hauptdeckshöhe haben wir dann alle an Bord geholt", sagt Kube. Dabei mussten sich die Passagiere die Lotsenleiter hochhangeln. Dass dabei niemand zu Schaden gekommen ist, „dafür haben wir und die Mannschaft uns gegenseitig auf die Schultern geklopft“, sagt Kube.

Panik erlebte die Lehrerin einer Schulklasse aus Lettland nach ihrer Rettung: Einer ihrer Jungs fehlte! Der 14-Jährige war im Vorderschiff in seiner Kabine vom Feuer eingeschlossen. Es gelang ihm aber, das Bullauge einzuschlagen und um Hilfe zu winken. Die Besatzung eines Marinefliegers entdeckte das Kind. „Wir sind dann im Schwebeflug angeflogen und haben ihn mit dem Rettungskorb herausgeholt“, berichtete der Hubschrauberpilot. „Es war kalt, der Junge hatte nur eine Unterhose an und war mehr als aufgewühlt."

An Bord der „Lisco Gloria“ waren nach Angaben des Innenministeriums 20 Deutsche. Die anderen Passagiere stammen aus Dänemark, Litauen, Lettland, Argentinien und Russland. Die Besatzung kommt nach Angaben der Reederei aus Litauen. Alle 249 Passagiere konnten gerettet werden, 28 wurden verletzt, darunter auch drei Kinder, ein Säugling und ein Jugendlicher.

Drei Verletzte wurden mit dem Verdacht auf Rauchvergiftung mit Hubschraubern ausgeflogen, die anderen Passagiere wurden auf der „Deutschland“ nach Kiel gebracht. Dort werden sie ärztlich und psychologisch betreut.

Die Löscharbeiten an der brennenden Passagier- und Autofähre "Lisco Gloria" gestalteten sich indessen schwierig. Bis das Schiff ausgebrannt und abgekühlt ist, werden nach Angaben des Havariekommandos noch voraussichtlich zwei bis drei Tage vergehen. Erst dann könne es in einen Hafen geschleppt und weiter untersucht werden, sagte ein Sprecher.

Zunächst war das Feuer mit Löschwasser bekämpft worden, doch dadurch bekam die Fähre, die sich mittlerweile in dänischen Gewässern befindet, Schlagseite. Um ein Sinken zu hindern, wurde dann die Taktik geändert: „Das Schiff wird jetzt an den Seiten mit Wasser bespritzt, um die Außenhülle abzukühlen.“ Alles Brennbare auf dem Schiff solle „gezielt ausbrennen“, sagte der Sprecher.

Ein Hubschrauber setzte ein „Boarding-Team“ auf der „Lisco Gloria“ ab. Die vier Spezialisten verankerten das Schiff, damit es nicht weiter in Richtung der dänischen Insel Langeland trieb.

Eine Gefahr für die Umwelt bestehe aber nicht. „Es scheint zu gelingen, dass das Schiff nicht auseinanderbricht.“ Trotzdem stünden zwei deutsche und zwei dänische Ölbeseitigungsschiffe bereit.

Eigentlich war es eine Routinefahrt, als die „Lisco Gloria“ wie jeden Freitag gegen 22 Uhr in Kiel ablegte. „Ankunft Klaipeda Samstag 20 Uhr“ stand auf dem Fahrplan der Reederei DFDS LISCO. Diesmal endete die Reise nach nur zwei Stunden im Unglück: Das Schiff stand plötzlich in Flammen.

Gegen Mitternacht bemerkte Vitali Jus in seiner Kabine an Bord der „Lisco Gloria“ den Geruch von Rauch. Bereits zum vierten oder fünften Mal war der 24-jährige Litauer mit einem Fährschiff zwischen Kiel und Klaipeda in seinem Heimatland unterwegs. „Ich sah nur Rauch und Feuer“, sagte er. Mehrmals seien kleinere Explosionen zu hören gewesen.

Ein Besatzungsmitglied habe bei einem Rundgang Rauch an einem Lastwagen festgestellt und zunächst einen eigenen Löschversuch unternommen, berichtete der Leiter des Lagezentrums im schleswig-holsteinischen Innenministerium, Joachim Gutt, am Sonnabend im NDR-Fernsehen. Als der Versuch fehlschlug, habe der Mann den Kapitän informiert, der die Rettungsmaßnahmen eingeleitet habe. Die Nähe des Brandherdes zum Tank der Zugmaschine erkläre auch die Explosion.

„Die Leute sind sehr erschöpft, einige sind körperlich in einem sehr schlechten Zustand“, sagte Revierleiter Uwe Marxen von der Kieler Wasserschutzpolizei.

Am späten Abend starteten die ersten Passagiere der Unglücksfähre aber schon wieder Richtung Litauen mit der „Lisco Maxima“.

Der Litauer Jus dagegen wird seine Reise per Bus oder Flugzeug fortsetzen. Er wolle nicht mit dem Schiff nach Litauen fahren, sagt er. Auf seiner Hand haben Einsatzkräfte mit Filzstift seine Kabinennummer festgehalten. „All mein Geld, mein Mobiltelefon liegen in meinem Fahrzeug an Bord der Lisco Gloria“, sagte Jus. Nur seinen Pass hatte der 24-Jährige bei der Evakuierung von Bord des Havaristen in der Nacht zum Samstag mitnehmen können.

Für Angehörige der geretteten Passagiere hat das Havariekommando ein Informationstelefon geschaltet. Auskunft gibt es unter der Nummer +49 (0)431 160 666.