Die Nachfolgesuche hat begonnen. Doch die Erkenntnis wächst, wie schwer “das Gesicht des Protestantismus“ zu ersetzen ist.
Hamburg. Am Tag nach ihrem Rücktritt hat Margot Käßmann sich komplett zurückgezogen. Sie nehme sich eine Auszeit, hieß es gestern aus ihrem Umfeld. Und trotzdem war sie in der Öffentlichkeit allgegenwärtig. Politiker, Kirchenvertreter, aber auch Bürger, bedauerten ihren Rückzug und zollten ihr Respekt. Die 51-jährige Theologin war am Mittwoch von ihren Ämtern als EKD-Ratsvorsitzende und hannoversche Landesbischöfin zurückgetreten, nachdem sie mit 1,54 Promille Alkohol am Steuer erwischt worden war.
Inzwischen wächst die Erkenntnis, wie schwer "das Gesicht des deutschen Protestantismus" zu ersetzen ist. Das gilt nicht nur für unzählige Termine, die Käßmann in den nächsten Wochen im Kalender hatte. Weitaus wichtiger war ihre Rolle als Sprachrohr für die 25 Millionen evangelischen Christen in Deutschland. Und so beeilte sich gestern ihr bisheriger Stellvertreter, der kommissarische Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider, klarzustellen, dass die EKD sich weiter in strittige politische Fragen einmischen werde.
Von heute an wollen die Ratsmitglieder sich auf einer turnusmäßigen Sitzung im bayerischen Tutzingen mit der Analyse des Rücktritts beschäftigen. Ein neuer Vorsitzender soll im November gewählt werden. Neben Schneider kommen die Landesbischöfe Friedrich Bohl (Dresden), Ulrich Fischer (Karlsruhe) und Johannes Friedrich (München) sowie Kirchenpräsident Jann Schmidt (Leer) in Betracht.
Auch in der hannoverschen Landeskirche hat die Nachfolgesuche begonnen. Es gebe keinen Favoriten, sagte ein führender Kirchenvertreter dem Abendblatt. "Wir waren völlig darauf eingestellt, dass wir bis zu ihrer Pensionierung eine Landesbischöfin haben." Vorübergehend übernimmt der Lüneburger Landessuperintendent Hans-Hermann Jantzen die Leitung der hannoverschen Landeskirche.
Vor allem bei den Frauen in der Kirche sitzt der Schock nach dem Rücktritt Käßmanns tief, es sei ein "herber Verlust", der ein großes Vakuum hinterlasse. Derzeit werden von 22 Landeskirchen 20 von Männern geleitet. Käßmann sei ein großes Hoffnungssymbol gewesen, sagte die Hamburger Bischöfin Maria Jepsen. Die Kirche werde ohne sie ärmer sein. Aus Sicht der früheren Lübecker Bischöfin Bärbel Wartenberg-Potter hätten Frauen noch nicht das Recht, genauso viele Fehler zu machen wie die männlichen Kollegen. "Was bei einem Mann als Kavaliersdelikt bewertet worden wäre, wurde zum öffentlichen Tribunal."
Erste Stimmen, die eine schnelle Rückkehr Käßmanns in die Öffentlichkeit wünschten, wurden laut. Der frühere bayerische Innenminister und Vize der EKD-Synode, Günther Beckstein (CSU), sagte: "Käßmann verdient eine zweite Chance." Er wünsche sich, dass sie in Zukunft wieder eine herausgehobene Rolle in der Kirche übernehme.
Käßmann hatte angekündigt, sie wolle weiter als Pastorin arbeiten. Nach dem Landesbischofsgesetz kann sie im nächsten Jahr eine Pfarrstelle übernehmen. Laut einem Sprecher der Landeskirche bekommt sie ihre Bezüge als Bischöfin übergangsweise weiter, auch in ihrer Dienstwohnung in der Bischofskanzlei in Hannover darf sie zunächst weiter wohnen. Der Dienstwagen und Chauffeur stünden ihr allerdings nicht mehr zur Verfügung. Über Käßmanns Seelenzustand gab es gestern keine Auskünfte, nur so viel: "Sie denkt über ihre nächsten Schritte nach."