Sie war arbeitslos. Dann bekam die Archäologin einen Aushilfsjob. Und hat die Geschichtsschreibung verändert.

Northeim. Monatelang hat sie im Geheimen gearbeitet, nun fällt die Last von ihr. "Die Frage, ob alle dichthalten würden, war nervenaufreibend", sagt Petra Lönne (40). Doch selbst als Ende vergangener Woche die ersten Informationen über ihren archäologischen Sensationsfund durchgesickert waren, ließ die Northeimer Kreisarchäologin sich nicht in die Karten blicken. "Wir hatten Angst, dass illegale Raubgräber alles zerstören könnten."

Jetzt, nachdem die Beweise auf dem Tisch liegen und die Geschichtsschreiber über das antike Schlachtfeld im Harz rätseln, sei sie einfach nur "erleichtert und froh", endlich reden zu können. "Die Römer haben mir Glück gebracht", sagt die Wissenschaftlerin. "So einen spannenden, tollen Fundplatz werde ich nicht noch einmal erleben."

Es war ein Tag im vergangenen Juni, der ihr Leben komplett auf den Kopf stellte. Ein Mann war in ihrem Büro aufgetaucht und präsentierte ihr einige Stücke, die er und ein Bekannter bereits Jahre zuvor in einem Waldstück beim Dorf Kalefeld ausgegraben hatten. "Zunächst war es nichts Besonderes, einige Katapultbolzen und zwei Speerspitzen, möglicherweise mittelalterlich", erinnert sich Lönne. "Als ich aber eine Hipposandale erkannt habe, war klar: Das sind die Römer."

Sehr ungewöhnlich am Rand des Westharzes. Lönne blieb misstrauisch. "Es ist schon häufiger vorgekommen, dass man versucht hat, mir römisches Material unterzujubeln", sagt sie mit Blick auf illegale Sondengänger, die auf der Suche nach archäologischen Artefakten unerlaubt mit ihren Detektoren durch die Landschaft streifen und einfach losbuddeln. Aber diese Sache ließ ihr keine Ruhe, und so marschierte sie wenig später mit den Findern, einem Kollegen und einem Metallsuchgerät über die Fundstelle. "Es hat praktisch ständig angeschlagen."

Hätte sie damals nicht so schnell reagiert, wäre das antike Schlachtfeld bei Kalefeld möglicherweise für immer im Dunkel der Vergangenheit geblieben. Umsichtig zog Lönne, die über ein steinzeitliches Thema promovierte und unter Kollegen als äußerst kompetent gilt, weitere Experten hinzu. "Anfangs dachten wir, dass es sich um ein Römerlager aus der Zeit um die Jahrtausendwende handelt", erzählt die Archäologin.

Innerhalb weniger Tage entwarfen Lönne und ihre Kollegen mit Unterstützung des Landes Niedersachsen einen Plan, um den Bereich vor Raubgräbern zu schützen. Eine beispiellose Geheimoperation lief an. Dass daraus ein Jahrhundertfund werden würde, der unser bisheriges Geschichtsbild ins Wanken bringen kann, wusste da noch niemand.

Und auch jetzt, ein halbes Jahr später, bleibt Petra Lönne bei aller Freude bescheiden. Unermüdlich erklärt die Archäologin, die über eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zu dem Job kam, der beim Kreis Northeim erst vor drei Jahren in eine Dreiviertelstelle umgewandelt wurde, die wissenschaftliche Bedeutung ihres Fundes. Dann steht die zierliche Frau in festen Schuhen, mit streng zurückgekämmtem Haar an dem steil abfallenden Harzhorn bei Kalefeld. Denn schon bald nachdem die Archäologen mit der Sicherung der Fundstücke in dem Waldstück begonnen hatten, wurde klar,"dass wir da nicht auf die Reste eines kleinen Scharmützels gestoßen waren, sondern auf ein riesiges Schlachtfeld". Nur wenige Zentimeter unter dem Boden fanden die Sondengänger auf einer Breite von 1,5 Kilometern Hunderte Lanzenspitzen, Pfeile, Katapultprojektile, bronzene Schmuck- und Verzierungsteile von Uniformen, aber auch Wagenaufsätze und Achsnägel. Insgesamt etwa 600 Fundstücke, darunter auch eine Münze mit dem Bild des römischen Kaisers Commodus und einen Teil eines Messerfutterals, die sich eindeutig auf die Zeit um 200 nach Christus datieren lassen. Modernste naturwissenschaftliche Untersuchungsmethoden brachten weitere Sicherheit. Eine Sensation, war man doch bislang davon ausgegangen, dass die Römer sich nach der verheerenden Niederlage bei der Varus-Schlacht im Jahre 9 nach Christus weitgehend aus den germanischen Gebieten zurückgezogen hatten. "Jetzt können wir davon ausgehen", sagt Petra Lönne, "dass es im dritten Jahrhundert noch Feldzüge der Römer im Norden gab."

"Wir stehen hier vor einem Eldorado der Schlachtfeldforschung", sagt Lönne, die mit einem Archäologen verheiratet ist und in Göttingen lebt. "Es ist alles unglaublich aufregend." Nicht nur, dass sich die Steinzeit-Expertin wie in einer Zeitmaschine plötzlich in der Römerzeit wiederfand. Die gebürtige Ostfriesin, die in Göttingen Ur- und Frühgeschichte studierte und sich nach ihrer Promotion jahrelang mit Projektaufträgen durchschlug, teilweise auch arbeitslos war, steht plötzlich im Licht der Öffentlichkeit. Statt behördlich verfügte Notgrabungen durchzuführen, koordiniert die Kreisarchäologin jetzt die Untersuchungen der Funde und stellt Forschungsanträge im sechsstelligen Euro-Bereich. Schon im Frühjahr, sobald es das Wetter zulässt, soll eine groß angelegte Ausgrabung am Harzhorn beginnen. "Wir werden Schicht für Schicht in die Tiefe gehen", sagt Lönne. Die Wissenschaftler hoffen, Keramik, Knochen oder auch Verschanzungen der Germanen in dem Boden zu finden, die weitere Rückschlüsse auf den Schlachtverlauf und seine geschichtliche Bedeutung geben könnten.

Wurden beispielsweise bislang keine germanischen Waffen gefunden, weil die Germanen durch die Handelsbeziehungen auch über römische Waffen verfügten? Wo sind die Toten des Gemetzels geblieben? "Es gibt noch viele Fragen", sagt Petra Lönne, und man hört die Vorfreude darauf, Antworten finden zu können.