Wirtschaftsminister Marnette: Schwerer Rückschlag für Klimaschutz und Wirtschaft.

Kiel/Leipzig. Der Stromkonzern Vattenfall hat den Kampf um eine längere Laufzeit des Atomkraftwerks (AKW) Brunsbüttel vorerst verloren. Das Bundesverwaltungsgericht Leipzig stellte gestern klar, dass Reststrommengen aus dem stillgelegten AKW Mülheim-Kärlich weder auf den Reaktor Brunsbüttel noch auf den Meiler Biblis A in Hessen übertragen werden dürfen (Aktenzeichen: BVwerG 7C8 und 7C12 aus 2008). Das Gericht bestätigte damit den Atomkonsens.

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) begrüßte die Entscheidung. Sein Ministerium hatte die Stromtransfers aus Mülheim-Kärlich abgelehnt. Gabriel forderte die Atomkonzerne auf, die alten Reaktoren abzuschalten.

Kritik kam von Kiels Wirtschaftsminister Werner Marnette (CDU). Die Leipziger Entscheidung sei ein "schwerer Rückschlag" für den Klimaschutz und für die Wirtschaft. Das Abschalten kostengünstiger Reaktoren werde zu höheren Energiepreisen führen.

Für das AKW Brunsbüttel bleibt es aufgrund der Leipziger Entscheidung beim bisherigen Ausstiegsszenario. Demnach darf der betagte Meiler (1976/77) noch rund elf Milliarden Kilowattstunden Strom produzieren. Das entspricht einer Laufzeit von 22 Monaten. Der Stichtag (derzeit Januar 2011) verschiebt sich allerdings mit jedem Tag, an dem das AKW stillsteht. Brunsbüttel ist seit einem Störfall im Sommer 2007 abgeschaltet. Ein Wiederanfahrtermin steht noch nicht fest.

Mit Blick auf die begrenzte Restlaufzeit des Atomkraftwerks hatte Vattenfall beim Bund beantragt, aus Mülheim-Kärlich 15 Milliarden Kilowattstunden auf Brunsbüttel zu übertragen und so die Betriebszeit des Reaktors um rund 30 Monate zu verlängern. Der Energiekonzern RWE stellte für Biblis A (1974) einen ähnlichen Antrag. Das Bundesumweltministerium lehnte beide Anträge ab.

Mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts dürften die Zweifel an der Auslegung des Atomgesetzes beseitigt sein. In der Anlage drei des Gesetzes sind die Kraftwerke aufgeführt, die den Reststrom des 1988 nach nur zwei Jahren stillgelegten AKW Mülheim-Kärlich (Rheinland-Pfalz) produzieren dürfen, darunter die Meiler Brokdorf und Emsland. Ältere Reaktoren wie Brunsbüttel und Biblis A setzten SPD und Grüne damals nicht auf die Liste, weil sie in einigen Jahren abgeschaltet werden sollten.

Vattenfall und RWE ließen gestern keinen Zweifel daran, dass sie ihren Kampf für längere Laufzeiten auch von Brunsbüttel und Biblis A fortsetzen wollen. Beide Konzerne haben dazu bereits Vorstöße unternommen. Vattenfall hat beantragt, Strommengen vom AKW Krümmel auf Brunsbüttel zu übertragen. Das Bundesumweltministerium hat darüber noch nicht entschieden, dürfte den Antrag aber ablehnen.

RWE ist bereits im nächsten Gerichtsverfahren. Der Konzern möchte Strommengen aus dem AKW Emsland auf Biblis A übertragen.

Die Energiekonzerne haben zudem einen Trumpf im Ärmel. Sie hoffen auf die Bundestagswahl im September und einen Regierungswechsel in Berlin. CDU und FDP haben sich dafür ausgesprochen, die Restlaufzeiten von Kernkraftwerken zu verlängern. Für eine Änderung des Atomgesetzes bedarf es nur einer einfachen Mehrheit im Bundestag. In Schleswig-Holstein ist die Schlachtlage allerdings etwas anders. Die FDP hat - wie SPD und Grüne - angekündigt, im Wahlkampf für den Ausstieg aus der Kernkraft zu streiten. Im Norden will damit allein die CDU die Ära der Atomkraft verlängern.