Lüneburg. Historiker glaubt, dass der Angeklagte häufiger Rampendienst machte, als angegeben. Ein Bild in Israel könnte 94-Jährigen belasten.
Im Auschwitz-Prozess vor dem Landgericht Lüneburg hat der Historiker Stefan Hördler erneut Zweifel an einigen Aussagen des Angeklagten geäußert. So hatte der frühere SS-Mann Oskar Gröning etwa angegeben, während der Zeit der Transporte aus Ungarn im Sommer 1944 nur höchstens dreimal vertretungsweise Dienst an der Rampe getan zu haben, um das zurückgelassene Gepäck der Verschleppten zu bewachen.
Wahrscheinlicher sei zumindest ein wöchentlicher Einsatz während der etwa zweimonatigen Ungarn-Aktion, erklärte der historische Sachverständige am Mittwoch, dem zwölften Prozesstag. Der „engere Dienstbereich“ Grönings in der Häftlingsgeldverwaltung (HGV) habe aber den Rampendienst nicht vorgesehen, hatte Hördler schon im April bestätigt. Doch auch an den laut Gröning von ihm wiederholt gestellten Versetzungsgesuchen zweifelte Hördler und berichtete von erfolgreichen Gesuchen anderer Beteiligter.
Wegen seiner Beförderung zum Unterscharführer sei er vom Rampendienst eigentlich ausgenommen gewesen, hatte Gröning ausgesagt. „Das halte ich für absolut unwahrscheinlich“, erklärte Hördler und zeigte Fotos eines Transports vom Mai 1944. Darauf waren an der Rampe mehrere Unterscharführer zu sehen, einer mit Brille ähnelte Gröning. Das Foto war aber nicht scharf genug, um ihn eindeutig zu identifizieren. Das Bild liege in Israel auch in höherer Auflösung vor, sagte Hördler.
Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen vorgeworfen
Gröning wird Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen vorgeworfen. Er hat eingeräumt, aus dem Gepäck von verschleppten Juden genommenes Geld gezählt und nach Berlin weitergeleitet zu haben. Zu Prozessbeginn hat er eine moralische Mitschuld übernommen.
Im zweiten Teil seiner Ende April begonnenen Aussage berichtete Hördler über die sogennante Ungarn-Aktion, auf die sich die Anklage gegen Gröning aus rechtlichen Gründen beschränkt. Mindestens 320.000 der etwa 430.000 Verschleppten wurden ermordet. Dafür seien im Mai 1944 zahlreiche SS-Männer mit Erfahrungen im organisierten Massenmord nach Auschwitz-Birkenau abgeordnet worden, so Hördler. Auch Experten für offene Verbrennungen gehörten dazu, weil die Krematorien mit der Einäscherung der Ermordeten nicht mehr hinterherkamen.
Wegen der angegriffenen Gesundheit Grönings waren mehrfach Prozesstermine aufgehoben worden. Seit Mitte Mai wird nur noch höchstens drei Stunden täglich verhandelt. Für eine angekündigte weitere Stellungnahme des 94-Jährigen war deshalb am Mittwoch keine Zeit mehr. Die Aussage wird nun für den 1. Juli erwartet.