Lüneburg. Coca-Cola-Konzern möchte mit drittem Brunnen die Produktion für Mineralwasser ausweiten. Dagegen formiert sich Widerstand.
Am Rande der Gemeinde Reppenstedt ist alles ruhig. Nichts weist darauf hin, dass hier ein Streit entbrannt ist, der Zehntausende Menschen beschäftigt. Der Stein des Anstoßes liegt unter der Erde, in etwa 195 Meter Tiefe. Es geht in diesem Streit um das Grundwasser. Ein Allgemeingut, sagen die einen. Ein gefragtes Qualitätsprodukt, meinen die anderen.
350.000 Kubikmeter Wasser im Jahr
Apollinaris Brands, eine Tochterfirma von Coca-Cola, will an dieser Stelle gleich hinter der Lüneburger Stadtgrenze einen weiteren Brunnen für die Grundwassergewinnung bohren. Sie füllt seit 2007 Mineralwasser und Limonade der Marke Vio an ihrem Standort in der Hansestadt ab. Bisher entnimmt das Unternehmen jährlich etwa 350.000 Kubikmeter Wasser aus zwei bestehenden Brunnen, künftig könnte die doppelte Menge möglich sein.
Pumpversuch startet im Oktober
Noch ist es nur ein Probedurchlauf, der sogenannte Pumpversuch soll im Oktober starten. Doch der Widerstand gegen die Bohrung eines dritten Brunnens ist bereits gut organisiert. Rund 90.000 Menschen haben sich an einer Online-Petition beteiligt, um den Bau eines dritten Brunnens zu verhindern. Und auch die Lüneburger Bürgerinitiative „Unser Wasser“ befürchtet, dass durch die verstärkte privatwirtschaftliche Förderung des Grundwassers die Trinkwasserversorgung in der Region in Gefahr geraten könnte. Sie führen ökologische, ökonomische und rechtliche Argumente gegen das Vorhaben an.
Da seien zum einen die dramatischen Veränderungen durch den Klimawandel, sagt Marianne Temmesfeld, Sprecherin der Bürgerinitiative. „Sie haben dazu geführt, dass das Grundwasser sich nicht mehr so schnell regeneriert. Gerade hier bei uns in der Region muss man besonders sorgsam mit dem Wasser umgehen.“ Sie bezieht sich auf einen Sonderbericht des Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) aus dem März dieses Jahres.
Wie schnell regeneriert sich das Grundwasser?
Dieser kommt zu dem Schluss, dass Wasser-, Land- und Forstwirtschaft ebenso wie Unternehmen und Privathaushalten ihren Wasserverbrauch und Wasserbedarf neu ausrichten müssen. Die trockenen Verhältnisse der vergangenen beiden Jahre würden sich voraussichtlich wiederholen. „Umso wichtiger ist daher die sorgfältige und vorausschauende Bewirtschaftung des Grundwassers, um weiterhin eine ausreichende Wasserversorgung für Mensch und Umwelt in Niedersachsen zu erhalten“, heißt es in dem Bericht.
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Die ausgewählte Stelle für den Brunnen liege zudem in der Nähe eines Salzstocks, sagt Marianne Temmesfeld. „Aus unserer Sicht ist eine Verbindung zwischen dem Grundwasserleiter und dem Salzstock nicht gänzlich auszuschließen. Darin sehen wir ein Risiko, zum Beispiel für Geländeabsenkungen.“
Die Bürgerinitiative kritisiert aber nicht nur die möglichen Risiken. Sie fordert auch, dass die rechtlichen Spielräume bei der Erlaubniserteilung ausgeschöpft werden. So gibt die Wasserrahmenrichtline der Europäischen Union vor, dass Wasser keine übliche Handelsware ist, sondern vielmehr besonders geschützt werden muss. Das sei auch in Bundes- und Landesgesetzen verankert, sagt die Sprecherin. Doch es werde regional nicht immer konsequent umgesetzt.
Geringe Gebühren sorgen für Kritik
Schließlich kritisiert die Initiative die geringe Gebühr von nur neun Cent pro Kubikmeter, die für die Entnahme des Grundwasser zu entrichten sei. Das sei viel zu wenig angesichts des Gewinns, den Coca-Cola aus einem Allgemeingut beziehe, sagt Marianne Temmesfeld. „Wasser ist ein Allgemeingut, dass uns außerdem nur begrenzt zur Verfügung steht.“
Bei Coca-Cola will man diese Vorwürfe nicht so stehen lassen. Die bisher geförderten 350.000 Kubikmeter Grundwasser entsprächen nur 1,6 Prozent der insgesamt erlaubten Entnahmemenge aus dem Lüneburger Grundwasserkörper, betont Sprecherin Marlen Knapp. Bei dem geplanten Brunnen in Reppenstedt, der das Wasser aus einem anderen Speicher beziehen würde, wären es maximal zwei Prozent.
200 Mitarbeiter arbeiten an den Abfüllanlagen
Der Antrag für den Pumpversuch sieht eine Förderung von bis zu 350.000 Kubikmeter Grundwasser vor. Wie viel Wasser am Ende wirklich entnommen werden könnte, stehe allerdings noch gar nicht fest, sagt die Sprecherin. Erst nach Abschluss des Pumpversuchs kann der Wasserrechtsantrag gestellt werden. „Darin müssen wir den aktuellen Bedarf begründen. Und der Markt für stilles Wasser ist zwar seit 2007 stark gewachsen, stagniert aber zurzeit eher.“
Am Standort Lüneburg, in den das Unternehmen seit der damaligen Umstellung auf Mineralwasser 160 Millionen Euro investiert hat, sind etwa 200 Mitarbeiter beschäftigt. Sie arbeiten in drei Schichten an Abfüllanlagen für verschiedene Getränkesorten. Theoretisch sei es zum Beispiel möglich, so Knapp, mit vier Schichten auf einen Rund-um-die-Uhr-Betrieb umzustellen und so die Produktion zu erweitern. Der Betriebsleiter halte eine Fördermenge von insgesamt 500.000 Kubikmeter für denkbar.
Coca-Cola weist die Vorwürfe zurück
„Der Pumpversuch soll erst einmal nachweisen, ob an dieser Stelle Wasser sicher gefördert werden kann. Sollten die über dem Grundwasser liegenden Bodenschichten beeinträchtigt werden, würden wir das sofort an den Messstellen sehen“, sagt Knapp. Auch eine mögliche Verbindung zum Salzstock sei von verschiedenen Behörden überprüft worden und ausgeschlossen.
Die Sorge um Absenkungen könne sie zwar angesichts der Lüneburger Historie verstehen, es bestehe jedoch kein Risiko. „Das Wasser wird ja nicht entnommen und hinterlässt eine Lücke. Es bewegt sich in einem Kreislauf, aus dem wir und andere Nutzer es entnehmen. Selbstverständlich darf immer nur so viel entnommen werden, wie sich nachbilden kann. Das ist das Prinzip der Nachhaltigkeit.“
Mit der Planung eines dritten Brunnens hatte Coca-Cola im Frühjahr 2016 begonnen. Zwei alternative Standorte wurden verworfen, an der ausgewählten Stelle in der Gemeinde Reppenstedt soll nun die Probebohrung weitere Erkenntnisse bringen. Diese hatte das Unternehmen im Juli 2019 beantragt, sie wurde im Mai dieses Jahres von der Unteren Wasserbehörde des Landkreises Lüneburg bewilligt. Im Oktober soll der Versuch starten. Die Erlaubnis ist mit Auflagen verbunden, so müssen zum Beispiel an nahe gelegenen Biotopen Grundwassermessstellen errichtet werden.
Umweltverträglichkeitsstudie muss vorgelegt werden
Auf Grundlage des Pumpversuches über 70 Tage wird ein hydrogeologisches Gutachten erstellt. Dieses stellt den Kern des Antrags auf regelmäßige Wasserentnahme beim Landkreis Lüneburg dar. Auch eine Umweltverträglichkeitsstudie muss vorgelegt werden. Im Verlauf des Genehmigungsverfahrens wird die Öffentlichkeit beteiligt.
„Ohne Pumpversuch und Gutachten gibt es keine Erlaubnis für die Mineralwasser-Entnahme“, betonte Stefan Bartscht, Leiter des Fachdienst Umwelt, bei der Sitzung des Kreisumweltausschusses vergangene Woche. Kritisch sehe sein Fachdienst, dass das abgepumpte Grundwasser von höchster Qualität – insgesamt rund 118.000 Kubikmeter – ungenutzt in einen Bach abgeleitet werden soll. Der Landkreis hatte zunächst eine Versickerung des Wassers vor Ort vorgeschlagen. Dies hätte jedoch möglicherweise die Messstellen beeinflusst und damit die Aussagen des Pumpversuches angreifbar gemacht. „Der Antragsteller überlegt daher, einen kleineren Pumpversuch durchzuführen und zunächst eine geringere Fördermenge zu beantragen, die später erhöht wird“, so Bartscht über die jüngste Entwicklung. „Das werden wir kritisch prüfen.“
Landkreis hat das letzte Wort
Bei der Entscheidung hat die gesicherte Versorgung mit Trinkwasser Priorität, heißt es aus der Landkreisverwaltung. Der Antrag könnte demnach abgelehnt werden, wenn schädliche Gewässerveränderungen zu erwarten sind. Aus diesem Grund könnte die Erlaubnis auch später geändert oder widerrufen werden.
Einen Anspruch auf Entschädigung hätte Coca-Cola in dem Fall nicht. So weit wollen es beide Seiten nicht kommen lassen. Die einen wollen eine langfristige Förderung. Die anderen überhaupt keine. Der Streit ums Grundwasser ist noch lange nicht beigelegt.