Asylbewerber in Lüneburg müssen mit Gutscheinen ihre Lebensmittel bezahlen, nicht überall werden die akzeptiert. Kritiker sind empört.
Lüneburg. Sie sind so groß wie Kinokarten. Einmal im Monat verteilen Mitarbeiter von Stadt und Landkreis die gelben und grünen Gutscheine an mehr als 250 Empfänger. Rund 180 Euro erhält jeder erwachsene Asylbewerber derzeit in Form dieser Zettel. Damit, sowie mit zusätzlich 40,90 Euro Bargeld im Monat, müssen sie ihren Lebensunterhalt bestreiten, Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs kaufen.
+++ Kommentar: Gutscheine grenzen aus +++
Was auf den ersten Blick vernünftig klingen mag, offenbart sich auf den zweiten Blick als komplizierte und entwürdigende Prozedur. Das meint jedenfalls Karim Alwasita vom Flüchtlingsrat Niedersachen. Das System entmündige die Menschen und führe dazu, dass sie überall in der Stadt erkannt und stigmatisiert werden. Denn so leicht zu handhaben wie Bargeld sind die Scheine nicht. Auf ihnen ist genau vermerkt, was gekauft werden darf, zum Beispiel "Bekleidung und oder Schuhe in einfacher und preiswerter Ausführung". Doch wer entscheidet, was "einfach und preiswert" ist? Oft genug fällt an der Kasse das Urteil.
Seit Einführung der Rechtsgrundlage im Jahr 1993 liegt die Höhe des monatlichen Regelsatzes für einen Erwachsenen unverändert bei 224,97 Euro. Asylbewerber haben damit weniger zur Verfügung als Sozialhilfeempfänger oder Langzeitarbeitslose. Derzeit überprüft das Bundesverfassungsgericht, ob die Regelungen im Asylbewerberleistungsgesetz dem Grundgesetz entsprechen. Schokolade, Haartönung, Schmerzmittel - diese Produkte sind für Gutscheininhaber nur zu bekommen, wenn sie mit Bargeld bezahlt werden. "Schokolade ist kein Lebensmittel, sondern ein Genussmittel und ist deshalb nicht erlaubt. Sich die Haare zu tönen ist nicht lebensnotwendig und auch frei verkäufliche Medikamente wie Schmerzmittel werden an der Kasse aussortiert", zählt Maja Schubert auf, die in Wirklichkeit einen anderen Namen trägt. Sie engagiert sich ehrenamtlich für die Belange von Migranten und ärgert sich über die sture Haltung der Behörden. "Selbst Verhütungsmittel kann man mit den Gutscheinen nicht bekommen."
+++ Zahl der Asylbewerber steigt wieder +++
+++ Mehr Asylbewerber - jeder zweite aus Afghanistan +++
Seit bald zehn Jahren bietet eine studentische Initiative Asylbewerbern in Lüneburg einmal im Monat an, ihre Gutscheine in Bargeld zu tauschen. Denn das Einkaufen mit den Scheinen hat seine Tücken und kann im schlimmsten Fall zum Spießrutenlauf werden. Kirsa Weidemann, die seit Jahren aus Überzeugung Bargeld gegen Gutscheine tauscht, hat diese Erfahrung bereits mehrmals gemacht. "Ich brauchte eine Geldbörse und habe sie mit einem Gutschein bezahlt. Die Verkäuferin hat sie angesehen und mir zu verstehen gegeben, dass sie das grad mal noch durchgehen lasse." Die Lüneburgerin sieht in dem Gutscheinsystem eine klare Form der Diskriminierung. "Im Vergleich zu vielen Asylbewerbern bin ich aber in der Lage, an der Kasse auch mal zu diskutieren."
Die Einschränkungen für die Nutzer der Gutscheine sind enorm: Die Zahl der Geschäfte, die die Gutscheine annimmt, ist ebenso begrenzt wie die Gültigkeit der Scheine. "Einen Monat kann man die Scheine in der Stadt einlösen, neuerdings gibt es sogar einen Stand auf dem Wochenmarkt, der mitmacht", sagt Katharina Kapitza, die sich für die Abschaffung der Gutscheine ausspricht. "Vor wenigen Monaten hat die Landesregierung die Residenzpflicht für Asylbewerber aufgehoben, das ist gut. Praktikabel ist es nicht, denn die Gutscheine gelten nur in einem bestimmten Bereich."
Zudem muss, wer mit den Wertbons einkauft, genau rechnen, denn Wechselgeld in bar gibt es bei Gutscheinen maximal einen Euro, bei Gutscheinen des Landkreises nur 50 Cent. Als das System eingeführt wurde, erhielt, wer mit einem Gutschein bezahlte, nicht mal einen Kassenbeleg. Der Umtausch von Waren war damit von vornherein ausgeschlossen.
Mittlerweile erhalten Asylbewerber Quittungen. Dennoch, die Gutschein-Praxis sei demütigend, sagen Kritiker. "Die Kosten, die für Desintegration aufgewendet werden, sind leider oft höher als für die Integration", sagt Flüchtlingsrat-Mitglied Alwasita. Die Gutscheine sollen Asylbewerber davor schützen, unter den Einfluss von Schlepper-Organisationen zu geraten, führen Befürworter der Praxis als Begründung an.
Ausdrücklich nennt der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten, wie die Versorgung der Menschen sichergestellt werden kann. Neben der Ausgabe von Gutscheinen, können die Kommunen den Regelsatz auch bar auszahlen, eine Option, die inzwischen von mehreren Bundesländern, unter anderem Hessen, Hamburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt genutzt wird.
Für diese Lösung macht sich auch Frank Stoll stark. Der Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke im Kreistag hat einen Resolutionsentwurf eingebracht, in dem gefordert wird, die Gutscheine durch Barauszahlungen zu ersetzen. Nach der Beratung im Sozialausschuss wurde der Vorschlag vergangene Woche zurück an die Fraktionen zur weiteren Beratung verwiesen. "Wir wollen die Menschen und auch die Politiker in Hannover bewegen, das Gutscheinsystem zu überdenken", sagt Stoll. "Andere Bundesländer wie Brandenburg oder Hamburg machen es doch vor - es geht auch mit Bargeld."