Wentorf. Ihre Schwiegertochter bemühte sich um Kulanz für die 82-Jährige. Für den Discounter ist die Lage aber klar: 60 Minuten müssen reichen.
Dienstags ist bei Monika Köhrs Friedhofstag. Dann kauft die 82-Jährige auf dem Wochenmarkt an der Chrysanderstraße frische Blumen für das Grab ihres Mannes auf dem Bergedorfer Friedhof. Sie stellt die Blumen ein, harkt das Grab, hält Zwiesprache. Im Anschluss fährt sie weiter nach Wentorf, um sich nach getaner Arbeit in der Bäckerei an der Hamburger Landstraße bei einem kleinen Frühstück zu stärken.
Der Ausflug kostet die Seniorin Kraft. Köhrs ist mobilitätseingeschränkt, sie braucht einen Gehstock. Danach erledigt sie ihren Einkauf beim Discounter Lidl, gegenüber von der Bäckerei Junge. Das ist praktisch, ihr Auto parkt sie auf dem Parkplatz zwischen beiden Geschäften. Ein liebgewonnenes Ritual seit 23 Jahren – das sie jetzt ziemlich teuer zu stehen kommt.
Parkplatz: Lidl überwacht die Parkdauer automatisch
Seit einigen Wochen wird die Parkdauer auf dem zur Ladenzeile und Discounter gehörendem Parkplatz strenger überwacht. Seit Mitte November scannt eine Kamera bei allen Autos, die auf den Parkplatz rauf- und wieder runterfahren das Nummernschild.
60 Minuten ist das Parken auf den 60 Parkplätzen kostenfrei. Anschließend wird eine Vertragsstrafe von mindestens 30 Euro fällig, schreibt das Parkraumüberwachungsunternehmen Park & Control kleingedruckt auf den angebrachten Schildern. „Einfach kundenfreundlich. Das Auslegen einer Parkscheibe ist nicht mehr nötig“, ist da zu lesen.
Keine Kulanz für 82-Jährige: Rentnerin soll 150 Euro zahlen
„Allerdings hängen die Schilder in so luftiger Höhe, dass meine Schwiegermutter sie schlicht übersehen hat“, sagt Schwiegertochter Monika Köhrs. Beide Frauen tragen den gleichen Namen. Kein Wunder, dass die ältere Dame aus allen Wolken fiel, als nun eine Rechnung nach der anderen vom Bewirtschafter des Parkplatzes ins Haus flatterte – seit November insgesamt fünf. Für jeden Parkverstoß sind jetzt 30 Euro fällig. „150 Euro zusätzlich – da hätte sie auch fürstlicher als beim Bäcker frühstücken können“, ärgert sich Schwiegertochter Monika Köhrs.
Sie nennt das Abzocke und möchte andere warnen. Sie und ihr Mann wandten sich an Park & Control, die Bäckerei Junge und Lidl mit dem Hinweis, dass ein Frühstück und ein Einkauf für bewegungseingeschränkte Senioren in 60 Minuten einfach nicht zu schaffen sei. Sie hofften auf Kulanz. Die allerdings sehen die Geschäftsbedingungen des Parkraumüberwachers nicht vor.
Bäckerei Junge: „Wir sind auch nicht glücklich mit der Situation“
„Wir sind auch nicht glücklich mit der Situation. Uns sind aber die Hände gebunden, da wir auch nur Mieter sind“, bedauert Georg Hofrichter, Sprecher der Bäckerei Junge. In den vergangenen Wochen erreichte sein Unternehmen viele Beschwerden. Auch deshalb würde Junge eine Verlängerung der kostenfreien Parkzeit sehr begrüßen.
- Lidl setzt neues Baukonzept um
- Lidl als Reeder: Discounter will in die Schifffahrt einsteigen
- Einzelhandel Hamburg: Lidl muss Luft aus Müsli-Packung lassen
Eigentümer des Parkplatzes ist in dem Fall Lidl selbst. „Uns ist wichtig, unseren Kunden einen bequemen Einkauf mit ausreichend Parkmöglichkeiten zu bieten“, sagte ein Lidl-Sprecher gegenüber unserer Redaktion bereits im Februar 2020. Damals präsentierte der Discounter zusammen mit dem Bewirtschaftungsunternehmen Park & Control die neue Sensortechnik auf dem Parkplatz, die zur Überprüfung der Parkdauer eingeführt wurde mit dem Ziel, Dauerparker von den Stellflächen zu verbannen. Die Sensortechnik schien nicht von Erfolg gekrönt.
60 Minuten für einen Einkauf – das muss reichen
Schon damals war die Parkdauer auf 60 Minuten beschränkt. „Erfahrungsgemäß benötigen unsere Kunden deutlich weniger Zeit, sodass die kostenlose Parkdauer von 60 Minuten ausreicht“, begründete der Pressesprecher auf unsere Nachfrage. Laut der Gesellschaft für Konsumforschung dauert ein durchschnittlicher Einkauf in einem Supermarkt 13 Minuten.
Für den reinen Einkauf reichen sicher 60 Minuten, sagt auch Köhrs. Für beides, Kaffee und Einkauf, aber nicht – auch für Jüngere sei das zu knapp. Die Bergedorferin kritisiert die rigide Vorgehensweise und dass der Discounter die Bedürfnisse älterer Kunden zu wenig beachtet. Ihrer Schwiegermutter wird jetzt nichts anderes übrig bleiben, als die fünf Rechnungen zu bezahlen.
Parkplatz zu teuer: Rentnerin will nichts mehr bei Lidl kaufen
Ihr liebgewonnenes Ritual kürzt die ältere Dame zukünftig ab. Nach dem Friedhofsbesuch gönnt sie sich nur noch das Frühstück, den Einkauf spart sie sich auf und erledigt ihn bei Edeka in Bergedorf. Eine Konsequenz, die in der Wentorf Facebook-Gruppe ebenfalls stark diskutiert wird, zumal das Supermarktangebot in der Gemeinde groß ist.
Ob Lidl darauf reagieren will, um seine Kunden zu halten und eine Verlängerung der Parkzeit erwägt, lässt das Unternehmen mit Sitz in Neckarsulm trotz mehrfacher Nachfrage unserer Redaktion unbeantwortet.