Wentorf. Er war für jeden Spaß zu haben und hat „den Ernst des Lebens bis heute nicht verstanden“. Der NDR-Kultmoderator erinnert sich.

„Früher war eindeutig mehr Lametta“, sagt Carlo von Tiedemann lachend. Der NDR-Kultmoderator meint das wörtlich. Der Tannenbaum seiner Kindheit war voller dünner Silberstreifen. „Nur eben sehr ungleichmäßig verteilt. Ich hatte als kleiner Junge auf der einen Seite viel zu viel, auf der anderen viel zu wenig angehängt. Aber meine Eltern haben es einfach so gelassen“, sagt er und ist ihnen noch heute für ihre Großzügigkeit dankbar.

„Ich hatte sehr liebevolle Eltern und eine sehr glückliche Kindheit und Jugend“, sagt der heute 79-Jährige. Gemangelt habe es ihm an nichts. Der Vater, ein General aus adeligem Haus, hatte eine gute Pension. „Keiner meiner Wünsche blieb zu Weihnachten unerfüllt“, erinnert er sich.

Aufgewachsen ist Carlo von Tiedemann in Wentorf. Anfang der 1950er-Jahre zog die Familie vom Gut Bockhorn bei Wankendorf im Kreis Plön, dem Gut einer Tante, an den Hochweg nach Wentorf um. Das Haus, Hochweg 3, steht noch heute. Hier unterm Dach der Villa bezog die dreiköpfige Familie eine Wohnung zur Miete.

Weißes Hemd, zurückgekämmte Haare: Kultmoderator Carlo von Tiedemann als Kind mit acht oder neun Jahren. In diesem Outfit radelte er durch den Wentorfer Hochweg.
Weißes Hemd, zurückgekämmte Haare: Kultmoderator Carlo von Tiedemann als Kind mit acht oder neun Jahren. In diesem Outfit radelte er durch den Wentorfer Hochweg. © Privat | Privat

Carlo von Tiedemann ist früher durch den Hochweg in Wentorf geradelt

Warum gerade Wentorf? „Das weiß ich ich nicht, habe ich auch nie gefragt“, sagt Carlo von Tiedemann. Berufliche Gründe steckten zumindest nicht dahinter. Der Vater war bereits pensioniert. Wie dem auch sei: Die Entscheidung war gut und der kleine Carlo fand schnell Anschluss in der Clique der Nachbarjungen.

„Er fuhr im weißen Hemd, geputzten Schuhen und zurückgekämmten Haaren den Hochweg pfeifend rauf und runter“, erinnert sich Karl-Friedrich Marks genau an das erste Treffen. Der 77-jährige Wentorfer lebte damals wie heute nur wenige Meter vom Haus der Tiedemanns entfernt und fand in dem Neuen schnell einen Spielgefährten.

Es entwickelte sich eine Freundschaft, die ein Leben lang halten wird, worauf die beiden stolz sind und auch gern in der Öffentlichkeit darüber sprechen. Öfter saß „Puky“, wie Karl-Friedrich Marks seit seiner Kindheit mit Spitznamen heißt (er hatte als erstes einen Puky-Roller mit Luftbereifung), schon mit seinem Freund Carlo im Studio und hat alte Anekdoten aus der Kindheit und Jugend erzählt.

Freund und Weggefährte Karl-Friedrich Marks blättert gern in Fotoalben. Der 77-jährige Wentorfer hat Carlo von Tiedemann von Kindheit an begleitet.
Freund und Weggefährte Karl-Friedrich Marks blättert gern in Fotoalben. Der 77-jährige Wentorfer hat Carlo von Tiedemann von Kindheit an begleitet. © U. Gerullis | Undine Gerullis

„Carlo war für jeden – wirklich jeden – Spaß zu haben“, erzählt der 77-Jährige. Das wusste auch die Polizei. „Immer wenn wir etwas ausgeheckt haben, stand die Polizei zuerst vor Carlos Tür“, sagt Marks. Einmal, erinnert sich der bekannte Reinbeker Makler, haben E-Werk-Mitarbeiter am Ende des Hochwegs gearbeitet und das Firmenfahrzeug dort über Nacht stehen lassen. Was macht Carlo? Steigt in das Auto, kriegt es irgendwie zum Laufen und fährt damit in den nächsten Bretterzaun.

„Ich hatte immer viel Blödsinn im Kopf und habe bis heute nicht den Ernst des Lebens verstanden“, gibt von Tiedemann ehrlich zu. Seine Eltern waren stets nachsichtig mit ihm. Auch dann, als es später am Sachsenwaldgymnasium in Physik und Chemie Sechsen hagelte. Der Junge bekam Nachhilfe. „Gebracht hat die aber nichts“, sagt er lachend.

Als er in der elften Klasse neun Wochen lang die Schule schwänzte und lieber mit einem Freund in „Witthüs Teestuben“ Schach spielte und klassische Musik hörte statt zu lernen, platzte dann doch die Bombe zu Hause. Seine Schullaufbahn war beendet. „Ich besann mich auf das, was ich gut konnte – schreiben. Dass man auch mit Sabbeln Geld verdienen kann, wusste ich damals ja noch nicht“, sagt er.

Carlo von Tiedemann zog nach Cuxhaven, um eine journalistische Laufbahn einzuschlagen und absolvierte ein Volontariat bei der Cuxhavener Allgemeinen. Sein Freund Puky hat ihn damals oft besucht: „Da war jeden Abend Party und Carlo war mit der halben Unterwelt liiert“, erinnert Karl-Friedrich Marks.

Carlo von Tiedemanns Vater stirbt 101-jährig im Bett des Sohnes

Bevor von Tiedemann seine bis heute andauernde Karriere 1970 beim NDR startet und zum Kultmoderator mit großem Herz und sozialen Engagement wurde, legte Carlo von Tiedemann noch eine Zwischenstation beim Hamburger Abendblatt ein. Durch Flunkern und ohne Spanischkenntnisse wird er sogar drei Jahre Südamerikakorrespondent in Buenos Aires.

„Ich habe in meinem Leben immer viel Glück gehabt, viele Höhen und Tiefen überstanden“, sagt er im Rückblick. Aus Südamerika schreibt er viele Briefe – an seine Eltern und Puky, der diese samt den Kinderfotos bis heute aufbewahrt hat.

Nach Wentorf kehrt der Moderator nur noch für gelegentliche Besuche zurück. Hier stirbt der Vater 101-jährig im alten Kinderbett des Sohnes, seine Mutter folgt ihrem Mann ein Jahr später. Ein Grab sucht man auf dem Wentorfer Friedhof vergebens, die beiden sind im Familienmausoleum in Wankendorf bestattet. Der Stammbaum der von Tiedemanns und von Kleist mütterlicherseits ist auf beiden Seiten lang und adelig.

Heute lebt Carlo von Tiedemann mit seiner Familie in Quickborn und verbringt hier in aller Ruhe die Festtage. „Nach Wentorf zieht mich nichts zurück, außer das große Osterfeuer bei Puky im Garten.“ Wenn die beiden Freunde aufeinandertreffen, dann dauert es nicht lang und sie sind ganz schnell wieder bei den guten alten Zeiten.