Wentorf. Discounter befürchtet, nicht mehr konkurrenzfähig zu sein und will sich “so schnell wie möglich“ vergrößern. Das stößt auf Widerstand.

Ein Lächeln geht über Loki Spechts Gesicht, als sie die Traube an Menschen sieht, die sich unter der stattlichen Trauerweide auf dem Parkplatz des Casinoparks in Wentorf versammelt haben. Neun Frauen und Männer sind gekommen, um die 93-Jährige in ihrem Bemühen, die Trauerweide zu retten, zu unterstützen. Der Baum soll zugunsten der Erweiterungspläne des Aldi-Marktes fallen. Verständnis hat von den Anwesenden niemand dafür: „Es wäre ein irrer Schmerz, wenn dieser Baum gefällt werden würde“, sagt Hanna Marie Walther. Die 42-Jährige lebt im angrenzenden Bergedorf, erledigt ihren Einkauf aber im Casinopark in Wentorf. Auch bei Aldi, wie sie sagt. Zu klein fand die Mutter eines Sohnes den Markt nie.

Dennoch hat Aldi Nord angekündigt, seine Wentorfer Filiale „so schnell wie möglich vergrößern zu wollen“, wie eine Sprecherin sagt. Denn die sei im Vergleich zu modernen Filialen, die rund 1400 Quadratmeter groß sind, mit ihren 750 Quadratmetern Verkaufsfläche klein. Um konkurrenzfähig zu bleiben, auch gegen andere Mitbewerber im direkten Umfeld, setzt Aldi auf Erweiterung und will in südliche Richtung zum Parkplatz hin anbauen.

Aldi will im Casinopark Wentorf wachsen – Anwohner protestieren

Ein Plan, der laut Petra Freund „nicht mehr in die heutige Zeit passt“. Die Wentorferin Freund und die Bergedorferin Walther sind Teil einer Initiative, die sich jetzt nach einem Artikel unserer Redaktion über die Erweiterungspläne gegründet hat. Die verfügt aktuell über rund 20 Mitstreiter und hat zum einen das Ziel, den rund 60 Jahre alten Baum zu erhalten, zum anderen einen Wertewandel hin zu mehr Grün und Lebensqualität in der Gemeinde herbeizuführen. „Denn immer größer und immer mehr versiegelte Flächen will heute keiner mehr“, ist Mitstreiter Reiner Freund überzeugt.

Vor zwei Jahren hat die Politik bereits den Erweiterungsplänen nach mehreren Anläufen zugestimmt und 2019 eine B-Plan-Änderung auf den Weg gebracht. Die Politik wollte laut eigenen Aussagen den Einzelhandelsstandort Wentorf stärken. Loki Specht, Wentorferin und Anwohnerin am Casinopark, hielt es damals schon für einen großen Fehler und hat sich für die Trauerweide starkgemacht. Leider vergeblich, wie sie jetzt durch einen Artikel erfahren musste, in dem Aldi Nord und der Eigentümer des Casinoparks, die Swiss Life Asset Managers Deutschland GmbH, ein europaweiter Vermögensverwalter, die Erweiterungspläne erneut bestätigt haben. Beide befinden sich laut Sprecher „in positiven Gesprächen“ und „arbeiten an Details“.

„Politisch können wir nichts mehr ausrichten“

Für Loki Specht war das eine niederschmetternde Nachricht, auch wenn sie ausdrücklich betont, dass sie nichts gegen das Unternehmen Aldi hat, sondern ihr es allein um die Natur geht, der in Wentorfs Ortsmitte kein Raum mehr gelassen wird. „Genug ist genug“, sagte Specht damals wie heute. Nun aber wächst mit der Gründung der Initiative wieder leise Hoffnung bei der 93-Jährigen.

„Politisch können wir nichts mehr ausrichten. Das Recht ist mit der B-Planänderung auf der Seite des Inhabers“, weiß die gelernte Architektin Alena Kempf-Stein. „Wir werden uns direkt an Aldi und den Inhaber wenden“, sagt die Wentorferin, „wenn wir das Stimmungsbild in der Gemeinde erfasst haben.“ Es geht dabei auch um die Frage, wie viel Grün die Wentorfer wollen. „Die Allee am Reinbeker Weg musste weichen, in der Lohe fiel die Eichenallee, und der Schulwald ist gefällt. Ob das im Sinne der Wentorfer ist, bezweifeln wir sehr“, sagt Kempf-Stein.

Unterschriftenlisten sollen Meinungsbild erfragen

Was die Bürger wirklich wollen, erfragt die Initiative jetzt und hat Unterschriftenlisten in verschiedenen Wentorfer Geschäften wie im Bücherwurm, im Reformhaus und bei Linstil Mode ausgelegt.

Das Meinungsbild soll auch in den Ideenwettbewerb zur Neugestaltung des Casinoparks, Wentorfs versiegelter und wenig beliebter Ortsmitte, einfließen. Den haben die Grünen gerade mit dem Ziel gestartet, den derzeit oft menschenleeren, zugigen Platz mit Leben und Wohlfühlatmosphäre zu füllen.

„Die Resonanz ist überwältigend. Nach nur einem Tag waren die Listen vergriffen, mussten wir nachlegen“, sagt Freund. Die Listen können auch von der Internetseite https://wertewandelweide.wixsite.com/werteweide heruntergeladen werden. Geplant ist auch, Listen in Bergedorf zu platzieren, denn ein Großteil Bergedorfs wird von Wentorf aus versorgt.

„Angekündigte Ersatzpflanzung ist ein Witz“

Zwei, die gleich heute auf der Liste unterschreiben wollen, sind die Wentorfer Leszek Olejniczak und seine Frau Alexandra: „Wir sind Aldi-Kunden“, sagt der Anwohner, als er zufällig vorbeigeht. „Sollte die Weide fallen, werden wir im neuen Aldi nicht mehr einkaufen“, steht für Olejniczak fest. Dass der Discounter nicht nur diese beiden als Kunden verlieren würde, davon ist Thorsten Stein überzeugt. „Einkaufsalternativen gibt es in Wentorf glücklicherweise für alle Zielgruppen genug“, sagt der Biologielehrer.

Das Ziel der Politik war, als sie der B-Planänderung zugestimmt hat, den Einkaufsstandort Wentorf nicht noch weiter zu schwächen, nicht noch mehr Leerstand im Casinopark herbeizuführen, sagte der Vorsitzende des Planungsausschusses Torsten Dreyer (Grüne) gegenüber unserer Redaktion.

Aldi: Bürger schlagen Alternative für die Erweiterung vor

Die Politiker fürchteten den Unmut der Bürger, wenn Aldi der Gemeinde den Rücken kehrte. „Niemand will Aldi vertreiben“, sagt Reiner Freund. „Wir möchten nur, dass über Alternativen nachgedacht wird.“ Der pensionierte Lehrer bringt eine Erweiterung nach oben zum kaum genutzten Parkdeck ins Spiel.

So oder so: „Die mit dem Neubau angekündigte Ersatzpflanzung auf der Rückseite des Parkdecks ist ein Witz“, ergänzt Ingrid Kempf. „Bis das Bäumchen mit einem Stammumfang von 50 bis 60 Zentimetern so groß und stattlich ist wie die vorhandene Trauerweide, werden Jahrzehnte vergehen“, sagt die Wahl-Billstedterin, die 25 Jahre in Wentorf gelebt hat.

Baumexperten hatten von einer Umpflanzung der Trauerweide abgeraten und die Politik damit beruhigt, dass der Baum mit seinen 60 Jahren in der Endphase seines Lebens sei. Trauerweiden haben mit 100 Jahren ihr Lebensalter erreicht. „Dann hätte der Baum noch 40 Jahre. Das ist eine lange Zeit“, sagt Ingrid Kempf. Und ihr Ehemann fügt hinzu: „In der Zeit kann der Casinopark schon dreimal abgerissen worden sein.“