Wentorf. Das 1910 erbaute Gebäude muss einem Neubau weichen. Auf dem Grundstück entstehen Wohn- und Gewerbeeinheiten. Was geplant ist.
Schön ist der Anblick des apricotfarbenen Hauses an der Hamburger Landstraße 30 schon länger nicht mehr. Aus der Dachrinne wächst das Gras, die Farbe bröckelt an der Fassade, an den Fenster- und Türrahmen. Doch statt es zu sanieren, soll das unbewohnte Haus aus dem Jahr 1910 nun abgerissen werden. Fakten sind bereits geschaffen, das Haus wurde teilweise entkernt und ist eingezäunt.
Mit dem Abriss verschwindet ein weiteres Stück Geschichte in der Ortsmitte Wentorfs. „Im Bauausschuss haben wir darüber lange diskutiert. Uns sind aber die Hände gebunden“, sagt der Ausschussvorsitzende Torsten Dreyer (Grüne) bedauernd. Das Haus steht nicht unter Denkmalschutz, es gibt nicht einmal einen Bebauungsplan für die Fläche. „Wir mussten die Pläne des neuen Eigentümers zähneknirschend hinnehmen“, sagt Dreyer.
Vostra Immobilien will auf Grundstück in Wentorf bauen
Neuer Eigentümer ist der Hamburger Bauprojektentwickler Vostra Immobilien. Er plant, dort ein Mehrfamilienhaus mit drei Gewerbeflächen zu bauen. „Wir stehen in den Startlöchern“, sagt ein Mitarbeiter. Der Entwickler holt das Maximale aus dem Grundstück heraus. Der Neubau mit guter Energiebilanz und zwei Geschossen samt Staffelgeschoss fügt sich in Größe zwar in die Umgebung ein, wird aber um einiges größer als das bisherige Gebäude.
Auf einer Fläche von 1315 Quadratmetern sollen 20 hochwertige Wohn- sowie drei Gewerbeeinheiten entstehen, wirbt das Unternehmen auf seiner Internetseite. Ebenso soll das Gebäude über eine Tiefgarage mit 23 Stellplätzen verfügen. Dass mit dem Abriss noch nicht begonnen wurde, liegt an der angespannten Lage im Bau mit mangelnden Materialien und explodierenden Kosten. Um die aufzufangen, solle der Architekt nun kleine Änderungen vornehmen. An dem Projekt aber halte Vostra Bau fest, sagt der Mitarbeiter.
Bedauern über den Abriss
„Sehr schade“ findet Christian Schmidt den Abriss. Der Geschäftsführer der Druckerei Druckservice Nord war lange Mieter in dem Haus und hat dessen Verfall miterlebt. „Das Haus hat in der Zeit mehrfach den Besitzer gewechselt und war eher ein Spekulationsobjekt“, sagt Schmidt. Seit 1993 war die Druckerei hier ansässig. Zuerst teilte sie sich die Räume mit einer Spielhalle. Als diese 2004 auszog, übernahm DSN die Fläche, ebenso die der Wohnung im ersten Obergeschoss.
„Das Haus ist sehr verschachtelt, es gibt noch einen Anbau“, sagt Schmidt. Nichtsdestotrotz waren er und seine sieben Mitarbeiter mit dem Standort sehr zufrieden und fühlten sich verbunden. Als es aber Mitte 2021 erneut den Besitzer wechselte und der Mietvertrag nicht verlängert wurde, wusste der Geschäftsführer, dass etwas Neues her muss. „Eine alternative Gewerbefläche in der Region zu finden, war alles andere als leicht“, sagt Schmidt. Fündig wurde er in Dassendorf, wo die Druckerei nun am Steinerweg ihren Sitz hat.
Auch eine Fleischerei war dort ansässig
Doch lange bevor an der Hamburger Landstraße Flyer und Prospekte gedruckt wurden, konnten Wentorfer hier Fleisch und Wurstwaren kaufen. Alteingesessene Wentorfer werden sich noch an die Schlachterei Kröger erinnern. Der Gründer und Fleischermeister Johannes Kröger war eine gewichtige Persönlichkeit, die in dem Büchlein „Schilleratsen. Vergnügliches und Absonderliches aus dem alten Wentorf“ Einzug hielt. 300 Pfund habe der Fleischermeister auf die Waage gebracht, schreibt darin Hans-Erwin Krause.
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Kröger war das „werbewirksamste Zunftschild“ für seine Fleischerei. Doch nicht nur gewichtig, auch direkt schien der Fleischer gewesen zu sein. Laut einer Anekdote habe er einer blasierten Kundin ins Gesicht gesagt, dass sie nicht wiederkommen brauche. Aus der Fleischerei ging später das Edeka-Geschäft Kröger an der Hauptstraße hervor, das die beiden Söhne, Peter und Dirk Kröger, führten und heute Snijders heißt.