Wentorf. Bei Windgeschwindigkeiten ab 100 km/h ist der Wald für Spaziergänger tabu. Tim Laumanns setzt auf gesunden Menschenverstand.
Der erste Herbststurm fegte am Donnerstag über Teile Schleswig-Holsteins hinweg, der Deutsche Wetterdienst warnte vor starken Böen und der Gefahr herabstürzender Äste. Tim Laumanns, Leiter der Revierförsterei an der Wentorfer Straße, mahnt, die Warnungen ernst zu nehmen. „Bei Windgeschwindigkeiten ab 100 Kilometer pro Stunde sollte man auf keinen Fall mehr den Wald betreten“, sagt der 55-Jährige. „Ich appelliere da an den gesunden Menschenverstand.“
Der Schrecken über den tragischen Unfall eines 60-Jährigen vor fünf Jahren sitzt bei Laumanns noch tief. Am 29. Mai 2016, es war ein sonniger Tag mit kräftigen Windböen, stürzte unweit des leerstehenden Hotels Waldschlösschen an der Wentorfer Straße aus zwölf Metern Höhe ein Ast auf den Spaziergänger. Die Verletzungen des 60-Jährigen waren so schwerwiegend, dass er später im Krankenhaus starb. „Ein unglaublich tragisches Schicksal. Daran knappere ich noch heute“, sagt der Revierförster. In seiner 25-jährigen Laufbahn war es der erste Unfall dieser Art: „Es ging um ein Zeit-Raum-Fenster von wenigen Sekunden. Einen Schritt schneller, dann wäre womöglich nichts passiert“, sagt er.
Herbsstürme: Ab 100 km/h Windgeschwindigkeit nicht mehr in den Wald
So sehr Laumanns sich gewünscht hätte, den Unfall zu verhindern, er hätte es nicht können. In einer vorgeschädigten Buche war die Krone abgebrochen und fiel auf den Ast eines danebenstehenden Baumes. Der krachte mit großer Wucht zu Boden und begrub den Spaziergänger unter sich. „Eine Verkehrssicherungspflicht wie bei Bäumen am Straßenrand gibt es im Wald nicht. Totholz gehört zum Wald. Es ist extrem wichtig für das Gesamtsystem“, sagt Laumanns. „Wer den Wald betritt, macht das auf eigene Gefahr, gehört ein Waldspaziergang laut einem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs zum normalen Lebensrisiko dazu.“
Was ihn aber mehr und mehr sorgt, ist der Grünastabbruch, ein Phänomen, das es zwar schon immer gab, dass durch den Klimawandel und die zunehmende Trockenheit aber verstärkt wird. Insbesondere alte Bäumen wie auf dem zehn Hektar großen Waldstück am Golfplatz Wentorf und im zwei Hektar großen Bergedorfer Gehölz auf Hamburger und Schleswig-Holsteiner Gebiet sind davon betroffen. Hier sind manche Buchen und Eichen bis zu 500 Jahre alt. Bei großer Hitze trennen sich die Bäume von eigentlich gesunden und grünen Ästen. „Man sieht vorher nie, welcher Ast abgeworfen wird. Es betrifft sowohl untere als auch obere Äste“, sagt der Forstwirt.
Der Wald konnte diesen Sommer durchatmen – geheilt ist er aber nicht
Wenn so ein 300 Kilogramm schweres Teil herabfällt, hört er das Krachen noch in seiner Försterei an der Wentorfer Straße, wo er mit Familie und Diensthund lebt. „Der Abbruch kann jederzeit und überall passieren – meist aber im Hochsommer nach langen Dürreperioden.“ Die blieben diesen Sommer glücklicherweise aus, Laumanns Bäume konnten etwas durchatmen. „Wirklich erholt oder geheilt ist der Patient Wald aber nicht“, sagt er. Trotz dieses regenreichen und kühlen Sommers sind die Wasservorräte längst nicht aufgefüllt. „Eine aktuelle Waldinventur zeigt, dass der Boden nicht einmal zwei Meter in die Tiefe mit Wasser gesättigt ist. Die Wurzeln aber reichen bis zu 15 Meter tief“, sagt Laumanns.
Die Spuren des Wassermangels sind schon heute eindeutig und für sein geschultes Auge sichtbar: Er zeigt auf eine riesige Eiche im Bergedorfer Gehölz. „Durch die Krone sieht man heute den blauen Himmel durchscheinen. Ältere Menschen werden sich noch gut an die vollen und geschlossen Eichenkronen in ihrer Kindheit erinnern.“
Wälder werden ihr Gesicht verändern – mehr Kirche, Esskastanie, Küstentanne
Eichen sind zwar wärmeliebend, mit der Trockenheit, die seit zehn Jahren ein Dauerproblem ist und bereits mit dem Frühjahr einsetzt, kommen sie aber nicht zurecht. „Jedes Jahr fällen wir allein im Gehölz 15 bis zu 250 Jahre alten Eichen. Den Buchen geht es nicht wesentlich besser.“
Deshalb setzt Laumanns bei Neuanpflanzungen auf klimaresistentere Arten wie Esskastanie, Kirsche, Nussbaum, Roteiche, Douglasie und Küstentanne. „Die Wälder werden in den nächsten Jahren ihr Gesicht verändern, ganz verschwinden aber werden sie nicht“, ist sich Laumanns sicher. Er lädt ausdrücklich dazu ein, den Wald weiterhin an sturm- und eisfreien Tagen als Naherholungsgebiet zu nutzen und bittet darum, lautes Knacken ernst zu nehmen.