Lübeck. Richter bezweifelt, dass Angeklagter von falschen Identitäten wusste. Erleichtert wird der Jurist nach dem Prozess aber nicht sein.

Als am Donnerstagmittag das Urteil vor dem Schöffengericht fällt, ist spürbar, wie sehr die vergangenen Wochen den Angeklagten und seinen Verteidiger belastet haben müssen. Ein Notar aus Lauenburg musste sich wegen Falschbeurkundung in vierzehn Fällen vor dem Amtsgericht Lübeck verantworten. Und nun: Freispruch. Die Staatsanwaltschaft aber legte bereits am Donnerstagnachmittag Berufung gegen das Urteil ein.

„Das Gericht hat so starke Zweifel, dass der Angeklagte nicht verurteilt werden kann“, erklärt der Richter in der Urteilsbegründung. Demonstrativ ballt der 71-Jährige die Faust, sein Verteidiger legt freundschaftlich den Arm um seinen Rücken. Auch für ihn steht bei diesem Prozess viel auf dem Spiel.

Prozess: Verteidiger arbeitet in Kanzlei des Notars aus Lauenburger

Seit 2002 arbeitet er als Rechtsanwalt in der Kanzlei des Angeklagten, dessen Zulassung als Notar im August 2021 aus Altersgründen abgelaufen war. „Ich kenne den Angeklagten seit 25 Jahren. Es sind Anschuldigungen, die überhaupt nicht nachzuvollziehen sind“, sagt er.

Sichtlich angespannt erscheinen die beiden Juristen am Donnerstagmorgen im Gerichtssaal. Während der Verhandlung hält der Angeklagte – weißes Hemd mit schwarzen Streifen, graukarierte Anzugweste, dunkelblaue Stoffhose – einen roten Kugelschreiber in den zitternden Händen.

Mandant wies sich offenbar mit unterschiedlichen Identitäten aus

Die Anschuldigungen wiegen schwer. Der Angeklagte soll im Zeitraum von 2016 bis 2020 in insgesamt 14 Fällen Falschbeurkundungen über die Übertragung von Geschäftsanteilen und den Wechsel von Geschäftsführern vorgenommen haben. Der Verdacht: Ihm soll bekannt gewesen sein, dass die neu eingetragenen Geschäftsführer unter falschem Namen aufgetreten seien.

Am Donnerstag werden Kopien von den Personalausweisen der vermeintlichen Geschäftsführer vorgestellt. Zu sehen sind Dokumente von drei Männern arabischer Herkunft. „Für mich sehen die sehr, sehr ähnlich aus“, sagt der Richter zum Angeklagten. „Ich kann das nicht beurteilen. Das ist ja schon fünf Jahre her“, entgegnet dieser.

Staatsanwalt sicher: „Springt einen an, dass da etwas nicht echt sein kann“

In den Unterlagen taucht außerdem ein belgischer Pass auf, dessen Unterschrift offenbar maschinell erstellt wurde. Konnte das dem Notar wirklich nicht auffallen? „Es wird immer das beurkundet, was der Mandant sagt“, beschreibt der Angeklagte. „Ich habe keine Chance, das zu verifizieren.“

Für den Staatsanwalt hat sich der Tatverdacht eindeutig bestätigt. „Aus meiner Sicht hatte der Angeklagte Kenntnis über die gefälschten Identitäten“, sagt er. „Es springt einen an, dass da etwas nicht echt sein kann. In der Gesamtschau sind das zu viele solcher Fälle.“

Zwei Jahre Haft gefordert – Angeklagter „fassungslos“

Zudem wurden die Beurkundungen in unterschiedliche Branchen überschrieben. Einer der Mandanten etwa wurde an ein und demselben Tag als Geschäftsführer eines Restaurants und eines Medienbetriebes eingetragen. „Dem Angeklagten war es gleichgültig, was hier abgelaufen ist“, meint der Staatsanwalt. „Man kann die Formalien beachten und trotzdem eine Straftat begehen.“

Weil er die Falschbeurkundungen billigend in Kauf genommen habe, fordert die Staatsanwaltschaft eine zweijährige Haftstrafe. Der Angeklagte ist angesichts dieser Forderung „fassungslos“. „Mir ist nicht aufgefallen, dass es sich nicht um drei unterschiedliche Personen handelt“, beteuert er.

„Das Notarbüro ist nicht mit Interpol verbunden. Ein Notar ist kein Ermittlungsbeauftragter“, sagt der Verteidiger, die Hände dabei in die Hüften gestützt. Der Angeklagte habe jährlich 5000 Ausweisdokumente sichten müssen. „Es ist dabei schlicht nicht möglich, zu erkennen, ob eine Person mit falscher Identität mehrfach vorkommt.“

Fall geht möglicherweise vors Landgericht Lübeck

Das Gericht kommt am Ende zu einer ähnlichen Auffassung: „Wenn man die Anklageschrift liest, sieht es erst mal schlimm aus“, sagt der Richter. „Bei Betrachtung der Gesamtanzahl machen die genannten Fälle aber nur einen niedrigen einstelligen Prozentbereich aus.“ Es könne nicht nachgewiesen werden, ob der Angeklagte die Auffälligkeiten erkannt hat oder nicht.

Wird der Berufung stattgegeben, dann wird der Fall demnächst vor dem Lübecker Landgericht neu verhandelt.