Lauenburg. 1960 kam Giuseppe Distefano als Gastarbeiter nach Deutschland und fand seine große Liebe – bei bayerischer Blasmusik.
„Hast du Lust auszuwandern?“, fragte jemand, der den Vermittler kannte. Einfach so. „Warum nicht“, sagte Giuseppe Distefano. War es Abenteuerlust, die den jungen Sizilianer damals trieb? Oder der Wunsch, sich ein bisschen Wohlstand zu ersparen? „Ich weiß es nicht mehr“, sagt der 86-Jährige. Was er damals noch nicht ahnte: Er wird für immer in Deutschland bleiben. Und er wird dort seine große Liebe finden: Gisela, mit der er inzwischen 60 Jahre verheiratet ist.
Giuseppe Distefano war einer von rund 166.000 meist jungen Italienern, die im Jahr 1960 ihre Heimat verließen. Der deutschen Wirtschaft fehlten damals Arbeitskräfte. Unternehmen schickten ihre Vermittler in alle Teile Italiens, um Gastarbeiter anzuwerben – so auch in das kleine Dorf im Herzen Siziliens, in dem der damals 24-jährige Giuseppe lebte.
Diamantene Hochzeit feiern Giuseppe und Gisela Distefano
So schnell er sich entschlossen hatte, seine Sachen zu packen, solange wurde seine Geduld auf die Probe gestellt. In Deutschland muss alles seine Ordnung haben – das lernte er ziemlich schnell. Zuerst sollte er sich nämlich von dem deutschen Arzt, der extra zu diesem Zweck eingereist war, gründlich untersuchen lassen. Denn nur wer jung, kräftig und gesund ist, war im fernen Wirtschaftswunderland willkommen. Und von einem Reisepass hatte der Sizilianer zuvor auch noch nie etwas gehört.
Besondere Ansprüche an seine künftige Tätigkeit hatte er nicht, wenn er nur nicht im Freien arbeiten muss. „Ich hatte von jemandem gehört, dass die Winter in Deutschland so kalt sind, dass das Gesicht einfriert, erzählt er. Giuseppe Distefano hatte Glück. Er unterschieb seinen Arbeitsvertrag für den Innendienst und wurde der Güterabfertigung der Bundesbahn zugeteilt.
Giuseppe Distefano kam per Zug nach Hamburg
Gastarbeiter Am 3. Oktober 1960 traf der junge Mann aus Sizilien mit dem Zug in Hamburg ein. „Wir kamen in saubere, ordentliche Gemeinschaftsunterkünfte. Ich war gespannt auf mein neues Leben. Die Leute waren sehr nett, auch wenn ich kein Wort von dem verstand, was sie sagten“, erinnert er sich.
Sprachkurse oder gar Konzepte zur Integration waren für die Gastarbeiter damals nicht vorgesehen. Schließlich sollten sie arbeiten, Geld zusammensparen und nach ein paar Jahren wieder verschwinden. Nach Feierabend blieben die Gastarbeiter meist unter sich. „Kein Zutritt für Italiener“ stand in den 1960er Jahren an mancher Gastwirtschaft. Doch Giuseppe Distefano war neugierig auf das Land, in dem er jetzt lebte. Die ersten Worte lernte er von seinem Vorarbeiter. „Bald konnte ich mich auch außerhalb der Arbeit ganz gut verständigen“, weiß er noch.
Bei bayerischer Blasmusik hat es in Hamburg gefunkt
Als Giuseppe Distefano nach Deutschland kam, verstand man hier noch nichts von italienischer Küche. „Ehrlich gesagt, habe ich die Spaghetti nicht sehr vermisst. Haxe, Gemüse und Kartoffeln schmeckten mir“, sagt der Sizilianer lachend. Kein Wunder also, dass er und seine Freunde nach einem Konzert in Hamburg in dieses Bayerische Restaurant einkehren wollten. „Es war brechend voll und eine Kapelle spielte. Wir wollten schon wieder gehen“, erinnert er sich.
An einem der Tische saß Gisela, eine junge Lauenburgerin, die mit ihrer Freundin zuvor eine Vorstellung im Hansa-Theater besucht hatte. „Ich sah ihn und hoffte, dass er die freien Plätze sieht. Da kamen die Männer schon auf uns zu“, erzählt die heute 86-Jährige. Wann genau das war, darüber sind sich Gisela und Giuseppe Distefano nicht ganz einig – nur, dass es Liebe auf den ersten Blick gewesen sein muss. Und im Hintergrund schepperte bayerische Blasmusik. Der 25-Jährige sprach da schon ganz gut deutsch. „Was heißt ,Ich liebe dich’ auf italienisch?“, wollte die Lauenburgerin wissen.
Auf der Reeperbahn waren sie an diesem Abend noch bummeln – und von da an unzertrennlich. Oft sehen konnten sie sich in dieser Zeit allerdings nicht. „Ich war damals Pflegerin in einem Altenheim in Berkenthin und Giuseppe arbeitete in Schichten. Handys gab es ja damals noch nicht“, erzählt sie
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Seit Weihnachten 1961 gehörte der junge Mann zur Familie
In einer Zeit, als viele Gastarbeiter in Deutschland als „Itaker“ und „Spaghettifresser“ beschimpft wurden, besuchte Giuseppe Distefano mit klopfendem Herzen Giselas Eltern im verschlafenen Lauenburg. Das war Weihnachten 1961. Zwar hatte ihn seine Freundin schon vor dem Antrittsbesuch versucht zu beruhigen, aber die Aufregung blieb. „Meine Mutter sagte: Hauptsache er ist gut zu dir“, erzählt Gisela Distefano. Und als der Vater feststellte, dass der künftige Schwiegersohn keine zwei linken Hände hat, war dieser in seiner neuen Familie endgültig aufgenommen.
Das Rezept ihrer Ehe: Respekt und nicht nachtragend sein
Am 24. August 1962 heirateten Gisela und Giuseppe Distefano im Lauenburger Schloss. Da fühlte sich der Sizilianer schon fast wie ein Einheimischer. „Von Fremdenfeindlichkeit habe ich hier nichts gemerkt“, sagt er. Seiner Frau ist eine Episode aber im Gedächtnis geblieben. „Der Standesbeamte hatte wohl ein Problem mit unserer Beziehung. Er legte uns immer neue Steine in den Weg. Mal fehlte dies, mal fehlte das.“ Verhindern konnte der Beamte die Ehe nicht. 1964 wurde die Tochter geboren, ein Jahr später der Sohn. Die diamantene Hochzeit hat die Familie mit Freunden und Verwandten im Hotel Bellevue gefeiert.
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Norddeutsche Ruhe und sizilianisches Temperament, passt das denn? Kein Problem, meint Gisela Distefano und verrät das Geheimnis: „Den anderen respektieren, wie er ist. Wenn einer von uns wirklich mal böse ist, geht er kurz raus. Danach ist alles wieder gut.“