Geesthacht. Laute Misstöne im St. Barbara Chor, zahlreiche Mitglieder gingen. Beim Weihnachtsoratorium sang der Chor nur mit halber Besetzung.

Früher war es stets der konzertante Höhepunkt des Jahres gewesen. Nun blickte der eine oder andere Musikliebhaber, der Donnerstagabend das Weihnachtskonzert des St.-Barbara-Chors besuchte, erstaunt auf die kleine Schar der Chormitglieder. Statt der gewohnten bis zu 70 Akteure waren nur etwa 30 Sänger und Sängerinnen dabei. Gähnende Leere auch auf den Sitzbänken. Nur rund 100 Zuschauer waren gekommen. Unter der Leitung des ehemaligen Chorleiters Prof. Wolfgang Hochstein waren die Karten eine begehrte Ware gewesen. Innerhalb von zwei Stunden verkaufte der Chor damals bis zu 350 Konzertkarten.

So voll war es früher vor dem Dirigenten: Unter Leitung von Prof. Hochstein sangen bis zu 70 Mitglieder mit.
So voll war es früher vor dem Dirigenten: Unter Leitung von Prof. Hochstein sangen bis zu 70 Mitglieder mit. © Ariaane D. Funke | Ariaane D. Funke

Auch das Programm, zuvor immer hochkarätig, lief anders als gewohnt ab. Das Weihnachtskonzert, das traditionell immer zwischen den Jahren veranstaltet wird, fand erstmalig unter der Leitung des neuen Chorleiters Christoph Weyer statt. Im Mittelpunkt stand das Weihnachtsoratorium von Heinrich Fidelis Müller aus dem Jahre 1879. Der neue Chorleiter hat das Konzertprogramm bewusst mit „volkstümlichen“ und „gemütvollen“ Musikstücken zusammengestellt.

Es gab ausschließlich deutschsprachige Stücke zu hören

Bei seinem Vorgänger Prof. Wolfgang Hochstein, der Musikwissenschaftler leitete den renommierten Chor 33 Jahre lang, waren hochkarätige Stücke Programm, im Jahr 2019 etwa mit Werken des tschechischen Komponisten und Kapellmeisters Frantisek Xaver Brixi (1732-1771) bis hin zu John Rutters modernen Stücken – ein fulminantes und abwechslungsreiches Konzert. Hochstein setzte bei seinem Programm auch gern auf das eine oder andere fremdsprachige Stück. Dieses Mal gab es ausschließlich deutschsprachige Chorwerke zu hören.

Viele Plätze blieben unbesetzt. Sonst waren die Konzertkarten gewöhnlich innerhalb von zwei Stunden ausverkauft gewesen, nun blieben 100 unverkaufte Karten an der Abendkasse zurück.
Viele Plätze blieben unbesetzt. Sonst waren die Konzertkarten gewöhnlich innerhalb von zwei Stunden ausverkauft gewesen, nun blieben 100 unverkaufte Karten an der Abendkasse zurück. © Ariaane D. Funke | Ariaane D. Funke

Unter den Zuhörern war auch Prof. Wolfgang Hochstein: „Ich bin wehmütig, aber auch neugierig auf das Konzert“, sagte der ehemalige Chorleiter, der die Chorleitung im Sommer 2021 als 71-Jähriger aus altersbedingten Gründen abgegeben hatte. „Nach der langen, pandemiebedingten Unterbrechung wird der Wiederbeginn der Proben zwangsläufig eine Art von Neubeginn bedeuten. Ich selbst habe mich immer wieder gefragt, ob ich diesen Neubeginn leisten kann und will“, sagte Hochstein damals. Im Spätsommer diesen Jahres dann ist aus dem Chor ausgetreten.

Der neue Chorleiter ist ein ausgewiesener Musikexperte

Genauso wie sein Vorgänger ist auch Christoph Weyer ein ausgewiesener Musikexperte. Er hat an der Folkwang-Musikschule in Essen Kirchenmusik studiert. Inzwischen befindet er sich im Promotionsstudium am Musikwissenschaftlichen Institut in Hamburg. Neben dem St. Barbara Chor leitet er auch den Chor der Thomas-King-Kantorei in Bramfeld.

Der Chorleiterwechsel war kein leichtes Unterfangen. Im April 2022 musste ein angesetztes Passionskonzert nach Beginn des Kartenverkaufs kurzfristig abgesagt werden, weil der Chor nicht ausreichend vorbereitet war. In den vergangenen Monaten verließen 56 Sänger und Sängerinnen die Sangesgemeinschaft. Einige aus altersbedingten Gründen, andere, weil sie sich mit der Arbeit des neuen Chorleiters nicht anfreunden konnten. Im Februar bestand der Chor noch aus 81 Mitgliedern, im August waren nur noch 56 Mitglieder dabei. Aktuell besteht der Chor aus 25 Stimmen. Für das jetzige Weihnachtskonzert wurden sogar zehn Mitglieder der St. Thomas Kantorei aus Bramfeld dazugebeten.

Mitglieder treten aus, weil sie die frühere Qualität des Chores vermissen

Auch Prof. Wolfgang Brocks, der 25 Jahre im Chor dabei war, trat aus. Ausschlaggebend war wiederum das Chorkonzert am 18. September. „Das Konzert ist weit hinter der von früheren Jahren gewohnten Qualität des Chores zurückgeblieben. Aus meiner Sicht war es auch eine Mogelpackung und Zumutung für die Zuhörer. Statt der angekündigten zwei Messen von Dvorak und Vierne wurde ein Verschnitt aus Bruchstücken präsentiert, weil der Chor erneut nicht ausreichend vorbereitet war. Von über 80 Chormitgliedern Anfang des Jahres haben gerade einmal noch 30 bei diesem Konzert mitgewirkt“, sagt Prof. Wolfgang Brocks.

Seiner Erinnerung nach waren bei dem Konzert noch fünf Bässe, dabei, von denen drei dann nach dem Septemberkonzert den Chor verlassen haben. Auch andere ehemalige Chormitglieder üben Kritik, wollen ihren Namen aber nicht in der Zeitung lesen. Zu hören sind Stimmen wie „Er macht einen Kirchenchor aus dem Konzertchor“ und „Er ist ein guter Musikwissenschaftler, aber Chorleitung kann er einfach nicht“. Aber es gibt auch andere Meinungen. Adrienne Henry etwa hielt dem Chor die Treue. „Natürlich ist jetzt vieles anders. Der neue Chorleiter ist eben jünger und erwartet beispielsweise, dass man sich auch mal etwas bei YouTube anschaut, das kann man doch durchaus mal machen“, sagt die 67-Jährige, die seit 1983 dabei ist.

Der neue Chorleiter Christoph Weyer ist optimistisch, dass der Chor wieder neue Mitglieder bekommt.
Der neue Chorleiter Christoph Weyer ist optimistisch, dass der Chor wieder neue Mitglieder bekommt. © Ariaane D. Funke | Ariaane D. Funke

Die Zuschauer waren vom diesjährigen Konzert angetan

Im Mittelpunkt des diesjährigen Weihnachtskonzerts stand das Weihnachtsoratorium von Heinrich Fidelis Müller. Er war zuletzt Domdechant in Fulda. Unter der Leitung von Christoph Weyer bot die überschaubare Anzahl der Sänger und Sängerinnen ein feierliches Konzert.

auch, wenn alles anders war als sonst, gefielen die 75 Minuten offensichtlich dem Gros der wenigen Zuschauer, die sich Karten besorgt hatten. Zum Schluss gab es einen langen, donnernden Applaus, so wie früher. „Ich fand das Konzert wunderbar“, meinte die Geesthachterin Ingrid Mraz. Auch der 57-jährigen Escheburgerin Anja Eigler hat es gefallen. „Ich bin auch schon bei Konzerten der Vorjahre dabei gewesen. Ich fand es fantastisch, und die Stimmung war so schön festlich“.

Neuer Chorleiter bleibt optimistisch

Der neue Chorleiter wirft angesichts der Kritik die Flinte trotzdem nicht ins Korn. .„Ich bin optimistisch, dass der Chor wieder Zuwachs bekommt. Momentan sind wir noch in der Kennenlernphase. Der Start war auch durch die coronabedingten Auflagen schwierig. Wir konnten nur mit sehr viel Abstand zueinander proben, das war schwierig, da man sich so untereinander nicht gut hört“, sagt Christoph Weyer.

Nach dem Auftritt ist vor dem Aufritt. Der Chor startet am 12. Januar mit den Proben für das Himmelfahrtsoratorium. Auf dem Programm steht „Lobet Gott in seinen Reichen“ von Johann Sebastian Bach. Wer Interesse am Mitsingen oder an Karten hat, findet Informationen dazu unter www.sbc-geesthacht.de.