Geesthacht. Manfred Wilkens aus Geesthacht geht einen ungewöhnlichen Schritt. Auch wegen einiger Erlebnisse beim Einparken.

„Meine Frau hat schon gesagt: ,Ich bin in Zukunft aber nicht dein Chauffeur’“, erzählt Manfred Wilkens. Der Grund ihrer Befürchtung: Ihr Mann hat seit Montag keinen Führerschein mehr. Freiwillig. Am Freitag wurde er 70 Jahrealt, am Montag, 21. November, fuhr er um 10.50 Uhr mit der Gemahlin nach Lanken zum Fachdienst Straßenverkehr des Kreises.

„Hingegangen, aufgestanden, weggegangen – es hat gerade mal zwei Minuten gedauert“, schildert Manfred Wilkens nüchtern einen durchaus bedeutenden Vorgang im Leben eines Menschen: Die Abgabe des Führerscheins. Manfred Wilkens, in Geesthacht gut bekannt durch seine Tätigkeit beim Weißen Ring und der Rudergruppe, besaß seinen 52 Jahre lang.

Manfred Wilkens: „Ich möchte keine Gefahr für andere sein“

Die Sachbearbeiterin erfuhr erst vor Ort, warum Manfred Wilkens zu ihr gekommen war. Bei der Anmeldung per Computer lässt sich dieser spezielle Punkt nicht erfassen, nur, dass es um eine Führerscheinangelegenheit gehe. Sie zeigt sich nicht überrascht. „Kommt das oft vor?“, wollte Manfred Wilkens von ihr wissen. „Ab und zu“, sagte sie ihm. Sie druckte dann ein Formular aus. „Sie haben am 21.11.2022 freiwillig auf den Führerschein verzichtet“, steht dort nüchtern. Manfred Wilkens quittierte.

Er liebäugele bereits seit Jahren mit der Abgabe an diesem Termin, erzählt Manfred Wilkens. Einen konkreten gesundheitlichen Anlass gibt es nicht, es ist der schleichende Verschlechterungsprozess des Körpers, den man Alterung nennt. „Hören, sehen, von Reaktionszeiten gar nicht erst zu sprechen – ich möchte für andere keine Gefahr sein“, meint er. Seit 45 Jahren ist er unfallfrei unterwegs.

Gruppe 75plus verursacht die mit Abstand meisten Unfälle

„Früher fuhr man bei der Parklücke einmal vorwärts, dann rückwärts rein“, sagt er. Nun gehe es zweimal vor und zurück. „Und kürzlich habe ich einen noch Älteren beobachtet, der achtmal hin und her rangierte und schließlich meinen Wagen dabei zweimal touchierte“, berichtet Manfred Wilkens. Und dann gibt es natürlich noch die richtig gefährlichen Situationen: „Vor ein paar Wochen geriet ein Rentner bei einem tödlichen Unfall in den Gegenverkehr“, erinnert er sich und regt an: „Wenn jemand mit 50 zur Vorsorge geht, könnte es doch einen Untersuchungsposten extra für die Führerscheintauglichkeit geben. Das würde ich positiv finden.“

Für das Jahr 2021 hat die Polizeidirektion Ratzeburg 151 durch Senioren verursachte Unfälle im Kreis Herzogtum Lauenburg erfasst, bei 85 Unfällen kamen Personen zu Schaden. Der Anteil der mindestens 65-Jährigen am Unfallgeschehen lag bei 14,8 Prozent. Verletzt wurden insgesamt 98 Menschen, getötet einer. Die mit Abstand meisten Unfälle verursachte die Altersgruppe 75plus mit 84 Fällen (55,6 Prozent), gefolgt von den 65- bis 69-Jährigen mit 43 Fällen und den 70- bis 74-Jährigen (39 Fälle). Im Nachbarkreis Stormarn liegen die Zahlen sehr ähnlich, auch hier stellt die Gruppe 75plus die meisten Verursacher (97 Fälle, 54,2 Prozent). Junge Fahrer (18 bis 24 Jahre) verursachten im Herzogtum vergangenes Jahr 130 Unfälle.

Im Großraum Hannover läuft die Aktion „Fahrschein statt Führerschein“

Eine Statistik, wie viele ältere Autofahrer freiwillig ihren Führerschein zurückgegeben haben, führt der Kreis nicht. Das Polizeirevier in Geesthacht auch nicht. „Wenige, sehr wenige“, war aus Kreisen der Wache zu hören. Vielleicht bedarf es ja auch nur des richtigen Anstoßes.

Im Großraum Hannover läuft gerade die Aktion „Fahrschein statt Führerschein“ des regionalen Verkehrsverbundes GVH. Senioren, die ihren Führerschein abgeben, bekommen eine Seniorennetzkarte für das gesamte GVH-Gebiet für ein Jahr geschenkt. Die Aktion ist so erfolgreich, dass sie gerade um zwei weitere Jahre bis Mitte November 2024 verlängert wurde. 3388 ältere Autofahrer haben ihre Fahrerlaubnis zurückgegeben.

Im Jahr 2020 gaben bundesweit 35.978 Menschen ihren Führerschein freiwillig zurück, führt das Statistikportal an, ohne Altersgruppen zu nennen. Aber im Jahr 2019 sollen gut 16.500 Senioren den Führerschein abgegeben haben. Etwa 10 Millionen Autofahrer im Alter von über 65 Jahren haben in Deutschland einen Führerschein.

Polizei nicht zuständig für Rückgabe des Führerscheins

Die Polizei sei nicht die richtige Adresse für die Abgabe, heißt es aus der Geesthachter Wache. Falls jemand zur Abgabe erscheine, werde er zwar nicht weggeschickt, aber „eigentlich haben wir nichts damit zu tun“, sagt ein Polizeibeamter. Erste Wahl ist der Fachdienst Verkehr in Lanken. Der Führerschein kann dort persönlich mit Termin oder schriftlich abgegeben werden. Wichtig ist, dass derjenige schriftlich bestätigt, dass er freiwillig auf die Fahrerlaubnis verzichtet. Er erhält dann eine Empfangsbestätigung mit dem Hinweis, dass er nicht mehr im Besitz der Fahrerlaubnis ist und keine Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr führen darf.

In der Regel wird ein abgegebener Führerschein drei Jahre lang aufbewahrt und dann vernichtet – sofern man ihn nicht entwertet und als Andenken mit nach Hause nimmt. Die Aufbewahrungsfrist kann sich auf zehn Jahre verlängern, falls es Auffälligkeiten in der Fahrerlaubnisakte gibt. Solle man es sich später wieder anders überlegen, müsste man eine neue Fahrerlaubnis erwerben. Dabei können dann durch die Führerscheinbehörde auch zusätzliche Nachweise verlangt werden wie ein medizinisches Gutachten oder eine medizinisch-psychologische Untersuchung.

Schule hat sein Vorbild unter Freunden und Bekannten nicht gemacht

Auf der Geburtstagsfeier von Manfred Wilkens war die bevorstehende Rückgabe natürlich ein großes Thema. „95 Prozent der Gäste wussten es vorher schon, und die Hälfte hat es gut gefunden“, sagt Manfred Wilkens, der früher als Berater im Justizdienst gearbeitet hat. Schule hat sein Vorbild indes nicht gemacht. Der allgemeine Tenor: „Das könnte uns nicht passieren“, berichtet er.

Sein „grauer Lappen“ liegt übrigens noch bei ihm herum. Vor eineinhalb Jahren hat er ihn umgetauscht gegen den neuen Führerschein im Scheckkartenformat und entwertet mit nach Hause genommen. Als er sich 1970 bei der Fahrschule Weber in Geesthacht anmeldete, konnte er bereits Autofahren, erzählt Manfred Wilkens. Er brauchte acht Fahrstunden auf einem VW 1300, gekostet hat das 468,11 D-Mark. Die Summe hat er sich gemerkt, weil sie so komisch unrund war.

„Habe schon einige PS-starke Fahrzeuge gefahren“

Autofahren hat er indes zuvor auf den Feldwegen bei Hohenhorn gelernt. „Früher ist die Polizei noch nicht so viel Streife gefahren. Auf den Feldwegen war abends um 22 Uhr nichts mehr los. Und die, die dann noch da waren, das waren die ,Lappenlosen’“, erinnert er sich lachend.

Manfred Wilkens mochte immer Autos: „Ich habe schon einige PS-starke Fahrzeuge gefahren. Zum Beispiel einen Audi 200 mit 180 PS. Und in den 80er Jahren habe ich mal einen Bitter gekauft mit 5,4 Liter Hubraum und 230 PS.“ Mitte der 70er Jahre leistete er sich als junger Mann einen VW Scirocco GTI.

An diesem Wagen hatte er nicht lange Freude: Er überschlug sich und landete auf dem Dach. „Das kommt im Alter alles wieder“, meint er. „In der Jugend traut man sich zu viel zu und im Alter auch. Ich bin zwar kein Missionar, aber ich appelliere an die Älteren, gut über ihre Fahrtüchtigkeit nachzudenken. Es gibt keinen Grund, bis Ultimo zu fahren.“