Hamburg. Wartelisten, längere Prüfungszeit, hohe Durchfallquote. Letztere erklären Fahrlehrer mit zwei Hamburg-spezifischen Phänomenen.

Wer in Hamburg seinen Führerschein machen möchte, muss derzeit viel Geduld mitbringen. Es gibt nicht genug Termine für die praktische Prüfung, sowohl für neue Fahrschüler als auch für Nachholer, die beim ersten Versuch durchgefallen sind. Der Grund sind vor allem die vielen ausgefallenen Prüfungen in der Lockdown-Zeit, doch auch der Personalmangel setzt der Branche zu. Ebenso wie aktuelle Corona-Erkrankungen. Trotz personeller Aufrüstung kommt es laut Fahrlehrerverband Hamburg zu Engpässen und teils langen Wartezeiten.

„Es ist eine angespannte Situation“, sagt Vincenzo Lucà, Sprecher vom TÜV Süd, zu dem der TÜV Hanse gehört, dessen Mitarbeiter die Fahrprüfungen in Hamburg abnehmen. „Wir arbeiten am Anschlag.“ Im ersten Halbjahr dieses Jahres habe man bereits 25 Prozent mehr Prüfungen abgenommen als im ersten Halbjahr 2021, auch sonnabends biete man Termine an.

Lange Wartezeiten für Führerscheinprüfung

Im Vergleich zu 2019, also vor Corona, gebe es aktuell 2,5 Prozent mehr Prüfungen – allerdings wurde die Prüfungsdauer seitdem von 45 auf 55 Minuten erhöht. Gehe man nur nach der Anzahl der Prüfungsminuten, biete man derzeit sogar 20 Prozent mehr Prüfungen als vor der Pandemie an, so Lucà.

Im ersten Halbjahr 2022 hat der TÜV Hanse 14.877 Prüfaufträge durch den Landesbetrieb Verkehr, der zuvor alle Unterlagen der Anwärter kontrolliert, bekommen. Zwei Jahre zuvor waren es in dem gleichen Zeitraum noch 10.262 Aufträge. Rund 39.000 Prüfungen werde man in diesem Jahr schätzungsweise durchführen, heißt es vom TÜV Hanse. Dafür würden auch Kollegen aus der Fahrzeugprüfung eingesetzt, die zuvor aber noch entsprechend vorbereitet werden müssen, was ebenfalls Zeit koste. „Wir haben nicht endlos Kollegen“, sagt der TÜV-Hanse-Sprecher. „Kurzfristig können wir die Zahl der Prüfungen nicht noch mehr erhöhen.“

Einige Fahrschulen geraten an Kapazitätsgrenzen

Die gesamte Fahrausbildung in einem halben Jahr abzuschließen, wie es vor Corona eigentlich möglich gewesen ist, sei derzeit nicht zu schaffen, sagt Sabine Darjus, Vorsitzende des Fahrlehrerverbands Hamburg. Neben den langen Wartelisten für Prüfungstermine haben auch die Fahrschulen selbst „nicht immer ausreichend Kapazitäten, allen Fahrschülern eine angemessene Anzahl an Fahrstunden zur Verfügung zu stellen“. Einige Fahrschulen hätten zeitweise Aufnahmestopps verhängen müssen.

Bei der Fahrschule Zimny in Bergedorf nimmt man zwar weiterhin Schüler auf – macht aber deutlich, dass es zu Wartezeiten kommen kann. „Vor Corona hatte ein Schüler in der Regel zwei Wochen nach seiner Anmeldung die erste Fahrstunde. Heute wartet er eher fünf Wochen“, sagt Fahrschulleiterin Nicole Neubauer. „Wer sich heute anmeldet, kann nicht mehr davon ausgehen, dass er noch in diesem Jahr seinen Führerschein bekommt.“

Zu wenig Fahrlehrer in Hamburg

Neubauer und ihre Kollegen versuchen, Fahrstunden und Prüftermine so gut es geht zu organisieren und im Voraus zu planen. Dabei müssen sie auch immer noch Fahrschüler unterbringen, die in der Lockdown-Zeit zwar online den Theorieunterricht absolvierten, aber noch keine Fahrstunde gemacht hätten. Die fünf Fahrlehrer sind komplett ausgebucht, und Neubauer ist dankbar, dass ein Kollege, der eigentlich in Teilzeit gehen wollte, derzeit Vollzeit dabei ist. Weitere Fahrlehrer seien auf dem Markt nicht zu bekommen.

Das größte Problem sei aber die limitierte Anzahl an Prüfterminen. Gerade auch für die Durchfaller verlängere sich die Ausbildungszeit deutlich. Während man vor Corona bereits nach zwei Wochen wieder in der praktischen Prüfung gesessen habe, müssten die Wiederholer heute dreimal so lange warten.

Jeder zweite Fahrschüler in Hamburg fällt durch

Und das sind viele: Im vergangenen Jahr fiel knapp die Hälfte aller Fahrschüler (49,1 Prozent) durch die praktische Prüfung – so viele wie in keinem anderen Bundesland. Eine Quote, die immer weiter steigt – vor zehn Jahren lag sie bei rund 44 Prozent. Selbst in Berlin lag die Durchfallquote mit 42 Prozent deutlich niedriger. In Schleswig-Holstein mussten nur rund 30 Prozent die Prüfung wiederholen.

Dass gerade in Hamburg so viele durch die Prüfung rasseln, hat laut Fahrlehrerverband mehrere Gründe. Zum einen liege es an den vielen Baustellen in Kombination mit dem vergleichsweise schlechten Zustand der Straßen. So gebe es viele abgefahrene oder temporäre und nicht vollständig wieder entfernte Markierungen sowie verblichene und zugewachsene Verkehrszeichen, die den Prüflingen die Orientierung erschwerten.

Fahrschüler scheitern an „skrupellosen“ Autofahrern

Zum anderen liege es an der Mentalität der Hamburger Autofahrer. „Sie werden immer skrupelloser“, sagt Sabine Darjus, Vorsitzende des Fahrlehrerverbands Hamburg. „Die gegenseitige Rücksichtnahme geht verloren – obwohl sie sogar in der Straßenverkehrsordnung verankert ist.“ Viele würden sich hinter der Anonymität in ihrem Auto verstecken. Das mache es den Fahranfängern sehr schwer. „Anstatt des Fahrschulschildes könnte ich hinten am Auto genauso gut ein ,Bitte-überholen-Schild‘ anbringen“, sagt Darjus. In Berlin dagegen würde sie sehr viel mehr Gelassenheit und Rücksichtnahme erleben – vermutlich, weil man Ortsunkundige dort gewohnt sei.

Und alle, die durchfallen, benötigen zusätzliche Prüftermine. Für die praktischen Prüfungen bekommen die Fahrschulen Termine vom TÜV Hanse zugeteilt. Stünden mehr Bewerber zur Prüfung an als es zugeteilte Termine in einer Woche gibt, müssten diese auf mehrere Wochen verteilt werden, so Sabine Darjus vom Fahrlehrerverband. Dadurch ziehe sich die Ausbildung in die Länge. In Extremfällen über mehr als ein Jahr.

Liegt hohe Durchfallquote an Lernverhalten?

Dass die Schüler in Hamburg im Schnitt 50 Fahrstunden brauchen – zehn mehr als noch vor zehn Jahren – und so viele am Ende trotzdem nicht bestehen, liegt laut Fahrlehrerverband auch am heutigen Lernverhalten. „Die Fahrschulen beklagen ein sogenanntes Bulimie-Lernen, das heißt, für die Theorie wird alles schnell auswendig gelernt, doch in der Praxis bleibt nicht mehr viel von dem Wissen übrig“, sagt Sabine Darjus.

Der Fahrlehrerverband mahnt, dass die Fahrschüler den theoretischen und praktischen Unterricht nacharbeiten und jede Fahrstunde vorbereiten sollten. „Die Fahrausbildung darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden“, sagt Darjus.

„Gerade neulich hatte ich während einer Prüfung in Hamburg den Fall, dass der Fahrschüler – wie bei rechts vor links vorgeschrieben – langsam an eine Straße heranfuhr und plötzlich von dem Auto hinter uns links überholt wurde“, berichtet die Vorsitzende des Fahrlehrerverbands.

Wäre der Fahrschüler in dem Moment weitergefahren, hätte er den Überholer gefährdet und die Prüfung wäre für ihn vorbei gewesen, so Darjus – obwohl eigentlich der andere Autofahrer die gefährliche Situation überhaupt hervorgerufen hat.