Norderstedt . Das Thema Autofahren im Alter ist mit vielen Emotionen behaftet. Ein Infotag in Norderstedt versucht, sachlich aufzuklären.

Nicht mehr Autofahren zu dürfen, den Führerschein abzugeben oder schlimmer noch abgenommen zu bekommen – für deutsche Senioren ist das der denkbar schwerste Einschnitt in die Selbstbestimmung. Gleichbedeutend mit dem Verlust jeglicher Lebensqualität, der Vereinsamung und Isolierung. Nicht mehr jederzeit überall hinfahren zu können, stattdessen nur noch Bus zu fahren, die Bahn zu nehmen – ein Grauen, unzumutbar, der Albtraum schlechthin.

„Es ist keine Sturheit, weswegen bei Senioren das Thema Autofahren im Alter ein Tabu-Thema ist. Es ist die Angst vor den vermeintlichen Folgen. Und auch die Erkenntnis der Vergänglichkeit am Ende eines Lebens“, sagt Tanja Barthel vom Norderstedter Pflegestützpunkt. Sie muss es wissen. Im Zentrum werden Senioren und ihre Angehörigen zu allen Fragen rund um das Älterwerden beraten. Das Autofahren ist dabei als Thema ein Dauerbrenner. Und ein besonders emotionaler noch dazu.

Welt-Alzheimertag: Tag rund ums Autofahren im Alter

Denn da sind nicht nur die Ängste der Alten hinterm Steuer. Sondern auch die ihrer Kinder, die zuschauen, wenn sich Papa oder Mama mit 20 Prozent Sehkraft und stark verzögertem Reaktionsvermögen auf einem Auge noch mit 83 ans Steuer setzen und „nur mal eben den vertrauten Weg in den Supermarkt“ fahren.

Die Kinder können berichten von tiefen Zerwürfnissen und bitterbösem Streit, nur weil sie das Thema Führerscheinabgabe mal ganz sanft angeschnitten hatten. „Doch wir müssen dringend reden über das Thema – sachlich und ohne Emotionen“, sagt Ulrich Mildenberger, Leiter des Pflegestützpunktes. Deswegen haben er und die Verantwortlichen von 15 Senioreneinrichtungen der Stadt sich zusammengetan und zum Welt-Alzheimertag einen Tag rund um das Autofahren im Alter organisiert.

Einen ganzen Nachmittag lang soll es im Plenarsaal des Rathauses um den Senior am Steuer gehen. Kai Hädicke-Schories, Verkehrsexperte der Polizei Norderstedt, wird die Unfallanalyse übernehmen und der Frage nachgehen, wie gefährlich Senioren am Steuer wirklich sind.

Die Statistik sagt über die beiden Risikogruppen im Norderstedter Verkehr: 18.894 Norderstedter sind 65 Jahre und älter, sie stellen 24,2 Prozent der Stadtbevölkerung und sind für 15,8 Prozent aller Unfälle 2017 verantwortlich (86 Unfälle). 5086 Norderstedter sind im Alter von 18 bis 24 Jahren, sie stellen 6,5 Prozent der Menschen in der Stadt und hatten bei 11,7 Prozent aller Unfälle im Jahr 2017 Schuld (64 Unfälle).

Wer nicht will, dass es erst zum Unfall kommt, sollte sich aktiv mit seiner Fahrtauglichkeit auseinandersetzen und dabei nicht allein auf die Jahrzehnte lange, unfallfreie Erfahrung am Steuer und die getrübte Selbsteinschätzung vertrauen. Fahrlehrer Siegfried Todzi aus Norderstedt wird über die Möglichkeiten sprechen, wie sich alte Menschen die Fahrtauglichkeit mit speziellem Training möglichst lange erhalten können.

Viele Senioren sind bei diesem Thema verlegen

Doch was ist, wenn beim alten Menschen die Demenz fortschreitet, er oder sie aber trotzdem noch ans Steuer wollen? Antje Holst vom Kompetenzzentrum Demenz Schleswig-Holstein beantwortet in ihrem Vortrag alle Fragen dazu. Es gibt einen Katalog an Auffälligkeiten, anhand dem jeder die Anzeichen für die eigene Fahruntauglichkeit erkennen kann. Holst wendet sich außerdem an die Angehörigen und gibt Ratschläge, wie man den Betroffenen behutsam auf ein Leben ohne Auto vorbereitet. Denn – es gibt ein Leben ohne Auto und Führerschein, auch ganz ohne Isolation und Einbußen in der Lebensqualität. Doch viele Senioren wollen das nicht wahrhaben. „Das wichtigste ist das Autofahren. Und alle Senioren wollen den Ausweis für das Parken auf den Behindertenparkplätzen haben“, sagt Susann Piazza vom Mitveranstalter Norderstedter Pflegeteam. „Ich weiß nicht, wie viele Diskussionen ich darüber schon geführt habe. Immer sind die Menschen enttäuscht, wenn sie erfahren, wie schwer es ist, den zu bekommen.“

Beim Verteilen der Broschüren für den Infotag im Rathaus erntete Piazza verlegene Blicke von den Senioren. „Die sehen das Thema und haken das gleich ab.“ Und Adina Tack vom Servicehaus der Arbeiterwohlfahrt berichtet: „Eine Dame sagte, das brauche sie nicht, sie fahre ja sowieso nur noch zum Einkaufen und zurück.“

Elektroscooter statt Auto?

Dirk Hamdorf von Adasoft hingegen schaffte es, seinen Vater umzustimmen, der nach dem Aus am Steuer todtraurig war. Heute fährt er mit einem Elektro-Scooter durch die Gegend. „Erst wollte er da nicht draufsitzen. Doch das Ding hat alles: Hupe, Licht, Bremse, vier Reifen. Er probierte es aus – und hatte gleich wieder ein Lächeln im Gesicht. Heute fährt er Wege im Dorf, die er sich früher mit dem Auto nicht getraut hat. Und er fährt sogar fünf Kilometer zu seinem Skat-Kumpel ins Nachbardorf!“ Übrigens: Die Elektroscooter stehen bei der Veranstaltung zum Ausprobieren bereit.

Autofahren im Alter, Fr 21.9, 13.30 bis 17.30 Uhr, Plenarsaal des Rathauses Norderstedt (Rathausallee 50). Das Grußwort wird der Segeberger Landrat Jan Peter Schröder sprechen. Es moderiert Ulrich Mildenberger.