Geesthacht. Schock bei Haushaltsberatungen: 770.000 Euro soll die Stadt künftig für den ÖPNV an den Kreis zahlen. Diese Folgen drohen.
Als Geesthachts Finanzpolitiker im Rahmen ihrer Beratungen zum Haushaltsentwurf für das Jahr 2023 beim Produktsachkonto für die ÖPNV-Zuweisungen an den Kreis Herzogtum Lauenburg gekommen waren, wurden sie hellhörig. Die jahrelang konstanten Abschlagszahlungen an den Kreis hatten sich plötzlich um 300.000 Euro erhöht. Fortan beläuft sich die Summe auf stolze 770.000 Euro jährlich.
Dabei ist eine Verbesserung des innerstädtischen Busverkehrs, der mit dem Posten abgegolten wird, im kommenden Jahr nicht vorgesehen. Schon gar nicht in dieser Größenordnung. Dem Preisanstieg, der einer Steigerung um 64 Prozent entspricht, wollten die Lokalpolitiker dann nicht ohne Weiteres zustimmen. Sie versahen die Summe mit einem Sperrvermerk. Das heißt: Erst nach weiteren Beratungen kann der Betrag freigegeben werden. Schließlich steht noch eine andere Frage im Raum: Drohen Geesthacht etwa auch Nachzahlungen in Millionenhöhe für den ÖPNV?
ÖPNV: Muss Geesthacht Millionen nachzahlen?
Geesthachts Kämmerer Heiner Roßmann hatte dem Finanzausschuss zuvor berichtet, dass der Kreis seit Jahren zwar Abschlagszahlungen kassiert hat, genaue Abrechnungen mit den Verkehrsbetrieben Hamburg-Holstein (VHH) für die vergangenen sieben Jahre aber noch gar nicht erfolgt sind. Geesthacht hat sogar seit elf Jahren keine detaillierte Abschlussrechnung erhalten. Für 2012 bis 2015 sollen sie demnächst vorliegen.
„Ist denn da jetzt noch mehr zu erwarten?“, wollte nicht nur der CDU-Fraktionsvorsitzende Arne Ertelt wissen. Denn würden sich etwaige Nachzahlungen im selben Rahmen bewegen wie der erhöhte Abschlag, ergäbe sich eine Summe von 3,3 Millionen Euro.
Unstimmigkeiten zwischen Vertragspartnern bei Abrechnung
Dass solange nicht abgerechnet wurde, können sowohl die Geesthachter Verwaltung als auch die Lokalpolitiker nicht nachvollziehen. „Wenn ich Forderungen habe, etwa auf ausstehende Steuern, sind die Ansprüche nach vier Jahren verjährt“, wundert sich Kämmerer Roßmann. Es wurde einstimmig festgelegt, dass Vertreter in den Finanzausschuss eingeladen werden sollen, um Licht ins Dunkel zu bringen.
Unsere Redaktion ist den Ursachen für den zeitlichen Verzug schon einmal nachgegangen, hat aber nur widersprüchliche Antworten erhalten. „Es gibt Unstimmigkeiten zu den Leistungsdaten zwischen den Verkehrsbetrieben und dem Kreis“, teilt Kreissprecher Tobias Frohnert mit. Zudem hätten eine unbesetzte Stelle sowie längere Krankheit seitens der VHH zum Verzug geführt.
Streitpunkt: Welche Datengrundlage ist richtig
Das Vertragswerk sei überdies aufgrund einer Vielzahl von Regelungen sehr komplex, was die Abrechnung sehr aufwendig mache. Einerseits gebe es Änderungen im Busverkehr in den Städten und dem Kreis, die bezahlt werden müssen. Andererseits könne es sein, dass sich eine Fahrplanänderung, die mit dem Kreis originär gar nichts zu tun habe, bis dort durchschlage.
„Es kann für die VHH sinnvoll sein, dass sich dann auch eine Fahrt von Bergedorf nach Geesthacht um eine Minute ändert und daher auch eine Fahrt im Geesthachter Stadtverkehr. Diese gesamten Änderungen sind von allen Abrechnungsstellen, also HVV GmbH und VHH, in den jeweiligen Systemen einzupflegen und zu synchronisieren. Hierbei gab es in der Vergangenheit oft Uneinigkeit darüber, welche Daten richtig sind“, so die Kreisverwaltung. Dass sich die Vertragsparteien nicht auf eine Datengrundlage einigen konnten, steht zudem einer Verjährung entgegen, führte Frohnert an.
Grüner Verkehrsexperte rätselt auch
Der Geesthachter Verkehrsexperte Gerhard Boll (Grüne) klärt auf: „Es kann theoretisch passieren, dass wir nach einer Fahrplanänderung den Halbstunden-Takt im Stadtverkehr auf den Linien 239 und 339 nicht halten können und einen zusätzlichen Bus einsetzen müssen. Das würde dann kosten“, sagt Boll. Zudem würden auch Regionallinien wie die 120 teilweise mit bei der Stadt abgerechnet.
Allerdings stellt Boll klar: „Die 70.000 Euro, die wir für den Halbstundentakt im Heuweg bezahlen müssen, wurden, soweit ich weiß, schon vorher mit eingestellt. Für 2023 sind mir keine Änderungen bekannt, die den Anstieg rechtfertigen.“ Boll sollte es wissen, denn der Stadtplanungsausschuss, dessen Vorsitzender er ist, befasst sich mit dem ÖPNV.
Auch dass im September 2021 Busfahren im Geesthachter Stadtgebiet eine Woche kostenlos war, kann keine gewichtige Rolle spielen. Bei den Beratungen in der Stadt war die Rede davon, dass es die Stadt lediglich rund 5800 Euro koste.
„Da steigt kein Normalsterblicher durch“
Die Höhe der fälligen Nachzahlungen, die Geesthacht bevorstehen, kann der Kreis auch nicht beziffern. Neben einem inflationsbedingten Anstieg der Lohn- und Treibstoffkosten seien die zusätzlich gebuchten Leistungen zu berücksichtigen. Das könne Geesthacht also selbst ausrechnen: „Da der Stadt bekannt ist, welche Leistungen sie hinzugebucht hat, erhöht sie ihren Haushaltsansatz entsprechend“, heißt es aus der Kreisverwaltung.
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Eine Aussage, der Kämmer Roßmann widerspricht. „Für die Berechnungen ist der Kreis zuständig, da steigt ja kein Normalsterblicher durch. Ich plane meinen Haushaltsansatz nach der Abschlägen, die der Kreis verlangt“, sagt Roßmann. In diesem Fall belief sich Anstieg auf 300.000 Euro. Rund 350.000 Euro von den bisherigen 470.000 Euro waren dabei für den innerstädtischen Busverkehr, mit dem Rest wird unter anderem das Geesthachter City-Ticket abgerechnet.
VHH verweist an Kreis und Stadt
Die VHH weisen in dem konkreten Fall jede Schuld von sich. „Wenn Städte mehr ÖPNV haben möchten, kann eine weitere Leistung bestellt werden, die dann von den jeweiligen Bestellern bezahlt werden muss. In dem Fall schließen Aufgabenträger und Stadt Refinanzierungsverträge hierzu.
Da ist die VHH nicht involviert“, teilte Sprecherin Susanne Rieschick-Dziabas mit. Auf konkrete Fragen zu den nicht erfolgten Abrechnungen zwischen Kreis und VHH und bis wann etwaige Nachzahlungen zu entrichten sind, ging sie gar nicht ein.
Lauenburg und Schwarzenbek drohen keine horrenden Nachzahlungen. Der Haushaltsansatz bleibt in Lauenburg mit 150.000 Euro konstant. In Schwarzenbek gab es in der Vergangenheit keine Stadtbuslinie, die soll erst 2023 eingerichtet werden.