Geesthacht. Bei genauerer Betrachtung bergen die Geesthachter Dünen einen Wald voller Geschichte. Was hinter den Trümmern steckt.
Das Grün des Waldes ist so dicht, als gäbe es den Blick auf zerbrochene Betonformationen nur ungern preis. Fingerdicke Stahlarmierungen ragen aus den Trümmern. Jogger laufen vorbei, Familien spazieren auf lockerem Sand und scheinen keine Notiz zu nehmen von den geschichtsträchtigen Ruinen in den Besenhorster Sandbergen, einem Lost Place im Norden. In den Dünen am Geesthachter Elbufer stehen noch die Reste einer einst gigantischen Schießpulverfabrik mit Tausenden Arbeitern.
Jochen Meder kennt das Gelände wie vielleicht kein Zweiter. Dennoch muss auch er sich immer wieder auf einem Auszug des Lageplans von 1944 versichern, den richtigen Pfad zu besonders eindrucksvollen Ruinen zu finden – etwa zu dem noch weitgehend intakten Gebäude mit ehemals vier Pulverpressen.
Lost Places im Norden: Reste einer gigantischen Schießpulverfabrik
Der 74 Jahre alte frühere Biologie- und Erdkundelehrer führt regelmäßig Gruppen nicht nur durch das Dünengelände, sondern auch durch den Stadtteil Düneberg. Dort stehen noch Gebäude aus den frühen Jahren der ab 1877 aufgebauten Pulverfabrik. Meder selbst hat 1978 eines der historischen und unter Denkmalschutz stehenden Häuser gekauft und zu schönen Wohnungen hergerichtet.
Warum er sich im Förderkreis Industriemuseum Geesthacht engagiert? „Wir haben den Verein gegründet, weil wir mit der Art, wie diese Historie hier in Geesthacht behandelt wurde, nicht so ganz zufrieden waren“, sagt Meder. Die Geschichte mit Zwangsarbeit und Krieg sei in der Stadt lange weitgehend verdrängt worden. Aus seiner Sicht sollte sie aber dargestellt werden, es sollte darüber gesprochen werden. „Man darf es nicht vergessen.“
Viele Gebäude wurden im Laufe der Jahrzehnte abgerissen
Gefangene aus dem nahe gelegenen Konzentrationslager Neuengamme seien in der Pulverfabrik nicht eingesetzt worden, sagt Meder. Warum, sei nicht ganz klar. „Wahrscheinlich haben sich das die Direktoren verbeten.“ Nicht geklärt sei auch, warum es nur einen Luftangriff gegeben hat, erst kurz vor Kriegsende am 7. April 1945.
Nach Angaben des Archivars der Stadt Glinde, Carsten Walczok, gab es tatsächlich zahlreiche Betriebe, die zwar Zwangsarbeiter einsetzten, aber keine KZ-Gefangenen. Bei der Pulverfabrik könnte das zum Beispiel an der Art der Arbeit gelegen haben, für die bestimmte Fachkenntnisse nötig waren. Zwangsarbeiter waren unter anderem Frauen und Männer, die aus den besetzen Gebieten verschleppt worden waren.
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Der älteste Teil der Fabrik unter anderem mit Direktorenhaus, Verwaltungsgebäuden, Werkstätten, Kirche und dem alten Bahnhof ist heute weitgehend in einem Gewerbegebiet aufgegangen. Viele Gebäude wurden im Laufe der Jahrzehnte abgerissen. Die alte Arbeitersiedlung am Rande ist jetzt ein schmuckes Wohngebiet. Auf bebilderten Hinweistafeln finden Interessierte Erklärungen zur Geschichte des Ortes.
Flachdächer zur Tarnung mit Gras, Sträuchern und Bäumen bewachsen
Ab 1934 wurde das Pulverwerk massiv erweitert. Das Flussdünengebiet am Stadtrand sei dazu besonders gut geeignet gewesen, erklärt Meder. Weil jeweils nur eine oder wenige Pressen oder Walzen in einem Gebäude untergebracht waren und diese mit einem Wall aus Sand umgeben wurden, konnte im Fall einer Explosion eine Kettenreaktion und größerer Schaden verhindert werden. Die Gebäude wurden aus massiven Betonstützen und -dächern gebaut und hatten leichte Wände, die bei einer Explosion nachgeben sollten, um den Druck abzuleiten. Zur Tarnung waren die Flachdächer mit Gras, Sträuchern und sogar Bäumen bewachsen.
Mit der Besetzung durch englische Truppen endete die Geschichte der Düneberger Pulverfabrik. Die Maschinen wurden abgebaut, viele Gebäude gesprengt und das Gelände später von Kampfmitteln gesäubert.
Lost Places im Norden: Gebiet steht unter Naturschutz
Seit 1980 steht das Gebiet der Besenhorster Sandberge und Elbsandwiesen unter Naturschutz. Spaziergänger und Wanderer dürfen die Wege nicht verlassen. „Vor allen Dingen, was natürlich viele verlockt, dürfen sie nicht in die Gebäude reingehen“, sagt Meder. Was auch nicht ganz ungefährlich wäre.
Meder wünscht sich, dass die Geschichte Geesthachts als ehemaliger Standort für die Produktion von Schießpulver und Sprengstoffen nicht in Vergessenheit gerät. Der 74-Jährige erinnert daran, dass auf der anderen, der östlichen Seite der Stadt noch die Reste der Nitroglyzerinfabrik zu finden sind, die Alfred Nobel 1865 auf dem Krümmel gründete. Ein Jahr später erfand Nobel das Dynamit. Ein Hinweisschild an der Autobahn wäre aus Meders Sicht eine gute Sache. Schließlich drehe sich in Geesthacht vieles um Energie - auch mit dem stillgelegten Atomkraftwerk und dem Pumpspeicherkraftwerk am Elbhang.