Geesthacht. Landeselternrat Schleswig-Holstein bezieht Stellung zur Idee, Klassen zu halbieren. Diskussionen um neue (Teil-)Schließung nehmen zu.
Eine Lehre des Corona-Lockdowns im Frühjahr lautet: Die Schulen sollen unbedingt geöffnet bleiben – das hat zumindest die Politik versprochen. Wegen zuletzt hoher Infektionszahlen und deutschlandweit mehr als 300.000 Schülern in Quarantäne, mehren sich Stimmen, die das nicht mehr als Dogma ansehen. „Die Lage ist leider außerhalb jeder Kontrolle“, schrieb SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach auf Twitter und sprach sich „ohne Wenn und Aber“ für eine Halbierung der Klassen aus. Doch ist das überhaupt umsetzbar, und was sagen Beteiligte dazu? Eine Bestandsaufnahme.
Schauplatz Otto-Hahn-Gymnasium (OHG) in Geesthacht. Die Q1 des 11. Jahrgangs hat gerade Geschichte bei Guido Haffke. Zur besseren Durchlüftung sind die Fenster geöffnet. Mehrere Schüler verfolgen den Unterricht in ihren Jacken. Alle tragen einen Mundschutz. Der geforderte Mindestabstand kann aufgrund baulicher Gegebenheiten nicht eingehalten werden.
Schulen und Corona: Hybrid-Unterricht wäre schwierig
Für Schulleiterin Kirsa Siegemund hat sich das praktizierte Modell aber bewährt: „Seit den Herbstferien hatten wir drei Corona-Fälle, aber keine Ansteckungen innerhalb unserer Schule.“ Dem pflichtet Kai Nerger von der Bertha-von-Suttner-Schule (BVS) bei: „Auch wenn wir mit neun Fällen relativ betroffen waren, hat das Hygienekonzept gegriffen.“ Im gesamten Kreis Herzogtum Lauenburg gab es von Anfang Oktober bis zum 10. November an allen Schulen insgesamt 22 Corona-Fälle.
Die Klassen aufzuteilen und einen sogenannten Hybrid-Unterricht bestehend aus Beschulung vor Ort und zu Hause anzubieten, würde viele Probleme mit sich bringen. Natürlich auch für Eltern, die wechselweise zu Hause bleiben müssen. „Die Schwierigkeiten werden nicht gesehen“, gibt BVS-Schulleiter Nerger zu bedenken. So könnte er unter Beachtung der Mindestabstände nur jeweils ein Drittel der Schüler im Klassenraum unterbringen. Eine Klasse auf mehrere Räume zu verteilen, geht auch nicht. „Wir haben weder doppelt so viele Räume noch genug Aufsichtskräfte“, sagt Kirsa Siegemund vom OHG.
Hybrid-Unterricht stellt Schulen und Eltern vor Probleme
Keine Lösung seien Vorschläge leer stehende Restaurants oder Turnhallen zu nutzen. Auch Jugendherbergen haben ihre Räume angeboten. „Das sind Wolkenkuckucksheime“, ärgert sich Kai Nerger. Es sprächen zu viele Argumente dagegen: Die Fahrpläne und Routen der Schulbusse. Die Erreichbarkeit für Schüler generell. Die technische Ausstattung der alternativen Unterrichtsstätten.
Jeder Lehrer bräuchte vorher beziehungsweise im Anschluss eine Freistunde, für den Weg von oder zur Jugendherberge. „Andererseits können wir auch nicht fünf Stunden Mathe am Tag unterrichten. So viel können die Kinder nicht aufnehmen. Und wer soll die Jugendherberge nutzen? Wir haben in Geesthacht acht Schulen. Wie viele Klassen könnten wir so unterbringen?“, fragt Siegemund.
„Jeder Tag Präsenzunterricht ist für die Kinder wichtig“
Sollte es dennoch zu einer Teilung der Klassen kommen, würde es nach Wunsch der Geesthachter Schulen zu einem tageweisen Wechsel kommen und der Stundenplan normal weiterlaufen. „Jeder Tag Präsenzunterricht ist wichtig. Kinder brauchen die persönliche Ansprache, die Motivation zum Lernen“, sagt die OHG-Schulleiterin. Die daheimgebliebenen Kinder würden Aufgaben gestellt bekommen. Ein digitaler Unterricht könnte nicht stattfinden, da die Lehrer ja in der Schule mit dem Rest arbeiten. „Es geht entweder nur mit doppeltem Personal- oder doppeltem Zeiteinsatz“, betont Karen Maurer von der Grundschule Buntenskamp.
Für ein Mithören des Unterrichts von Hause aus sind wiederum die Klassen technisch nicht gut genug ausgerüstet. Dass beide Gruppen, den gleichen Lernstoff schaffen, hält Siegemund zudem für ausgeschlossen.
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Für Thorsten Muschinski vom Landeselternbeirat Schleswig-Holstein ist die Lage daher klar: „Eine Halbierung der Klassen heißt auch eine Halbierung der Bildung.“ Die Digitalisierung der Schulen ist immer noch nicht weit genug vorangeschritten. „Wir haben nahezu eine identische Situation wie beim ersten Lockdown. Dann kommt wieder einmal pro Woche ein dicker Briefumschlag mit Aufgaben“, sagt Muschinski.
Lehrerverbände fordern, den Empfehlungen des RKI zu folgen
Seit den Herbstferien gilt in Schleswig-Holstein an allen Schulen die Maskenpflicht. „Dauerlüften und Maskentragen werden uns aber nicht durch den Winter bringen“, sagt Dirk Meußer, Landesvorsitzender und stellvertretender Bundesvorsitzender der Interessenvertretung der Lehrkräfte (IVL). „Es ist ein klares Handeln erforderlich, das sich differenziert und an lokalen Gegebenheiten, dem Alter der Schüler und Infektionszahlen orientieren muss. Bei einer Konzentration auf die Kernfächer und einer zeitweisen digitalen Beschulung vorrangig der höheren Klassen ließe sich ein Wechselmodell verwirklichen, das personell zu bewältigen wäre.“
Bildungsministerin für längere Weihnachtsferien
Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) hält nichts von einer Halbierung der Klassen. Sie könnte sich für ihr Bundesland aber eine Verschiebung des Unterrichtsbeginns nach den Winterferien vom 7. auf den 11. Januar vorstellen. Zudem gibt es einen neuen Erlass des Gesundheitsministeriums, der das Vorgehen bei Infektionsfällen regelt.
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„Das aktuelle Infektionsgeschehen an Schulen ist dadurch gekennzeichnet, dass zwar immer wieder Viruseinträge stattfinden, es jedoch selten zu Übertragungen in den Schulen selbst kommt“, heißt es. Deshalb wird die gängige Praxis abgeschafft, ganze Kohorten in Quarantäne zu schicken. Künftig müssen nur die direkten Sitznachbarn in Isolation.
- Umfrage: 23 Prozent der Eltern für Schulschließungen
Bei einer in dieser Woche veröffentlichten Umfrage des Landeselternbeirats zum Thema „Schule unter Corona“ gab es 7015 Teilnehmer. Darunter 516 aus dem Kreis Herzogtum Lauenburg, 859 aus Stormarn. 2111 davon halten die getroffenen Corona-Maßnahmen für „genau richtig“. 2660 empfinden sie als „nicht ausreichend“ oder „überhaupt nicht ausreichend“, für 1904 sind sie „zu viel“ oder „viel zu viel“.
Unter den gegebenen Bedingungen sind 1619 Teilnehmer oder rund 23 Prozent dafür, die Schulen umgehend zu schließen. 2887 sind dagegen. 2843 sagen, Schüler brauchen einen Präsenzunterricht. 2590 ist der Kontakt zu Gleichaltrigen wichtig. 3326 sind für unterschiedliche Formen der Klassenteilung (Mehrfachnennungen waren möglich).
Für 4390 Teilnehmer (knapp 63 Prozent) würde eine Schulschließung entweder eine große persönliche Belastung (2028) beziehungsweise eine große familiäre Belastung (2362) darstellen.