Aumühle. Aumühler sind in großer Sorge um ihre Immobilien. Was ist sozial und angemessen? Darüber streiten sie mit der Kirche. Was die sagt.
Susanne Radmann-Tietje kann es kaum erwarten, dass wieder Frühling wird. Die Aumühlerin liebt es, in ihrem Garten hinterm Haus an der Lindenstraße zu sitzen und das Gesicht in die Sonne zu halten. Die 72-Jährige hat das Glück, in einer der besten Gegenden der Gemeinde zu wohnen. Die benachbarten Villen sind groß. Die sechs Reihenhäuser Lindenstraße 15 bis 25 fallen da etwas in ihrer Einfachheit heraus.
Die 72-Jährige wohnt zusammen mit ihrem Mann Günther Radmann-Tietje (76) in einem Endreihenhaus. Leisten können sich der pensionierte Berufsschullehrer und die pensionierte Sozialarbeiterin das Wohnen in exklusiver Lage nur, weil sie von den günstigen Konditionen eines alten Erbpachtvertrags profitieren.
Die Eltern von Susanne Radmann-Tietje waren Flüchtlinge aus Danzig. Über Umwege landeten sie in Aumühle und brauchten dringend Wohnraum. Die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Aumühle half dabei, günstigen Wohnraum zu schaffen. Die Kirche ist Eigentümer des rund 3600 Quadratmeter großen Grundstücks an der Lindenstraße. Das stellte sie den vornehmlich Flüchtlingsfamilien ab 1955 kostengünstig per Erbpacht auf 75 Jahre zur Verfügung.
Erbpacht-Drama in Aumühle: „Wären hier gern alt geworden“
„Meine Eltern waren sehr glücklich, hier bauen zu können, einen eigenen Garten zu haben“, sagt Radmann-Tietje. Das Geld war in der Lehrerfamilie mit drei Kindern knapp. Auch deshalb war die Bauweise einfach, die Häuser fallen mit Wohnraumgrößen von maximal 75 Quadratmetern vergleichsweise klein aus.
„Ich musste mir ein Zimmer mit meinem Bruder teilen“, sagt Radmann-Tietje. Die Nachbarschaft war gut, es wurde viel gefeiert. Als junge Erwachsene zog Radmann-Tietje aus Aumühle weg und kehrte 2005 nach dem Tod der Eltern mit ihrem Ehemann zurück. „Wir wären hier gern alt geworden.“ Ob sie das können, steht jetzt infrage.
2029 läuft der Erbpachtvertrag aus. Im Raum steht, dass der neue Erbpachtzins sich um das 28-Fache erhöht, wahrscheinlich sogar mehr. Statt wie bisher 285 Euro müsste das Ehepaar dann mindestens 7980 Euro im Jahr zahlen. „Für uns ist das eine Menge Geld“, sagt Radmann-Tietje. Sie wisse nicht, wie sie das neben all den anderen Kosten stemmen sollen.
Erbpacht: „Wir haben lange Zeit zu wenig gezahlt“
Der Erbpachtzins orientiert sich am Wert eines Grundstücks. Zur Berechnung werden die Bodenrichtwerte hinzugezogen. Die allerdings sind in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter gestiegen – nicht nur in Aumühle. Hier liegt der Preis aktuell bei 500 Euro pro Quadratmeter. „Wir haben lange Zeit zu wenig bezahlt, aber eine Erhöhung um 2700 Prozent ist einfach nicht gerechtfertigt“, sagt Nachbar und Anwohner Andreas Grenda.
Zumal diese Berechnung bereits drei Jahre alt, der Bodenrichtwert seitdem weiter gestiegen ist. Der 63 Jahre alte Lehrer ist hier ebenfalls aufgewachsen und bemüht sich seit Jahren um eine „angemessene und sozial verträgliche Anpassung“ des Erbpachtzinses. Grenda hat bereits eine Menge Geld für notarielle Beratung ausgegeben, doch eine Einigung mit der Kirchengemeinde und dem Kirchenkreis blieb bis heute aus, was er sehr bedauert. Die scheitert an der Frage, was angemessen und sozial ist.
Da gehen die Meinungen weit auseinander. Einzelne Mitglieder des Kirchenvorstands halten dagegen, dass die Erhöhung zwei bis drei Monatsmieten entspreche und damit auf ein ganzes Jahr gesehen für ein Reihenhaus nicht übermäßig viel Geld sei. Namentlich zitieren lassen wollten sich die Mitglieder des Kirchenvorstands allerdings nicht. Sie zogen stattdessen die im Gespräch mit unserer Redaktion gemachten Zitate kurzerhand zurück.
Kirchengemeinde sieht keinen Spielraum für Verhandlungen
Tatsächlich ist die Kirchengemeinde nicht die einzige, die vor dem Problem explodierender Bodenrichtwerte steht. Auch Wohnungsbauunternehmen und -genossenschaften in Hamburg stöhnen unter der Last neu aufgerufener Erbpachtzinsen auf städtischem Grund. Auch deshalb setzt sich der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen dafür ein, den Erbpachtzins vom Bodenrichtwert zu entkoppeln, damit Wohnen weiter bezahlbar bleibt. Er fordert, dass der Zins frei verhandelt wird.
Für die Aumühler Kirchengemeinde ist das keine Option. Sie beruft sich auf die Vorgaben der Nordkirche und darauf, dass es ihre Pflicht sei, das vorhandene Vermögen treuhänderisch zu verwalten.
Auch bei der Frage, wie es um die Gesamtfinanzen der Gemeinde bestellt ist zeigten sich die Vertreter des Kirchenvorstands und des Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg schmallippig und verwiesen auf den zu den Öffnungszeiten des Kirchenbüros einsehbaren Haushalt.
Im Herbst vergangenen Jahres hat die Kirchengemeinde mit 1300 Mitgliedern einen Förderverein gegründet, um über Spenden unter anderem Kirchenmusik im Ort weiter finanzieren zu können. Der Verein trägt das Motto „Die Kirche im Dorf lassen.“
Zukunft des Grundstücks ist offen – Kirche äußert sich nicht
Im Dorf Aumühle würde das Ehepaar Radmann-Tietje auch gern wohnen bleiben. „Nicht zu wissen, wie es weitergeht, ist unerträglich. Jede Investition ins Haus versuchen wir zu vermeiden“, sagt die 72-Jährige.
Einen Verkauf der Grundstücke an die Erbpächter lehnt die Kirche grundsätzlich ab. Die Erbpächter wiederum haben bei der kurzen verbleibenden Restlaufzeit keine Chance, ihr Haus zu verkaufen.
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Bleibt den Erbpächtern nur die Hoffnung, dass sie sich doch noch mit der Kirchengemeinde einigen. Andreas Grenda hat die Hoffnung aufgegeben. Er wird das Haus seiner Kindheit wohl aufgeben – und nach Wentorf ziehen.
In dem Fall bekäme er als Hauseigentümer eine Entschädigung – zwei Drittel des geschätzten Verkehrswertes seines Hauses. Das Geld müsste die Kirchengemeinde aufbringen.
Falls am Ende keine Verlängerung der Erbpachtverträge zustande kommt, entsteht viel Raum für Neues. Konkrete Pläne für eine weitere Verwendung des Grundstücks nennt die Kirche bisher nicht.