Geesthacht. Geesthacht erlebt eine exklusive Premiere im Rahmen des Kultursommers am Kanal. Wie die Kirche zur passenden Shakespeare-Kulisse wird.

Des einen Leid, des anderen Glück: Während der Geesthachter Gemeinde der Anblick ihrer geliebten St. Salvatoris-Kirche zurzeit schmerzt, seit sie wegen der Sanierungsarbeiten an der Holzfassade hinter einer Bauplane verschwunden ist, ist die Abdeckung für Frank Düwel ein Grund zur Freude.

Denn das fahle Licht, das die trüben Planen ins Innere durchlassen, ist für den Intendanten des Kultursommers am Kanal die perfekte Illumination für ein ganz besonderes Theaterstück. In der Kirche wird König Lear aufgeführt, oder vielmehr „Lear – Königin im Moor“, wie das Stück bei Frank Düwel heißt. Die klassische, tragisch endende Shakespeare-Figur wird diesmal von einer Frau gespielt.

Theatermagie in St. Salvatoris: König Lear wird zur Königin

Die Idee, das Stück mit einer Frau in der Hauptrolle aufzuführen, hege er bereits seit Jahren, erklärt Frank Düwel. Dass sie von Herma Koehn gespielt werden muss, stand für ihn fest, als er sie bei einem von ihm produzierten Theodor-Storm-Abend 2023 als Mutter des Dichters erlebte. „Das wurde dann ein Mutter-Storm-Abend“, erinnert er sich.

Herma Koehn, sowohl Bühnen- als auch Film-erprobt, hat Erfahrung mit „dem Lear“. „Es war in den achtziger Jahren im Ohnsorg-Theater – damals auf Plattdeutsch“, erzählt sie. Es müsse Regan gewesen sein, die sie gespielt habe, eine der älteren – und fiesen – Töchter des Königs Lear. Drei sind es insgesamt, nur die jüngste hat bei Shakespeare ein Herz für den König.

Minimale Veränderungen verwandeln den Narren in die Töchter

Sie alle werden diesmal von Mario Gremlich verkörpert. Eigentlich spielt er hauptsächlich den Narren, reißt Witze und erlebt laut Frank Düwel „unglaubliche Wutausbrüche“. Der Rollenwechsel in einen weiblichen Part muss wie der Blitz erfolgen, minimale Veränderungen in der Kostümierung sollen reichen, den Rest erledigt die Vorstellungskraft des Publikums „Vielleicht reiße ich mir nur die Kappe vom Kopf“, erklärt Mario Gremlich.

„Mario ist der Mann hinter der Hauptrolle, der den Laden zusammenhält“, charakterisiert Frank Düwel sein Schaffen. Im Dezember steht er in Hamburg im Stage Theater im Michael-Jackon-Musical als Manager des Superstars auf der Bühne. Der Tausendsassa kann nämlich auch sehr gut singen.

Der gesamte Kirchenraum wird einbezogen, auch der Altar

In St. Salvatoris wird König Lear aufgeführt – leicht verändert als Königin. Sie sind Feuer und Flamme: Schauspielerin Herma Koehn (vorn) und ihr Kollege Mario Gremlich (Mitte hinten), Regisseur und Kultursommer-Intendant Frank Düwel (Mitte vorn), Bürgermeister Olaf Schulze (l.) und Stadt-Kulturmanagerin Julia Dombrowski (r.)
In St. Salvatoris wird König Lear aufgeführt – leicht verändert als Königin. Sie sind Feuer und Flamme: Schauspielerin Herma Koehn (vorn) und ihr Kollege Mario Gremlich (Mitte hinten), Regisseur und Kultursommer-Intendant Frank Düwel (Mitte vorn), Bürgermeister Olaf Schulze (l.) und Stadt-Kulturmanagerin Julia Dombrowski (r.) © Dirk Palapies | Dirk Palapies

Gespielt wird im gesamten Kirchenraum, auch auf den Altar kommt eine bedeutsame Rolle zu. Der Narr zieht mit der aller Macht beraubten Königin ins Ödland. Im Dialog mit ihm reflektiert die ehemalige Monarchin ihre Situation und erkennt, welche Fehler sie gemacht hat.

Zum Beispiel, die einzige Tochter, die es gut mit ihr meinte, fort gewiesen und das Reich den Falschen anvertraut zu haben. In der Begegnung mit dem Narren beginnt für Königin Lear eine Odyssee, bei der sie alle bisherigen Gewissheiten verliert. „Was zählt im Leben wirklich?“, wird zu einer der Kernfragen.

Den Krieg am Ende könne man getrost weglassen, findet der Regisseur

„140 Seiten der Vorlage sind Originaltext, 125 Seiten unsere Fassung“, erklärt Frank Düwel. So endet das Werk anders als bei William Shakespeares Drama, das vermutlich 1606 geschrieben wurde. „Alle sterben bei ihm – das machen wir nicht“, sagt er. So könne man die Geschichte mit dem Krieg, als das französische Heer eingreift, getrost weglassen. „Seine“ Königin geht am Ende nur ins Moor. Ob auch in den Tod, das wird nicht gezeigt. „Ich denke schon, dass ich in eine andere Welt gehe“, interpretiert Herma Koehn den Schluss.

Der Kultursommer hat in den vergangenen Jahren spektakuläre Produktionen nach Geesthacht geholt. In den Jahren 2021 und 2022 war das Gelände der ehemaligen Lungenheilanstalt im Edmundsthal eine perfekte Kulisse für Thomas Manns Zauberberg. Und im vergangenen Jahr spann Friedrich Schillers Wallenstein vor und im Geesthachter Rathaus die machtpolitischen Ränke.

Der Beweis: In Geesthacht könne man Theater machen, sagt der Bürgermeister

Einen Plan B, notfalls ein anderes Stück zu bringen, hätte es zu große Hindernisse gegeben, habe es nicht gegeben, sagt Frank Düwel. „Einen Plan B habe ich nie. Es gehört zur Kunst, Dinge anzunehmen, wie sie sind. Das ist ein Teil der Verabredung. Kunst muss etwas wagen“.

Bürgermeister Olaf Schulze freute sich, dass Frank Düwel mit den Produktionen den Beweis antrat, „dass es in Geesthacht Spielstätten gibt, wo man Theater machen kann. Ich glaube, das Publikum in Geesthacht ist da, auch für schwierigere Stücke“.

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Nach Geesthacht macht die Produktion an zwei weiteren Orten Station

Die Proben begannen am Donnerstag, 13. Juni, zunächst in Mölln. Erst in der Woche vor der Aufführung wird in St. Salvatoris geübt, dann auch mit Kostümen. Es gibt drei Aufführungen, die Premiere ist am Sonnabend, 6. Juli, um 19.30 Uhr in Geesthacht. Weitere Spielstätten sind am Sonntag, 7. Juli, die St. Petri-Kirche in Ratzeburg (18 Uhr) und am Freitag, 12. Juli, die Maria-Magdalenen-Kirche in Lauenburg (19.30 Uhr).

Die Organistin Victoria Dörksen steuert zum Stück Musik von Dietrich Buxtehude, Johann Sebastian Bach und Edvard Grieg bei. Karten im Vorverkauf für 25 Euro (ermäßigt 14 Euro) sind zu ordern bei der Stiftung Herzogtum Lauenburg per Mail an info@stiftung-herzogtum.de oder unter Telefon 04542/87 000. Restkarten gibt es an den Abendkassen der jeweiligen Orte.