Schwarzenbek. In Schwarzenbek werben die Parteien für die Europawahl. Doch viele Plakate werden abgerissen. Betroffene wittern System dahinter.

Inzwischen fragt sich Candy Rudolph schon, ob es noch etwas bringt, zu plakatieren. Der Vorsitzende des Schwarzenbeker SPD-Ortsvereins war in den vergangenen Wochen öfter unterwegs, um Plakate anlässlich der Europawahl am 9. Juni in der Stadt aufzuhängen. Doch die Mühe, die sich Rudolph und seine Mitstreiter machen, scheint vergeblich. Immer wieder werden die Plakate der Sozialdemokraten von Laternen abgerissen und auch großflächige Plakate zerstört.

Mehr als ärgerlich findet Rudolph das, da ein immenser Aufwand nötig ist, Wahlplakate in der Stadt aufzuhängen. „Ich bin extra mit einer Leiter unterwegs, hänge sie auf einer Höhe von drei bis vier Metern auf und binde sie auch eng mit Kabelbinder fest“, berichtet er.

Europawahl: Immer mehr zerstörte Plakate – Politiker sind wütend

Dass sie dennoch regelmäßig wieder abgerissen werden, wundert ihn. „Das passiert nicht mal so im Vorbeigehen. Die Plakate werden sauber entfernt. Da muss schon System dahinterstecken“, sagt Rudolph. Da die Parteien nach den Wahlen ihre Plakate eigenständig wieder einsammeln, wisse er, welcher Aufwand nötig ist, um sie zu entfernen.

Neben dem Faktor Zeit geht das ständige Plakatieren auch ins Geld: Schon vor der Demonstration für Demokratie und gegen rechts waren 18 Plakate im kompletten Stadtgebiet abgerissen worden. 360 Euro haben sie laut Rudolph gekostet. Noch teurer sind großflächige PVC-Plakate. Die standen im vergangenen Jahr auf der Wiese zwischen Europabrücke und Kerntangente und wurden dort an den viel befahrenen Straßen zerschlitzt.

In der Lauenburger Straße hängen nur Plakate der AfD

Um neue Großplakate anbringen zu lassen, müsse extra ein Plakatierer aus Hamburg bestellt werden. „Der findet das inzwischen auch nicht mehr lustig“, so Rudolph.

Einen Hotspot macht der Ortsvorsitzende an der Lauenburger Straße aus. Besonders in dem Bereich zwischen Kerntangente und Ortsausgang sei die Halbwertzeit der Wahlplakate gering. „Da braucht es manchmal nur Stunden, bis die wieder weg sind“, so Rudolph. Wer durch die Lauenburger Straße fährt, findet dort aktuell nur Plakate der AfD. Auf diesen wird sich gegen Zensur ausgesprochen.

Manche Politiker haben mulmiges Gefühl beim Plakate aufhängen

Erst in der vergangenen Woche wurde in Dresden der SPD-Politiker Matthias Ecke beim Plakatieren angegriffen. Er musste mit schweren Verletzungen in ein Krankenhaus gebracht werden. „Natürlich macht man sich da seine Gedanken“, sagt Candy Rudolph. Ein bisschen Angst sei schon dabei. Das Gefühl führe dazu, dass einige Parteimitglieder lieber nicht dabei sein wollen, wenn es ans Aufhängen geht.

Bei der Kommunalwahl 2023 wurden großflächige PVC-Plakate der SPD zerstört.
Bei der Kommunalwahl 2023 wurden großflächige PVC-Plakate der SPD zerstört. © Candy Rudolph | Candy Rudolph

Wie die SPD sind auch die Grünen in Schwarzenbek von der Zerstörung von Plakaten betroffen. „Das hat auch nichts mit Vandalismus zu tun, sondern hat System“, sagt der Ortsvorsitzende Kolja Ronneberger. Plakate würden nämlich nicht zerrissen am Boden liegen bleiben, sondern komplett verschwinden. Er gehe nicht davon aus, dass gelangweilte Jugendliche sich austoben, sondern Plakate gezielt ausgesucht werden.

Bürgermeister Lütjens verurteilt Zerstörung

Im Kommunalwahlkampf im Mai 2023 seien 60 bis 70 Plakate der Grünen in Schwarzenbek abgerissen worden. „Wir haben dann Anzeige gestellt. Die wurden allerdings alle ergebnislos eingestellt“, berichtet Ronneberger. Er würde sich wünschen, dass nicht nur die Polizei, sondern auch Bürgerinnen und Bürger Schwarzenbeks die Augen offenhalten. „Das ist wichtig für eine Demokratie“, sagt er.

Kaum Werbung für die Europawahl hat bisher die CDU aufgehängt. „Wir finden das extrem schlecht, was da passiert. Wir tolerieren so etwas nicht und fühlen mit den anderen Parteien“, sagt der Schwarzenbeker CDU-Fraktionsvorsitzende Paul Dahlke.

Besorgt zeigt sich auch Bürgermeister Norbert Lütjens: „Ich bin überzeugter Demokrat und verurteile das entschieden. Parteien des demokratischen Spektrums müssen sich präsentieren können.“

FDP-Landesgeschäftsstelle in Kiel angegriffen

„Plakatzerstörung nehmen wir auch wahr. Da verzeichnen wir eine stetige Zunahme“, sagt Till Lorenz, Pressesprecher des FDP-Landesverbands Schleswig-Holstein. Er bekomme von den Mandatsträgern seiner Partei gespiegelt, dass der Ton zuletzt rauer geworden ist. Auch einen Angriffe auf die Landesgeschäftsstelle in Kiel, unter anderem mit Eiern, habe es bereits gegeben, der aber nicht im Zusammenhang mit der Europawahl stand.

Angriffe auf Wahlhelfer oder Politiker wurden dem Landesverband bisher nicht gemeldet. Auch dass Mandatsträger oder andere Ehrenamtliche ihrer Tätigkeit nicht mehr nachgehen wollen, sei Lorenz nicht bekannt. „Das wäre für eine Demokratie das Schlimmste, wenn Menschen sich nicht mehr engagieren wollen, weil ihnen der Druck zu groß wird.“

Generell rauhes gesellschaftliches Klima

Keine sicherheitsrelevanten Vorfälle habe es gegenüber Grünen-Politikerinnen und Politikern in Schleswig-Holstein gegeben, wie Pressesprecher Malte Matzen berichtet. Wobei: Immer wieder sind die Geschäftsstellen der Partei im Visier von Angreifern.

Die Taten würden von Beschmierungen und beschädigten Schlössern bis hin zu eingeschmissenen Scheiben reichen. Auf die Geschäftsstelle in Neumünster gab es bereits mehrere solcher Angriffe. Im September 2023 und April 2024 landeten Steine in den Büroräumen der Partei.

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Angriffe gegen Personen habe es jedoch bisher nicht gegeben, auch wenn Matzen in den letzten Jahren eine gesamtgesellschaftlich aufgeheizte Stimmung wahrnimmt. „Das richtet sich gar nicht im Speziellen gegen Politiker, sondern zum Beispiel seit dem Angriff auf Israel gegen Juden“, so Matzen.

Damit die Parteimitglieder für Gefahrensituationen gewappnet sind, gibt es vom Bundesverband Handreichungen, wie man sich in bestimmten Situationen wie beim Türwahlkampf, beim Plakate aufhängen oder an Infoständen verhalten soll. „Für unsere Mitglieder gibt es dazu Schulungen. Die gibt es aber schon länger“, so Matzen.