Geesthacht. Gastronomie-Urgestein Günter Hagen blickt auf eine Zeit zurück, als Farbfernseher rar und Raucher in seiner Kneipe willkommen waren.
Gut sieht er aus, der Günter Hagen. Dem Geesthachter Gastronomie-Urgestein sieht man sein Alter nicht an. 90 Jahre alt ist er nun geworden, und die vielen Jahrzehnte im Schankraum zwischen Zigarettenrauch, Lärm, Bier und langen Arbeitszeiten haben bei ihm keine Spuren hinterlassen.
„Wenn Stammgäste um drei Uhr morgens noch lustig waren, habe ich mich schon mal zu ihnen gesetzt und mitgetrunken. Man muss aber wissen, wann Schluss ist“, sagt er über sein Geheimnis, und seine Augen blitzen verschmitzt. Beim Gastronomen-Gipfel mit Nachfolger Andreas Schmidt im Gasthaus Hagen spricht der frühere Betreiber eines der ältesten im Familienbesitz befindlichen Gasthäuser Geesthachts über alte Zeiten, Farbfernseher und legendären Bierkonsum.
Geesthachter Gastronomen-Urgestein Günter Hagen wurde 90 Jahre alt
Die Vorgeschichte des Gasthauses Hagen beginnt um 1720, als Frantz Erdmann Hagen aus Brunstorf nach Geesthacht umzieht, damals ein beschaulicher Ort mit rund 320 Einwohnern. Aber erst sein Ur-Urenkel Johann Friedrich Martin Hagen, ein Korbmacher, legte 1907 den Grundstein für das heute noch existierende Gasthaus.
Dort, wo nun der Garten der Gaststätte liegt, stand seine Kate. Zu Anlässen wie dem Schweine- und Ferkelmarkt war damals immer viel los im Örtchen. Und die Leute hatten mächtig Durst, stellte Johann Friedrich Martin Hagen fest. Er beantragte eine Konzession für einen Ausschank in der Diele des Hauses – das Gasthaus Hagen war geboren.
Der Riecher im Jahr 1907 war richtig: Die Gastwirtschaft florierte
Der Geschäftssinn hatte ihn nicht getäuscht. Der Betrieb florierte und wurde zunehmend ausgebaut. Schlachter Karl Martin Hagen und Ehefrau Elli waren die Eltern von Günter Hagen, nach dem Tod des Vaters 1965 übernahm er die Gaststätte zusammen mit Ehefrau Rosi. Erst 1994 zogen sich die beiden wegen einer Erkrankung von Rosi zurück. Sie verstarb 2007.
Tochter Birte wirkte weitere vier Jahre in den Räumen. Am 1. Februar 1998 schließlich übernahm Andreas Schmidt als Inhaber die Geschäfte, die Immobilie selbst blieb im Familienbesitz. „Weil früh klar war, dass meine Schwester die Gaststätte übernehmen sollte, habe ich mich damit nie auseinandergesetzt“, sagt Frank Hagen, warum die Gastronomen-Tradition der Hagens damit endete.
Der Bierumsatz war früher legendär – heute muss es auch alkoholfreies Weizen geben
Günter Hagen kommt weiterhin immer mal wieder gern hierher, nur dann als Gast. Die hübsche Zapfanlage im Gasthaus – italienisches Design – stammt noch von seiner letzten Modernisierung. Andreas Schmidt hat bisher keine Notwendigkeit gesehen, den Blickfang am Tresen auszutauschen, sie gefällt ihm. Der Bierumsatz war früher legendär, lag bei 90 bis 100 Hektolitern im Jahr. Davon kann Andreas Schmidt nur noch träumen. 20 Hektoliter seien es mittlerweile.
„Das Verhalten zum Alkohol und auch zum Rauchen war ein komplett anderes“, sagt er. „Früher gab es nur ein bis zwei Biersorten im Angebot, heute müssten es schon vier verschiedene Sorten sein. Und alkoholfreies Weizen wird mittlerweile mehr getrunken als das normale“, sagt Andreas Schmidt. Damals wurde die Freizeit in die Gaststätte verlegt. „Die Leute haben sich abends ihr Frühstücksbrot in der Gaststätte schmieren lassen, um es am nächsten Morgen mit zur Arbeit zu nehmen“, weiß Andreas Schmidt.
Zur WM 1970 gab es nur halbe Liter – und den ersten Farbfernseher
Der Geschäftssinn seines Urahnes zeichnete auch Günter Hagen aus. Er wusste immer, was gut für das Geschäft war. Ein Schachzug war die Anschaffung eines Farbfernsehers rechtzeitig zur Fußball-WM 1970. Den hatte damals kaum jemand. Prompt war es zu allen Übertragungen brechend voll. „Es gab nur halbe Liter. Für zehn Mark konnte man saufen satt“, erzählt Günter Hagen.
Wegen der GEZ- und GEMA-Gebühren verzichtet Andreas Schmidt heutzutage auf TV und Radio. Bei ihm läuft Spotify als Stream. „Der große Unterschied ist: Wir sind jetzt eine Speisewirtschaft, früher war es eine urtypische Geesthachter Kneipe“.
Barhocker und hohe Tresen galten bis weit in die sechziger Jahre als schräge Idee
Und da galt das Sitzen am Tresen bis in die 60er-Jahre als schräge Idee. Früher standen die Leute an einem Tresen, der nicht viel höher war als ein normaler Tisch. Im Gasthaus Hagen oft in Dreierreihen. Hocker gab es nicht. „Wir haben renoviert. Ich wollte dann Hocker und einen höheren Tresen einbauen“, sagt Günter Hagen. „Wenn die Leute bequem sitzen können, bleiben sie länger“.
Er stieß auf Gegenwind bei seinem Vater. „Der wollte das nicht ran. ,Wie sieht das aus? Das ist eine Gaststätte‘, sagte er. Der wollte seine alte Kneipe behalten, mit den Stammtischen. Dort sitzen zu dürfen, war eine Ehre“, erzählt Günter Hagen.
Nach den Fußballspielen ging es zum Stiefeltrinken ins Gasthaus
Die Wende kam mit den Sportlern, als das Gasthaus Hagen Vereinslokal des VfL Geesthacht wurde. In den sechziger Jahren wurden hinter dem Haus Umkleideräume für die Fußballer und Schiedsrichter gebaut. Die liefen dann von dort zum Fußballplatz an der Berliner Straße.
Weil auch Sanitäranlagen mit Duschen entstanden, kehrten sie alle nach dem Spiel zurück. „Die haben geduscht, sich umgezogen – und haben dann hier weitergemacht“, sagt Günter Hagen. Da konnte er dann endlich die geplanten Modernisierungen durchführen.
Die Stadt baute selbst Umkleidekabinen – und verdarb das Geschäft
„Da wurde hier Wodka Lemon aus Stiefeln getrunken, manchmal vier, fünf, sechs Stück“, berichtet Frank Hagen. Und die Stimmung ging hoch. „Schon als Kind kannte ich dieses Haus nur mit Lärm“. Von der Nachbarschaft wurde es toleriert, wohl, weil es damals eine anerkannte Freizeitgestaltung war, vermutet Frank Hagen. „Und heute muss man aufpassen, weil jeder sofort eine Google-Rezension abgeben kann“, sagt Andreas Schmidt.
„Schließlich hat die Stadt selbst Umkleidegebäude gebaut da oben, und so haben sie uns hier das Geschäft entzogen“, sagt Günter Hagen. Dem VfL Geesthacht ist er immer noch verbunden, wurde im vergangenen Jahr für die 80jährige Mitgliedschaft geehrt.
Als Knirps half Günter Hagen beim Schmuggel von Schwarzgebranntem
Und auch dem Gaststättenverband DEHOGA ist er seit 1965 treu. Von 1975 bis 1997 war er Vorsitzender des Ortsverbands Geesthacht, danach Ehrenvorsitzender. 34 Jahre lang bis 1994 stellvertretender Kreisvorsitzender. Für seinen Einsatz erhielt er die Verdienstnadel in Silber und Gold.
Günter Hagen war schon als Knirps in der Nachkriegszeit ins Gaststättengeschehen eingebunden. Sein Vater war noch in Kriegsgefangenschaft, seine Mutter konnte jede helfende Hand gebrauchen. Als die Engländer Geesthacht als Quartier nahmen, durchstöberten sie auch die Gastwirtschaft auf der Suche nach Schnaps. Die hatte aber der kleine Günter rechtzeitig unter den Briketts versteckt, „jedenfalls die guten Sachen“, erinnert er sich schmunzelnd.
Polizeikontrolle: Und am Lenker baumelte der Beutel mit dem Selbstgebrannten
Bis wieder regulär Schnaps zu bekommen war, wurde zunächst schwarz gebrannt. Bei der benachbarten Holzhandlung gab es Panje-Pferde, mit denen wurden die Schmuggeltouren unternommen. Es ging den Geesthang hoch bis zur HEW-Siedlung, dort wurde der Hochprozentige hergestellt und abgefüllt.
Manchmal ging der kleine Günter auch mit dem Fahrrad auf „Promillefahrt“. Und da wäre man ihm fast auf die Schliche gekommen. Er geriet in eine Polizeikontrolle, wurde verdächtigt, das Fahrrad gestohlen zu haben. Am Lenker hing der Beutel mit den Schnapsflaschen.
Zu viele Gäste: Die Geburtstagsfeier wurde für Günter Hagen zum „Auswärtsspiel“
Glücklicherweise war die Kontrolle direkt vor dem Gasthaus, Elli Hagen überzeugte die Ordnungshüter, dass das Rad legal erworben worden war. Vom Beutel mit dem Schwarzgebrannten nahmen die Gendarmen keine Notiz. Dass ein Kind mit so einer Fracht durch die Gegend fährt, auf diese Idee kamen sie wohl nicht.
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Die Feier zum 90. Geburtstag fand aus Platzgründen nicht im Gasthaus Hagen statt. Mit Familie – Günter Hagen ist mittlerweile Uropa –, Freunden, Bekannten, ehemaligen Gästen, dem Lauenburger Shanty-Chor „Die Kielschweine“ und natürlich auch Tina und Andreas Schmidt wurde im Gasthaus Basedau in Lütau geschwoft.
Es hat Günter Hagen in all der Zeit seit der Betriebsübergabe nie in den Fingern gejuckt, wieder anzufangen als Wirt. Einmal noch ist er für Andreas Schmidt eingesprungen, hat einen Abend lang zur Freude älterer Gäste gezapft. 2005 war das, seitdem nicht wieder. Warum auch. „Ich habe doch einen guten Nachfolger gefunden“, sagt Günter Hagen.