Lauenburg. Schade, dass Häuser nicht erzählen können. Doch zum Glück ist die bewegte Geschichte rund um das Kalandhaus bis heute bewahrt.

In der Lauenburger Altstadt stehen derzeit einige Häuser zum Verkauf. Aber keines hat so eine bewegte Geschichte wie das an der Elbstraße 85. Das Gebäude, Baujahr 1517, gilt als das älteste Wohnhaus der Stadt. Es gehörte einstmals der Kaland-Bruderschaft, die sich ihren Lebensunterhalt durch Handel verdiente. Nachdem sich die Bruderschaft während der Reformationszeit aufgelöst hatte, riss sich Herzog Franz I. das Haus für wenig Geld unter den Nagel. Das geschah im Jahre 1555.

Man weiß nicht, was der Herzog mit dem Gebäude ursprünglich vorhatte. Vielleicht erinnerte er sich erst 19 Jahre später wieder an sein Schnäppchen. Jedenfalls begann 1574 die pikante Geschichte des Wohnhauses an der Elbstraße 85. Die Immobilie sucht derzeit einen neuen Besitzer. In allen gängigen Immobilienportalen wird das denkmalgeschützte Gebäude zu einem Preis von 399.000 Euro angeboten.

Lauenburgs ältestes Haus steht zum Verkauf

Im Jahre 1571 legte Herzog Franz I. die Regierungsgeschäfte in die Hände seines zweitgeborenen Sohnes. Drei Jahre später schenkte er seinem Nachfolger Franz II. das ehemalige Lauenburger Kalandhaus. Wahrscheinlich hatte sich aus seiner Sicht der damals 27-Jährige noch nicht die herzoglichen Hörner abgestoßen. Zwar war der Sprössling standesgemäß verheiratet worden, aber eine Mätresse zu haben, gehörte damals zum guten Ton in diesen Kreisen.

Margarete Stempel hieß die Hofdame, die sich die Gunst des jungen Herzogs erworben hatte. Dessen Vater persönlich ließ das ehemalige Kalandhaus umbauen: Im größten Raum, dem ehemaligen Versammlungsraum der Bruderschaft, wurde ein Schlafzimmer eingerichtet. Doch wie konnte Franz aus seinen Gemächern im Schloss ungesehen zu seiner angebeteten Margarete gelangen? Schließlich sollten die Lauenburger Untertanen sich nicht das Maul über seine Liebschaft zerreißen. Jeder wusste es, aber es öffentlich zu machen, schickte sich nicht.

Durch Brombeerhecken zum Gemach der Geliebten

Der Lauenburger Historiker Dr. Wichmann von Meding vermutete nach seinem Einzug in das Haus im Jahre 1994 zunächst einen zugemauerten Geheimgang im Kalandhaus. Bestätigt hatte sich diese These aber nicht. Viel wahrscheinlicher ist, dass sich Franz über einen Gang, der vom Schloss bis zur Elbe führte, auf den Weg zu Margarete machte. Erhalten ist eine handgezeichnete Karte aus dem Jahre 1694. Ein von Brombeerhecken überwucherter Palisadengang führte vom Schloss auf dem Elbhang am Kalandhaus vorbei.

Ein Palisadengang führte vom Schloss bis zur Elbe, sodass der Herzog ungesehen zu seiner Geliebten gelangte.
Ein Palisadengang führte vom Schloss bis zur Elbe, sodass der Herzog ungesehen zu seiner Geliebten gelangte. © BGZ

Zwar war Margarete schon fast 70 Jahre tot, als der Zeichner die Karte fertigte, aber es scheint vorstellbar, dass Franz über diesem Weg zu seiner Geliebten gelangte. Stellen wir uns also vor: Margarete, die tagsüber im Schloss ihre Dienste verrichtete, stellte ihrem Geliebten zur Orientierung eine Kerze ins Fenster ihres Schlafgemaches. Nach dem Schäferstündchen nahm Franz den mühsamen Weg nach oben zum Schloss – von Brombeerhecken vor neugierigen Blicken geschützt.

Franz II. zeugte 11 Söhne und 8 Töchter

Angst, im Traum den Namen der Geliebten zu rufen, musste er übrigens nicht haben. Zu jener Zeit war er standesgemäß mit einer Margarete verheiratet, Tochter des Herzogs Philipp I. von Pommern. Nach ihrem Tod heiratete er ein zweites Mal. Aus beiden Ehen gingen elf Söhne und acht Töchter hervor. Ob er weitere uneheliche Kinder hatte, ist nicht bekannt. Es ist übrigens sehr wahrscheinlich, dass die beiden Gattinnen von der Liebschaft wussten. Schließlich ging seine Margarete als Hofdame im Schloss aus und ein.

Allerdings hat sicher auch Margarete gewusst, dass sie nicht die einzige Gespielin des Herzogs war. Im Jahre 1583 schenkte Franz seiner zweiten Ehefrau Maria den Lauenburger Freudenberg, wo diese neben einem Obst- und Gemüsegarten auch einen barocken Lustgarten anlegen ließ. Sicher verfolgte Franz mit seinem Geschenk einen Hintergedanken, denn er ließ nachträglich noch eine Grotte in den Elbhang bauen. Dort soll er sich nach alten Überlieferungen mit seinen jeweiligen Gespielinnen regelmäßig getroffen haben. Die Grotte ist im heutigen Fürstengarten noch immer erhalten.

Die Seilwinde ist auf dem Dachboden des Hauses an der Elbstraße 85 noch gut erhalten.  
Die Seilwinde ist auf dem Dachboden des Hauses an der Elbstraße 85 noch gut erhalten.   © DIRK EISERMANN | Dirk Eisermann

Später wurde Bier im Kaland-Haus gebraut

Doch zurück zum ehemaligen Kalandhaus. Aus alten Dokumenten geht hervor: Bis zu ihrem Tode durfte „Jungfer“ Margarete Stempel darin wohnen bleiben. 1625 wurde die Mätresse des Herzogs mit allen fürstlichen Ehren begraben. Zeugnisse der heimlichen Liebschaft findet man nicht in dem Haus.

Als das Fürstengeschlecht ausstarb, kaufte im Jahre 1704 eine Brauerei das Haus an der Elbe. 100 Jahre lang wurde an der Elbstraße 85 Bier gebraut und Schnaps gebrannt. Hopfen, Malz und Korn hat man wahrscheinlich auch auf dem Dachboden gelagert. Davon zeigt noch heute eine Seilwinde, an der Waren durch eine Luke hinauf- und hinabgelassen wurden.

Von der Straße aus betrachtet deutet kaum etwas darauf hin, welche spannende Geschichte sich hinter dem sogenannten Kaland-Haus (im Vordergrund) verbirgt.
Von der Straße aus betrachtet deutet kaum etwas darauf hin, welche spannende Geschichte sich hinter dem sogenannten Kaland-Haus (im Vordergrund) verbirgt. © Elke Richel | Elke Richel

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Charme des Hauses zeigt sich auf dem Hinterhof

Von der Straße aus betrachtet, vermutet wohl kaum jemand, welche Geschichte hinter dem eher unscheinbaren Gebäude an der Elbstraße 85 steckt. Abgesehen von dem schiefen Dachbalken mutet das Haus von vorn wenig geschichtsträchtig an. Sein besonderer Charme zeigt sich erst in dem von der Straße abgewandten Hinterhof. Ob sich der Herzog wohl von hier aus in die Gemächer seiner Geliebten geschlichen hat?

Vom künftigen Eigentümer der denkmalgeschützten Immobilie hängt es ab, wie die Geschichte des ältesten Lauenburger Wohnhauses weitergeht. Auf 280 Quadratmetern Wohnfläche und einem 350 Quadratmeter großen Gartengrundstück besteht genügend Spielraum für verschiedene Nutzungsmöglichkeiten – abgesehen natürlich von den Vorgaben des Denkmalschutzes.