Geesthacht. Die hohen Bäume lagen abgesägt im Garten von Muhamed Sofic. Für ihn ist klar, wer es gewesen sein muss. Was sein Nachbar dazu sagt.
Die Corpora Delicti hat Muhamed Sofic an Ort und Stelle gelassen – so, wie er sie vorgefunden hat. Neun stattliche Tannen beziehungsweise deren Überreste liegen nun an seiner rückwärtigen Grundstücksgrenze direkt am Zaun zum Nachbargrundstück. Auf einer Höhe von circa 1,50 Meter wurden die vormals um die zehn Meter hohen Nadelbäume fein säuberlich abgesägt. Sofic, der im vergangenen Jahr in das Haus mit Adresse Richtweg 15 in Geesthacht eingezogen ist, hat Anzeige gegen unbekannt erstattet. Für ihn ist aber klar, wer es gewesen sein muss: sein Nachbar.
Schließlich habe es eine Vorgeschichte gegeben. Doch der Beschuldigte, der am Neuen Weg wohnt, weist auf Nachfrage unserer Redaktion alles von sich. Derzeit steht Aussage gegen Aussage. Der Nachbarschaftsstreit scheint verfahren und eine gütliche Lösung in weiter Ferne. Dabei wäre er eigentlich ein klassischer Fall für ein außergerichtliches Schiedsverfahren. „Überwüchsige Grenzabstände sind unser Alltagsgeschäft“, sagt Michael Backs, einer der beiden ehrenamtlichen Geesthachter Schiedsmänner. „Aber das macht nur Sinn, wenn beide Seiten einen Kompromiss wollen.“ Dabei kommt es natürlich immer auch die rechtlichen Bestimmungen an, was an der Grundstücksgrenze erlaubt ist.
Irrer Nachbarschaftsstreit am Zaun: Wer hat neun Tannen gefällt?
Aber der Reihe nach: Schon bei der Übernahme des Hauses sei Sofic vom Vorbesitzer darauf hingewiesen worden, dass der besagte Nachbar wiederholt wegen der hohen Bäume an der Grenze nachgefragt habe. Im vergangenen Oktober kippte dann eine der Tannen bei einem Sturm in Richtung des Nachbarn, wurde von dessen Zaun jedoch gestoppt. Die Krone berührte allerdings leicht ein im Garten stehendes Trampolin.
„Das hätte für meine Tochter gefährlich werden können“, sagt der Bewohner des Nachbargrundstücks. Zudem habe die Tanne wochenlang so gelehnt, ehe Muhamed Sofic den Schaden endlich beseitigt habe. Dieser sagt: „Mein Nachbar hat danach mehrere Gespräche mit mir geführt, ob ich die anderen Bäume nicht auch fällen könnte. Wollte ich aber nicht. Die sind ein guter Sichtschutz für meinen Swimmingpool.“
Neun Tannen gefällt: Tat ereignete sich bereits Ende Januar
Seit Ende Januar kann er jetzt stattdessen das zuvor verdeckte Haus seines Nachbarn sehen. In einem Zeitraum zwischen dem 21. und 26. Januar müssen die Tannen gefällt worden sein. Erst danach bemerkte Sofic, der zu diesem Zeitpunkt zwischen zwei Wohnungen pendelte, die Fällung. Am 9. Februar wurde der Fall bei der Polizei aktenkundig. „Derzeit läuft die Zeugenbefragung. Der Schaden wird auf rund 15.000 Euro geschätzt“, teilt eine Polizeisprecherin auf Anfrage mit.
Der Nachbar war am vergangenen Montag zur Aussage vorgeladen. „Ich war zu dem Zeitpunkt gar nicht in Deutschland“, gab er gegenüber unserer Redaktion an. „Sofern es keine Zeugen gibt, wird es schwer werden, jemandem etwas nachzuweisen“, schätzt die Polizei. Muhamed Sofic hofft, dass sich nach diesem Bericht vielleicht jemand meldet. Zu den Tannen im rückwärtigen Grundstück gelangt man übrigens nur über seinen Grundstückszugang am Richtweg – oder wenn man über den Zaun langt.
Nachbarschaftsstreit: Welche Regeln an Grundstücksgrenzen gelten
Derweil gibt es in dem Quartier keinen Bebauungsplan, der festlegt, welche Grenzbebauung zulässig ist. In solchen Fällen greift dann das schleswig-holsteinische Nachbarschaftsgesetz. In dessen Paragraf 37 sind die Grenzabstände für Anpflanzungen geregelt. Dort heißt es: „Der Eigentümer und der Nutzungsberechtigte [...] haben mit Bäumen, Sträuchern und Hecken (Anpflanzungen) von über 1,20 m Höhe einen solchen Abstand zum Nachbargrundstück einzuhalten, dass für jeden Teil der Anpflanzung der Abstand mindestens ein Drittel seiner Höhe [...] beträgt.“
Ist eine Hecke also etwa sechs Meter hoch, muss sie zwei Meter von der Grenze entfernt sein. Allerdings gibt es davon Ausnahmen, weiß Schiedsmann Michael Backs. „Wenn vier Jahre lang dagegen nicht geklagt wurde, greift das nicht mehr. Dann darf eine Baumreihe in der Höhe stehen bleiben, wie sie ist, aber nicht mehr weiter wachsen“, erklärt Backs. Das gilt aber wiederum nur, wenn es keinen B-Plan gibt.
Carports sind mit 30 Quadratmetern Fläche zulässig
Eine „Einfriedung“ (Zaun) ist an einer Grundstücksgrenze ohne B-Plan in einer Höhe von zwei Metern zulässig. Schuppen an einer Grenze dürfen einen Rauminhalt von 30 Kubikmetern haben, Carports und Garagen sind mit einer Grundfläche von 30 Quadratmetern, einer mittleren Höhe von drei Metern und einer Länge von neun Metern zulässig. Werden die Maße überschritten, ist eine Genehmigung notwendig.
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Die Stadtverwaltung empfiehlt, bei Grenzstreitigkeiten immer erst das Gespräch mit den Nachbarn zu suchen und im Zweifel einen Schiedsmann hinzuzuziehen. Das sei durchaus erfolgversprechend, betont Michael Backs und berichtet von einem seiner jüngsten Fälle: „Hier haben sich die Streitparteien darauf geeinigt, die alte, zu hohe Hecke zu roden und sich die Kosten für eine neue Hecke zu teilen.“ Durchschnittlich wird Backs pro Jahr zehnmal zur Schlichtung gerufen, 2024 musste er bereits zweimal bei Nachbarschaftsstreitigkeiten helfen. Nur 2023 war eine Ausnahme: „Da hatte ich gar keinen Fall.“