Geesthacht. Chinesische Wollhandkrabbe tritt zurzeit massenhaft am Ufer der Elbe in Erscheinung. Was wollen die Tiere, wie gefährlich sind sie?

Es ist wie auf einem Wimmelbild: Zehntausende Krabben mühen sich zurzeit an der Fischtreppe der Elbe in Geesthacht. Sie krabbeln aneinander und übereinander am Ufer entlang, das dadurch stellenweise von einer Art Krabbenteppich bedeckt ist. Die Tiere haben ein klares Ziel: Sie wollen elbaufwärts in Richtung Osten – und die Fischtreppe kommt ihnen in die Quere.

Bei den wuseligen Tieren handelt es sich um die Chinesische Wollhandkrabbe (Eriocheir sinensis), die vor etwa 100 Jahren über den Schiffsverkehr bei uns eingeschleppt wurde, wie ein Wissenschaftler des Instituts für angewandte Ökologie am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur erklärte. Die Tiere seien millionenfach in vielen größeren europäischen Flüssen verbreitet, auch etwa im Rhein und in der Weser.

Elbe: Invasion der Krabben – zehntausende Tiere kommen an Land

Ähnlich wie etwa Aal oder Flunder pflanzen sich die Wollhandkrabben im Meer fort, und die Jungtiere wandern die Flüsse hinauf, wo sie Nahrung finden. Wo dann Hindernisse auftauchen, krabbeln sie wie an der Fischtreppe auch am Ufer entlang. Wenn sie erwachsen sind, lassen sich die Tiere sich mit der Strömung zurück in Richtung Meer treiben. An der Fischtreppe bei Geesthacht bietet sich das Schauspiel jedes Jahr. Die Treppe hilft Fischen, die Höhe der Staustufe Geesthacht in der Elbe zu überwinden und so flussaufwärts zu laichen.

Wollhandkrabben

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    „Die Krabben bewegen sich auf dem Grund der Elbe gegen den Strom in Richtung Lauenburg und Dresden“, sagt Wilhelm Grube, Elbfischer aus Hoopte. Wegen der starken Strömung im Bereich der Fischtreppe gingen die Tiere ans Ufer und setzten dort ihren Weg einige Hundert Meter weit an Land fort. Grube geht aus Erfahrung davon aus, dass die Tiere „bestimmt noch vier Wochen lang unterwegs sind“. Die höchstens sechs Monate alten kleinen Krabben, deren Panzer etwa den Durchmesser eines Zwei-Euro-Stückes haben, wanderten aus der Unterelbe und deren Nebenflüssen wie Ilmenau und Seeve bis mindestens zur Oberelbe und deren Nebenflüssen wie der Havel in den Regionen von Berlin und Dresden und ließen sich dort nieder, sagt Grube, der auf der Unterelbe fischt.

    Wollhandkrabben: Die Laichplätze befinden sich zwischen Brunsbüttel und Cuxhaven

    „Wenn die Krabben in einigen Jahren geschlechtsreif und handtellergroß sind, wandern sie wieder zurück zum Ablaichen in Richtung Nordsee“, sagt Grube. Sein Berufskollege Eckhard Panz aus Hohnstorf/Elbe bestätigt, dass diese invasive Art ihre Hauptlaichplätze in der Unterelbe habe, bevorzugt in Brackwasserbereichen, also einem Gemisch aus Salz- und Süßwasser. Dort kämen die Tiere her und dorthin würden sie nach Jahren zurückkehren. Elisabeth Klocke, Leiterin der Stiftung Lebensraum Elbe, weiß, dass die Laichplätze der Krabben sich „zwischen Brunsbüttel und Cuxhaven“ befinden.

    Die Krabben versuchen den Bereich unterhalb der Elbbrücke aufgrund der starken Strömung am Ufer zu überwinden.
    Die Krabben versuchen den Bereich unterhalb der Elbbrücke aufgrund der starken Strömung am Ufer zu überwinden. © DIRK EISERMANN | Dirk Eisermann

    Deshalb gebe es jedes Jahr zwei Wollhandkrabbenwanderungen in der Ober- und Unterelbe: Die jungen, kleinen Tiere wandern im Februar und März gen Osten, und die geschlechtsreifen, großen Krabben wandern im August und September wieder hinab. „Auf ihrem Rückweg haben die Tiere dann etwa die zehnfache Körpergröße“, sagt Fischer Grube.

    Wollhandkrabben ohne Panzer sind bei Anglern beliebte Köder

    Wollhandkrabben häuteten sich mehrmals in ihrem Leben, schmissen dann ihren Panzer ab, der innerhalb weniger Tage nachwachse, weiß der Fischer aus Niedersachsen. „Kurz vor dem Nachwachsen des Panzers sind die Tiere bei Anglern als Köder beliebt. Da beißen die Aale drauf“, sagt Grube. Angler fangen die Krabben etwa, indem sie eine Dachpfanne in einen Flachwasserbereich legen, in deren Hohlraum sich die Tiere, die ohne Panzer Plätze zum Verkriechen suchen, verstecken.

    Im Bereich der Fischtreppe in Geesthacht sorgen die Tiere derzeit für Aufsehen.
    Im Bereich der Fischtreppe in Geesthacht sorgen die Tiere derzeit für Aufsehen. © Thomas Heyen | Thomas Heyen

    Die Fischer Grube und Panz fangen im Spätsommer/Herbst auch Wollhandkrabben – als Beifang in den Aalreusen. „Es sind im Laufe der Jahre weniger geworden“, sagt Grube. „Womöglich, weil sie viel gefischt werden.“ An guten Tagen habe er mehr als 20 Kilogramm Krabben in seinen Reusen. Die Männer würden aber nur besonders große Tiere mitnehmen, weil sich nur die gut verkaufen ließen. Grube weiß, dass andere Fischer die Tiere „in Engpässen mit Körben fangen“, etwa in der Havel.

    Elbfischer haben die Krabben als Beifang im Netz und verkaufen sie an Chinesen

    Panz und Grube verkaufen Wollhandkrabben an China-Restaurants, vor allem aber an chinesischstämmige Privatleute. „Ich verkaufe auch an Chinesen, die die Tiere wiederum in ganz Europa verteilen, sie nach London, Warschau und Venedig befördern“, sagt Panz. Die Abnahmemengen seiner Kundschaft seien höchst unterschiedlich: „Einige kaufen ein Kilogramm, andere, Zwischenhändler, wollen von mir 500 Kilogramm haben.“ Die Nachfrage sei insgesamt groß, betont der Fischer, der mit seinem Boot regelmäßig auf der Oberlebe zwischen Hohnstorf und Geesthacht unterwegs ist.

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    In diesem Jahr wanderten die Krabben früh die Elbe hinauf, sagt Panz. „Das mag an dem Hochwasser liegen, das die Oberelbe seit zwei Monaten führt. Vielleicht stimuliert es zu einem frühen Aufwandern?“ Und: „In den vergangenen Jahren waren im Frühjahr weniger Tiere unterwegs, zumindest ist das mein Eindruck.“ Er habe im Spätsommer/Herbst 2023 auch weniger Krabben in seinen Reusen gehabt als in den Jahren zuvor. Dies könne mit einem Virus zu tun haben, das vor vier Jahren unter den Tieren grassiert habe und die Bestände womöglich reduziert habe.

    Invasive Art bringt das Ökosystem in der Elbe ins Schwanken

    Chinesische Wollhandkrabben würden „fressen, was sie unter die Scheren kriegen“, sagt Christian Gerbich vom Naturschutzbund (Nabu) in Bergedorf. Dies sei für das ökologische Gleichgewicht im Wasser bei einem massenhaften Auftreten der Tiere problematisch, bringe „Unruhe in ein relativ intaktes Ökosystem“. Gerbich: „Treten Tierarten in Massen auf, beeinflusst das ja immer negativ andere Arten.“ Die Tiere seien sogenannte Nahrungsopportunisten, Allesfresser, die sowohl Fischaas und -laich und Insektenlarven als auch Schnecken, Muscheln und Wasserpflanzen fressen. In der Regel erhole sich die Natur wieder von einer kurzzeitigen Krabbeninvasion, „aber punktuell kann es größere Probleme geben“.

    Berufsfotograf Dirk Eisermann aus Lauenburg fotografiert die Krabben aus nächster Nähe mit einem starken Teleobjektiv.
    Berufsfotograf Dirk Eisermann aus Lauenburg fotografiert die Krabben aus nächster Nähe mit einem starken Teleobjektiv. © Thomas Heyen | Thomas Heyen

    Es gebe „keine geeigneten Maßnahmen mit vertretbarem Aufwand, um die Bestände zu reduzieren“, sagt Gerbich: „Die Tiere sind Jahrzehnten hier. Ihre Bestände sind längst zu groß.“

    Die Tiere kommen nicht gegen die starke, vom Hochwasser ausgelöste Strömung gegenan

    Elisabeth Klocke glaubt nicht, dass derzeit mehr Tiere unterwegs sind als sonst: „Aufgrund des hohen Wasserstandes ist die Strömung zu stark. Die Tiere würden sonst auch im Bereich der Elbbrücke unter Wasser bleiben.“ Bei niedrigerem Wasser sei dies in den vergangenen Jahren auch der Fall gewesen. Deshalb sorge der Marsch der Krabben nun für Aufsehen. mit dpa