Geesthacht. 35 Jahre altes Opfer kämpft noch um sein Leben. Es war nicht der erste schwere Vorfall mit seinem Hund. Was bis jetzt bekannt ist.

Nach einer Beißattacke durch seinen eigenen Hund schwebt ein 35 Jahre alter Mann weiterhin in Lebensgefahr. Der Kampfhund, ein American Bully XL, der sein Herrchen am Mittwoch in einem Wald in der Geesthachter Oberstadt angefallen hatte, wurde noch vor Ort von einem Polizisten erschossen. Die Mitarbeiter im Ordnungsamt der Stadt kannten das Tier bereits – weil es kürzlich zu einem ganz ähnlichen Vorfall gekommen war. Sie hatten daraufhin kurzfristig strenge Auflagen verhängt. Unterdessen fordert die Tierschutzorganisation Peta aufgrund des Vorfalls die Einführung eines Hundeführerscheins in Schleswig-Holstein.

Viele Halterinnen und Halter hätten laut Peta Schwierigkeiten, das Verhalten, die Signale und die Körpersprache der Hunde richtig zu interpretieren und zu verstehen. „Die eigentliche Ursache von Beißvorfällen ist daher in der Unwissenheit der Menschen zu suchen, nicht beim Vierbeiner“, begründet Annika Lewald, Fachreferentin für tierische Mitbewohner bei PETA, die Forderung.

Geesthacht: Mann von eigenem Hund zerfleischt – Behörde hatte bereits Auflagen gemacht

Blutspuren unweit der Straße Am Haferberg legen Zeugnis ab von den dramatischen Geschehnissen. Auf einer Waldlichtung griff ein Hund sein Herrchen an. Der American Bully XL wurde von der Polizei erschossen.
Blutspuren unweit der Straße Am Haferberg legen Zeugnis ab von den dramatischen Geschehnissen. Auf einer Waldlichtung griff ein Hund sein Herrchen an. Der American Bully XL wurde von der Polizei erschossen. © Dirk Schulz | Dirk Schulz

Hintergrund: Seit dem 1. Januar 2016 werden Hunde in Schleswig-Holstein nicht mehr aufgrund ihrer Rasse als gefährlich eingestuft. Jedes Bundesland kann selbst seine gesetzlichen Grundlagen für das Halten von Hunden bestimmen. Annika Lewald: „Unabhängig davon, ob ein Hund einer Rasse angehört oder ein Mix ist – jeder Hund, der falsch gehalten oder schlecht behandelt wird, kann potenziell für Mensch und Tier gefährlich werden.“

Der Geesthachter Hund entstammte der noch recht jungen Züchtung American Bully XL, die jüngst verstärkt in den Fokus in Sachen Einschätzung der Gefährlichkeit geraten ist. In England, Wales und Schottland etwa ist der Hund seit Jahresbeginn verboten, in Berlin muss er vom Halter als gefährlicher Hund bei den Behörden angezeigt werden. In Deutschland gilt der American Bully bisher nicht als eigenständige Rasse, somit wird er auch nicht in Rassenlisten geführt.

Nach Beißattacke: Lebensgefährlich verletzter Geesthachter im Krankenhaus weiterhin in kritischem Zustand

Unterdessen geht es dem lebensgefährlich verletzten Geesthachter, der im BG Klinikum Boberg liegt, gesundheitlich immer noch sehr schlecht. „Er befindet sich weiterhin in einem kritischen Zustand“, teilt eine Polizeisprecherin mit. Zu den Verletzungen und dem Blutverlust komme erschwerend eine starke Unterkühlung hinzu, weil der Mann einige Zeit unversorgt auf dem eiskalten Waldboden gelegen hatte. Nach Informationen dieser Redaktion betrug seine Körpertemperatur beim Auffinden nur noch unter 30 Grad Celsius. Deshalb konnten die Wunden auch erst am Donnerstagnachmittag versorgt werden. Zurzeit befindet er sich im künstlichen Koma und soll „noch lange nicht über den Berg“ sein.

Der muskelbepackte Hund hatte dem 35-Jährigen aus noch unbekanntem Anlass am Mittwoch beim Gassigehen die Unterarme zerbissen. Entdeckt wurde der stark blutende Mann am Mittwoch gegen 14.30 Uhr von einer anderen Hundehalterin, sie rief daraufhin die Polizei an.

Ebenfalls gebissene Freundin wurde gerade erst aus der Klinik entlassen

Weil sich der weiterhin an Ort und Stelle aufhaltende, frei laufende Hund den alarmierten Rettern bedrohlich näherte, erschoss ihn ein Polizist mit einer Maschinenpistole. Der Hundehalter wurde mit seinen schweren Verletzungen und einer Körpertemperatur deutlich unter dem Normalwert per Rettungshubschrauber ins BG Klinikum nach Boberg geflogen.

Nach Informationen unserer Redaktion war die Freundin des 35-Jährigen am 10. Januar ebenfalls von dem Hund angefallen worden und hatte dabei auch schwere Bissverletzungen an den Armen erlitten. Sie wurde erst am Dienstag – einen Tag vor der Beißattacke im Wald – aus dem Boberger Krankenhaus entlassen. Dort war sie behandelt worden, weil das Klinikum einen exzellenten Ruf auf dem Gebiet der Handchirurgie hat.

Beißattacke in Geesthacht: Ein Verdacht, warum wurde der Hund so aggressiv wurde

Der Zugang zur Waldlichtung vom Haferberg aus. Blutspuren ziehen sich bis zur Siedlung zurück.
Der Zugang zur Waldlichtung vom Haferberg aus. Blutspuren ziehen sich bis zur Siedlung zurück. © Dirk Schulz | Dirk Schulz

Der American Bully XL hatte die 31-Jährige angefallen, als sie beim Gassigehen wegen des Glatteises stürzte. War es nun im Wald am Haferberg ähnlich? Wurde der Hund erneut aggressiv, weil das Herrchen stolperte und hinfiel?

Dem Geesthachter Ordnungsamt ist der erste Vorfall mit dem Hund nicht entgangen. „Fällt ein Hund durch aggressives Verhalten auf, werden die Mitarbeitenden des Ordnungsamtes auf Grundlage des Hundegesetzes tätig. Dieses sieht ein Verfahren zur Feststellung über die Gefährlichkeit des Tieres vor“, heißt es aus der Stadtverwaltung.

Gefährlichkeit wird zusammen mit Tierärzten beurteilt

„In diesem Verfahren arbeiten wir grundsätzlich mit fachkundigen Tierärzten zusammen. Auf Grundlage deren Untersuchungen und Einschätzungen wird der betroffene Hund dann beurteilt“, erklärt Sabine Erdmann, Leiterin des Fachdienstes Öffentliche Sicherheit im Geesthachter Rathaus.

Werde die Gefährlichkeit des Hundes festgestellt, müsse der Hundehalter nachweisen, in der Lage zu sein, diesen gefährlichen Hund ordnungsgemäß zu halten. Könne er das nicht oder würden entsprechende Tatsachen bekannt, die daran zweifeln ließen, müsse der Hundehalter in letzter Konsequenz den Hund abgeben, oder das Tier würde aus dem Haushalt herausgenommen.

Hund durfte nur an der Leine und mit Maulkorb ins Freie

„All diese Schritte sind sehr zeitintensiv. Unter anderem müssen alle Entscheidungen gerichtsfest begründet werden, und dem Tierhalter muss immer die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben werden“, erklärt Sabine Erdmann. „Darum können wir zeitlich befristet Sofortmaßnahmen verordnen, die so lange gelten, bis das reguläre Verfahren abgeschlossen ist.“

So eine schnelle Vorabmaßnahme gab es auch im Fall des American Bully XL. „Im konkreten Fall wurde nach der Beißattacke vom 10. Januar parallel zum Verfahren zur Feststellung über die Gefährlichkeit des Hundes als Sofortmaßnahme vom Rathaus eine Leinen- und Maulkorbpflicht angeordnet. Der Hund durfte nur noch mit einer maximal zwei Meter langen, reißfesten Leine und zusätzlich nur noch mit einem das Beißen verhindernden Maulkorb ausgeführt werden“, berichtet Sabine Erdmann über die Maßnahmen.

Maulkorbpflicht galt auch in Innenräumen bei Anwesenheit von weiteren Personen

Und das ist noch nicht alles. „Wir haben in diesem speziellen Fall zusätzlich angeordnet, dass der Hund auch in Innenräumen einen Maulkorb angelegt bekommen muss, wenn über den Haltenden hinaus weitere Personen mit im Raum sind“, betont Sabine Erdmann. „Wir haben die Gesetzeslage allumfänglich ausgeschöpft.“

Mit dieser Verfügung verbunden war die Androhung der zwangsweisen Wegnahme des betreffenden Hundes im Falle der Nichtbefolgung dieser besonderen Anordnungen zum Halten und Führen des Hundes mit anderweitiger, für den Halter kostenpflichtigen Unterbringung des Hundes.

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Wie oft hat sich der Halter an die behördlichen Anweisungen gehalten? Das ist noch unklar. Im Wald am Haferberg wurde der Hund ohne Maulkorb und zudem unangeleint angetroffen. Und im eigenen Zuhause? Nach Informationen unserer Redaktion sollen sich dort regelmäßig auch zwei Kinder aufhalten.