Lauenburg. Der Pegelhöchststand ist zwar noch nicht erreicht, aber die große Katastrophe bleibt wohl aus. Dennoch sind die Menschen frustriert.
Bange schauen die Altstadtbewohner derzeit auf die Pegelstände in Dresden. Sie wissen genau: Etwa eine Woche später wirken sich die Veränderungen dort auf Lauenburg aus. Insofern macht sich langsam vorsichtiger Optimismus breit. Im Oberlauf der Elbe deutet sich nämlich bereits Entspannung an. Nach Prognosen des Landeshochwasserzentrums wird die Sechs-Meter-Marke in Dresden wohl doch nicht überschritten.
Schon am vergangenen Mittwoch war in Dresden vorzeitig die Alarmstufe 3 ausgerufen worden. Das Wasser stieg dort jedoch langsamer als angenommen. Der Wasserstand am Elbpegel in der tschechischen Stadt Usti nad Labem fällt sogar schon wieder etwas. Die Wettervorhersage geht im Einzugsgebiet der Elbe auch nur noch von weniger ergiebigen Regenfällen aus.
Vorsichtiger Optimismus: Pegel sinken im Oberlauf der Elbe
Alles in allem sind das gute Nachrichten für Lauenburg. Der für Mittwoch, 3. Januar, prognostizierte Pegelstand von 8,10 Meter wird wohl zumindest nicht überschritten werden. Normalerweise beträgt der Wasserstand hier 4,50 Meter. Die Altstadtbewohner Sven Scharnweber und Jörg Sönksen können sich dennoch kaum darüber freuen. „Auch wenn wir diesmal mit einem blauen Auge davon kommen, zeigt uns die Elbe doch mal wieder deutlich, dass wie jederzeit ihr rechnen müssen“, sagt Sönksen.
Und genau das treibt den beiden Akteuren der Betroffenengemeinschaft Hochwasser Sorgenfalten auf die Stirn. Die Initiative hatte sich während des verheerenden Hochwassers im Juli 2013 aus einer Nachbarschaftshilfe heraus gegründet. „Niemand hat einen Anteil daran, dass das Hochwasser diesmal nicht einen Wasserstand von 9,64 Meter erreicht wie im Sommer 2013. Seitdem ist in Sachen Hochwasserschutz kaum etwas passiert“, ärgert sich Sven Scharnweber.
Evakuierungpläne noch nicht aktualisiert
Und selbst wenn es hart auf hart kommen würde: Niemand der Nachbarn wisse derzeit, bis zu welchem Wasserstand er sein Haus verteidigen dürfe und ab wann er sein Besitz dem Schicksal ausliefern müsse. Das war einer der größten Kritikpunkte der Betroffenen nach der Katastrophe von 2013. Doch die seit Jahren von der Stadt angekündigten Evakuierungspläne für einen solchen Ernstfall sind noch immer nicht in Kraft getreten.
Was war das für ein Hin und Her während des Hochwassers im Sommer 2013: Am 5. Juni ruft der Landrat den Katastrophenfall aus. Es wird ein Pegelstand von 10,35 Meter erwartet. Alle 300 Altstadtbewohner sollen am nächsten Tag ihre Häuser verlassen. Am 6. Juni wird die Prognose auf 9,20 Meter nach unten korrigiert. Der Katastrophenstab des Kreises revidiert die Evakuierungspläne. Am 8. Juni heißt es: Kommando zurück! Auf einer kurzfristig einberufenen Einwohnerversammlung erfahren die Altstadtbewohner, dass sie am Folgetag nun doch ihre Wohnungen und Häuser verlassen müssen – und zwar unabhängig von der Lage.
Hochwasserwarnstufe 1 gilt ab Sonnabend
Später hagelte es heftige Kritik an diesem Krisenmanagement: Die Anwohner mussten damals nämlich nicht nur ihr Hab und Gut zurücklassen, sondern auch die Pumpen abstellen, mit denen sie bislang versucht hatten, ihre Häuser einigermaßen trocken zu halten. Bei genauerer Betrachtung vor der Evakuierung hätten manche Schäden vermieden werden können, waren sich die Betroffenen hinterher einig. Auch wenn die Pläne offiziell noch nicht in Kraft getreten sind, eine flächendeckende Evakuierung ohne individuelle Abwägung würde es wohl heute nicht mehr geben. Jedes Gebäude in der Altstadt sei mittlerweile entsprechend bewertet. Je nach dem erwarteten Pegelstand würde dann individuell entschieden, ob die Bewohner gefahrlos in den jeweiligen Häusern bleiben können oder nicht, heißt es vonseiten der Stadt.
Doch solche Überlegungen sind derzeit zum Glück nicht relevant. Erst am Sonnabend, 30. Dezember, tritt in Lauenburg voraussichtlich die Hochwasserwarnstufe 1 in Kraft. Das ist immer dann der Fall, wenn der Pegelstand von 7,60 Meter überschritten wird. „In diesem Fall kommt ein kleiner Lagestab aus Mitarbeitern der Verwaltung und des Bauhofes zusammen, um die Lage kurzfristig zu beurteilen“, sagt der zuständige Amtsleiter Christian Asboe. Dies sei allerdings schon geschehen, seitdem bekannt wurde, dass eine Hochwasserwelle auf Lauenburg zurollt. Erst ab einem Pegelstand von 8,20 Meter tritt die zweite Warnstufe in Kraft, die weitergehende Maßnahmen, unter anderem in Absprache mit den Versorgungsunternehmen vorsieht. „Wir gehen nicht davon aus, dass wir diesbezüglich Vorkehrungen treffen müssen, die Prognosen sehen deutlich niedrigere Wasserstände vor“, weiß Asboe. Ab einem Pegelstand von 9 Metern würde der Katastrophenstab des Kreises alle Verantwortung für die Hochwasserabwehr und den Schutz der Anwohner in der Lauenburger Altstadt übernehmen.
Betroffenengemeinschaft fordert Zwischenlösungen
Dass es über zehn Jahre nach der letzten Hochwasserkatastrophe noch immer keinen Hochwasserschutz für die Altstadt gibt, ist für Sven Scharnweber und Jörg Sönksen schon schlimm genug. Dass sich dies auf absehbare Zeit nicht ändern wird, sei nicht akzeptabel. Derzeit lässt sich nämlich niemand auf einen Fertigstellungstermin der Schutzanlage festlegen. Deshalb fordert die Betroffenengemeinschaft, dass wenigstens Zwischenlösungen konzipiert werden, die im Ernstfall das Schlimmste verhindern könnten. „Die Twieten brauchen Vorrichtungen, um Spundwände zu montieren. Außerdem sollte geprüft werden, auf welche Weise verhindert werden kann, dass das Wasser aus der Kanalisation drückt“, sagt Sönksen.
Die Betroffenengemeinschaft fürchtet, dass alle ihre Forderungen wieder im Sande verlaufen, sobald sich die Elbe wieder in ihr normales Flussbett zurückzieht. „Viele Anwohner der Elbstraße haben resigniert. Nicht wenige ziehen weg, immer mehr Häuser stehen leer. Die Unsicherheit, wie es mit dem Hochwasserschutz weitergeht, ist einfach zu groß“, sagt Sven Scharnweber.
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Auch Sturmflutwarnungen immer im Blick
Der stündliche Blick auf die Pegelstände entlang des Elbverlaufes ist derzeit das eine. Ebenso oft checken Jörg Sönksen und Sven Scharnweber aber auch die Sturmflutwarnungen aus Richtung Nordsee. In den vergangenen zwei Wochen waren die Auswirkungen immer deutlich in Lauenburg zu spüren. Zwischen 40 und 80 Zentimeter steigt der Pegel dann hier schlagartig an. Die derzeitige Wetterlage schließt weitere Sturmfluten in den nächsten Tagen nicht aus.
„Nicht auszudenken, wenn uns ein solches Ereignis während des Hochwasserscheitels am 3. Januar trifft“, so Scharnweber. Dieser Effekt war von Entscheidungsträgern des Landes stets geleugnet worden. Dies hätte im anderen Fall nämlich zur Folge, dass der Hochwasserschutz in Lauenburg Bestandteil des Küstenschutzprogrammes werden würde. Damit würde auch die Finanzierung Sache des Landes werden.