Wentorf. Physiotherapeutin Ragna Marks engagiert sich seit Jahren in Südasien. Jetzt bittet sie um Hilfe für Amisha, die sich kaum bewegen kann.
Laufen, tanzen, zur Schule gehen, Freunde treffen – alles, was für Teenager normal ist, kann Amisha nicht. Die 14-jährige Inderin ist ein Kind mit Cerebralparese (CP). Ihr Gehirn hat unter der Geburt zu wenig Sauerstoff erhalten und wurde stark geschädigt. „Amisha ist geistig normal entwickelt, körperlich aber stark eingeschränkt“, sagt die Kinderphysiotherapeutin Ragna Marks.
Die Wentorferin arbeitet in einer Bergedorfer Physiotherapie-Praxis und ist Generationen von Müttern von Rückbildungskursen im Bethesda Krankenhaus bekannt. „Amisha hat sehr schwere Spastiken. Ihre Muskeln sind so verkrampft, dass sie nicht einmal sprechen kann“, sagt Marks. Die 66-Jährige begleitet Amisha schon seit vielen Jahren und hat sie schon mehrfach behandelt – allerdings nicht in der Bergedorfer Praxis, sondern vor Ort bei einem Hilfsprojekt in Südindien.
Wentorferin fliegt nach Südindien, um kranke Kinder kostenfrei zu behandeln
Hier in Mylaudy, an der Südspitze des riesigen Landes in der Nähe des Indischen Ozeans, hat 2003 der renommierte Hamburger Kinderorthopäde Jürgen Zippel ein Rehabilitationszentrum, das Children Orthopedic und Rehabilitation Center (CORC) gegründet. Sehr unterstützt wurde er in seiner Arbeit von dem ehemaligen Bergedorfer Orthopäden Dr. Jörge Ropohl und dessen Frau Evamaria, die für ihr Engagement in Indien 2010 mit dem Bergedorfer Bürgerpreis ausgezeichnet wurden.
Zu der Zeit hat sich auch Ragna Marks schon für das Hilfsprojekt engagiert. „In Indien sieht man Krankheitsbilder, die bei uns selten geworden sind“, sagt Marks. Die Versorgung von Klumpfüßen nehme neben der Therapie von Kindern mit CP einen großen Teil der Arbeit ein. „Manch hiesiges Problem wird da im Vergleich doch sehr nichtig.“
Rund zehn Millionen Kinder mit Cerebralparese gibt es weltweit, besonders viele davon in Indien, wo oft nur die Wohlhabenden Zugang zu medizinischer Versorgung und therapeutischen Hilfsmitteln haben. Kinder mit CP aus armen Familien hingegen vegetieren meist zu Hause vor sich hin und können ihr Entwicklungspotenzial nicht entfalten. „Wenn sie gefördert werden, könnten auch einige dieser Kinder laufen lernen oder zur Schule gehen“, weiß Ragna Marks.
Rollstuhl in Indien kostest etwa 3500 Euro
Das hat die Wentorferin schon mehrfach erlebt. Anfang Januar fliegt sie wieder für vier Wochen nach Indien, um ehrenamtlich am CORC zu arbeiten. Dann wird sie auch Amisha wiedersehen.
Die Hoffnung aber, dass das Mädchen jemals laufen oder zur Schule gehen wird, hat die Physiotherapeutin nicht. „Aber besser leben als jetzt, das kann sie schon.“ Ein richtiger medizinischer Rollstuhl würde ihr helfen, sie in eine gute Position zu bringen, die Muskeln zu entspannen und die Lebensqualität des jungen Mädchens um ein Vielfaches zu erhöhen. Derzeit sitzt sie auf einem selbst gebauten Provisorium. Amishas Familie ist arm und lebt von dem geringen Verdienst des Vaters als Fischer. „Bislang haben die Eltern ihre Tochter immer getragen oder auf dem Moped in ihre Mitte gesetzt. „Doch Amisha wird größer und schwerer. Das können die Eltern nicht mehr leisten.“ Deshalb sammelt sie nun Geld für einen richtigen medizinischen Rollstuhl. Der kostet in Indien rund 3500 Euro, in Deutschland das Dreifache.
Ganz leicht wird es nicht, das Geld zusammenzubekommen. „Angesichts der vielen Krisen wird es immer schwieriger, Spenden zu sammeln“, sagt Ulrike Lorenzen. Zumal Indien ein Schwellenland sei, in dem das medizinische Niveau durchaus hoch ist, in dem es aber eine Frage des Geldes und nach wie vor der Kastenzugehörigkeit ist, ob man gut versorgt wird. Lorenzen ist Vorsitzende des Vereins „Patengemeinschaft für Kinder in Indien e.V.“, der Träger des Therapiezentrums ist. Das allerdings ist nur ein Teil der umfangreichen Arbeit des Vereins mit Sitz in Sahmas. In 18 Einrichtungen und Heimen werden bedürftige Kinder betreut, erhalten eine Schulbildung, ein Dach über dem Kopf und eine regelmäßige warme Mahlzeit. „Rund 1000 Kinder und Familien betreuen wir durch Spenden und Patenschaften“, sagt Vereinsvorsitzende Ulrike Lorenzen. Rund eine halbe Million Euro an Spenden überweist der Verein jährlich nach Indien.
Ragna Marks kann es kaum erwarten, wieder nach Indien aufzubrechen. Es wird ihr 16. Aufenthalt im Therapiecenter, der Abschied und Neuanfang zugleich ist. Gründer Jürgen Zippel ist in diesem Jahr mit 85 Jahren gestorben. „Bis zum Schluss hat er sich eingebracht und hat sehr auf Teamarbeit gesetzt“, sagt Ragna Marks. „Er wird mit seiner ausgleichenden Art sehr fehlen“, sagt Marks. Nachfolgerin für das Orthopädie- und Rehabilitations-Projekts ist Dr. Nicola Ebert.
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„Indien ist eine vollkommen andere Welt“, sagt Marks. Voller Sonne und voller Menschen und mit sehr vielen Gerüchen. „Keineswegs nur wohlriechende“, sagt Marks, die daran erinnert, dass gerade in den ärmeren Regionen die hygienischen Verhältnisse alles andere als gut sind. Und sie freue sich darauf, Amisha und die indischen Kollegen wiederzusehen, die ihr mit der Zeit ans Herz gewachsen sind.
Wer für Amisha spenden oder das Projekt unterstützen möchte, nutzt folgendes Konto mit der IBAN: DE66 1203 0000 1001 1888 10 bei der Deutschen Kreditbank AG Schwerin und dem Verwendungszweck „Orthopädische Klinik“.