Bergedorf. Seit 1999 hat Physiotherapeutin Ragna Marks Schwangere in Kursen unterstützt, dabei „auch viele Schicksale gesehen“. Nun hört sie auf.

Es waren andere Zeiten im Jahr 1999. Schwangere besuchten vor der Entbindung die Schwangerschaftsgymnastik und nach der Geburt die Rückbildung. Punkt. „Heute braucht es noch andere Labels“, hat Physiotherapeutin Ragna Marks festgestellt. „Yoga“, „Pilates“ und „Balance“ machen sich besser im Angebot und sprechen jüngere Frauen eher an. Aber auch dann werden Kurse eher unregelmäßig besucht. Und so nutzt die 64-Jährige die Gelegenheit, um „Tschüs“ zu sagen: Nach 22 Jahren – und zuletzt auch coronabedingten Pausen – enden ihre wöchentlichen Gast-Kurse für Schwangerschaftsgymnastik und Rückbildung im Bethesda-Krankenhaus. Sie übergibt an Nachfolgerin Annelore Dollar.

„Es ist mir ein Bedürfnis, mich richtig zu verabschieden“

Mehr als 1000 Bergedorferinnen hat Ragna Marks über die Jahre durch die Schwangerschaft begleitet. Und für manche von ihnen ist sie in der Zeit eine mütterliche Freundin und Begleiterin geworden. „Deshalb ist es mir ein Bedürfnis, mich von den Frauen auch richtig zu verabschieden“, sagt die 64-Jährige, die selbst drei Kinder geboren und aufgezogen hat.

1999, als es in Bergedorf mit dem Bethesda und dem AK Bergedorf noch zwei Krankenhäuser gab, hatte Ragna Marks die Idee, im Bethesda ein neues Angebot für Schwangere zu etablieren. Denn es gab zwar Kurse, aber „nur“ mit den Hebammen, nicht mit einer Physiotherapeutin. Das Krankenhaus sah den Bedarf, Ragna Marks konnte nun Kurse in Schwangerschaftsgymnastik, in Rückbildung sowie zum Umgang mit Babys anbieten.

Selbstgemachte Flyer warben anfangs für die Kurse

Das Internet steckte damals noch in den Kinderschuhen, und so bewarb die Physiotherapeutin ihr Angebot mit selbst gemachten Flyern. Schnell waren die Kurse voll. Geübt wurde, als die Kliniken Bethesda und AK Bergedorf nach dem Jahr 2000 langsam zusammenwuchsen, mal hier, mal dort. Im Laufe der Jahre änderten sich aber nicht nur die Orte, sondern auch die Inhalte der Kurse. „Ich habe viele Fortbildungen gemacht“, sagt Ragna Marks. So habe beispielsweise 1999 das Thema Beckenboden nur eine geringe Rolle gespielt. Heute ist das Beckenboden-Training unabdingbarer Bestandteil der Übungen.

„Viele Frauen erinnern sich bestimmt noch an meine Schlagwörter“, sagt Ragna Marks schmunzelnd: „Sitzhöcker zueinander! Bauchnabel nach innen-oben! An den Faden denken!“ lauteten einige der Anweisungen, die sie in ihren Kursen mantraartig wiederholte.

„Ich habe viele Schicksale gesehen“

Ragna Marks sah viele Frauen über die Jahre immer wieder: Manche bekamen schnell weitere Babys, andere kamen mit ihren Kindern wegen eines Förderbedarfs in die Praxis, in der Ragna Marks arbeitet (Ergo-Physio-Logo-Therapie im Neuen Mohnhof). „Ich habe viele Schicksale gesehen“, stellt Ragna Marks fest. Bei einer Geburt etwa hatte das Baby einen Sauerstoffmangel erlitten und schwere Schäden davongetragen. Ein anderer Junge litt an einem seltenen Syndrom. Viele dieser Kinder sind noch heute bei ihr regelmäßig in der Physiotherapie – und Ragna Marks fühlt sich „ganz dicht an den Frauen dran“, erfährt auch von Beziehungsproblemen oder Überforderung.

„Diese Stunde in der Woche gehört euch“

So wurde sie auch nie müde, den Frauen zu predigen, auf sich selbst zu achten. Schaffte es eine nicht in den Rückbildungskursus, weil der Mann daheim nicht einspringen konnte, so gab es schon mal eine liebevolle Standpauke: „Diese Stunde in der Woche gehört euch, die ist wichtig für euer Wohlbefinden. Das muss euer Mann schaffen.“