Winsen. Für zehn Millionen Euro entsteht ein Naturbad ohne CO₂-Emission. Ein Blick auf innovative Technik. Warum der Zeitplan in Verzug geriet.

Das Funktionsgebäude in der Mitte strebt unaufhaltsam in die Höhe, die Kletterwand ist installiert, viele Kubikmeter Beton sind für Schwimmbecken geschüttet worden, auch natürliche Filter sind bereits zu erkennen. Die Bauarbeiten am neuen Naturbad der Stadt Winsen schreiten kräftig voran – endlich. Die letzten Tage des alten Jahres und die ersten Wochen des neuen Jahres machten den Planern einen Strich durch den ohnehin eng gestrickten Zeitplan.

Erhebliche Niederschlagsmengen und der hohe Grundwasserspiegel führten immer wieder zu Unterbrechungen. Phasenweise glich die Baustelle einer einzigen Pfützenlandschaft. Da bestimmte Arbeiten nur ausgeführt werden können, wenn es mehrere Tage am Stück trocken ist, mussten die Arbeiten immer wieder unterbrochen oder verschoben werden. Derart viel Wasser an dieser Stelle ist ungewöhnlich. „Seit 30 Jahren haben wir nebenan einen Schrebergarten. So hoch stand das Grundwasser noch nie“, sagte eine Besucherin der Naturbad-Baustelle.

Viel Regen und hohes Grundwasser: Naturbad Winsen hinter dem Zeitplan

Ursprünglich sollten die ersten Gäste im Sommer 2024 im Winsener Eckermannpark baden und schwimmen können. Dieser Eröffnungstermin ist nicht mehr zu halten. „Die Baustelle soll so zügig wie möglich abgeschlossen werden“, teilte Bürgermeister André Wiese den Mitgliedern des städtischen Verwaltungsausschusses mit. „Da eine Eröffnung des Naturbades außerhalb der Freibadsaison aber nicht in Betracht kommt, müssen sich die Winsenerinnen und Winsener mit dem Anbaden aller Voraussicht nach bis nächstes Jahr gedulden.“

Anlässlich einer Baustellenführung informierte Sebastian Flohre vom Ingenieurbüro Polyplan Kreikenbaum aus Bremen über die Technik des neuen Naturbades.
Anlässlich einer Baustellenführung informierte Sebastian Flohre vom Ingenieurbüro Polyplan Kreikenbaum aus Bremen über die Technik des neuen Naturbades. © Stadtwerke Winsen | Markus Laudahn

Aktuell gehen die Verantwortlichen davon aus, die Bauarbeiten im Oktober oder November 2024 abschließen zu können. Unmittelbar danach werde das neue Naturbad mit 4000 Kubikmetern Brunnenwasser komplett befüllt und einem Funktionscheck unterzogen – die technische Inbetriebnahme. Den Badebetrieb noch im Spätherbst freizugeben, ist indiskutabel. Daher der Verweis auf die Badesaison 2025.

In Winsen entsteht das erste CO₂-freie Naturbad in ganz Europa

Unterdessen ist das Interesse am ersten CO₂-freien Naturbad Europas ungebrochen. Das wurde am großen Interesse an einer Baustellenführung mit dem Schwerpunkt Technik deutlich. Geschäftsführer Sebastian Flohre von der Polyplan-Kreikenbaum-Gruppe aus Bremen (Generalplaner, der schon die Machbarkeitsstudie erstellt hatte) informierte unter anderem über das innovative Energiekonzept inklusive biologischer und mechanischer Wasseraufbereitung. Per Definition gilt, dass das Wasser eines Naturbades ohne den Einsatz chemischer Zusatzstoffe aufbereitet werden muss. Daher wird in Winsen komplett auf Chlor verzichtet.

Übersichtsplan auf einem Aussichtspunkt im Eckermannpark: So soll das neue Naturbad Winsen nach Fertigstellung aussehen.
Übersichtsplan auf einem Aussichtspunkt im Eckermannpark: So soll das neue Naturbad Winsen nach Fertigstellung aussehen. © HA | Markus Steinbrück

„Ein Naturbad ist nicht wie ein Badesee“, erklärt Angelina Gastvogel, Projektleiterin bei der Stadt Winsen. Das wird allein optisch an mehreren Hoch- und Tiefbauten im Eckermannpark deutlich. Die Zuwegung von der Hansestraße aus, die Anlieferung des Filtermaterials und die Anlage der Wohnmobil-Stellplätze sind abgeschlossen.

Gastronomie soll das ganze Jahr über betrieben werden, auch im Winter

Die größten Fortschritte macht derzeit das zentrale Gebäude in der Parkmitte. Die Wände aus Fertigteilen sind aufgestellt, demnächst folgen Innenausbau und Photovoltaikanlage auf dem Trapezdach. Die Verhandlungen zwischen den Stadtwerken Winsen – wie beim Freizeitbad Die Insel fungieren sie als Betreiber – und einem Gastronomen seien weit fortgeschritten, hieß es. Angestrebt wird eine Ganzjahres-Gastronomie.

Bei der Baustellenführung informierte Ingenieur Sebastian Flohre aus Bremen auch über das Funktionshaus in der Mitte des Geländes. Hier finden unter anderem Umkleiden, Duschen und Gastronomie ihren Platz.
Bei der Baustellenführung informierte Ingenieur Sebastian Flohre aus Bremen auch über das Funktionshaus in der Mitte des Geländes. Hier finden unter anderem Umkleiden, Duschen und Gastronomie ihren Platz. © HA | Markus Steinbrück

Was macht das in Winsen wachsende Naturbad so außergewöhnlich? „Für den Bau von Gebäuden und Becken und die Anlage der Freiflächen wurden möglichst ressourcensparende Materialien gewählt“, sagt Projektleiter Sebastian Flohre. Im Vergleich zu einem klassischen Freibad wird das Naturbad Winsen pro Jahr mehr als 130 Tonnen CO₂ einsparen. In der Bauphase sei es aber so gut wie unmöglich, keine CO₂-Emissionen zu verursachen. Man achte sehr darauf, bei Herstellung und Transport der Bauteile nur geringe Werte zu verursachen. In der Gesamtbetrachtung bleibe die Bauphase außen vor.

Einsparung von 130 Tonnen CO₂ gegenüber klassischen Schwimmbädern

Für den späteren Betrieb gilt das realistische Ziel, durchschnittlich mehr Strom zu erzeugen als zu verbrauchen – insbesondere durch die PV-Anlage. Der Überschuss könne in einer großen Batterie (80 KW) gespeichert oder zusätzlich ins Netz eingespeist werden. Gas oder andere Energieträger benötigt das Naturbad nicht.

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Da die meisten Badegäste an hochsommerlichen Tagen kommen, besteht in diesen Zeiten auch der mit Abstand größte Strombedarf für Pumpen und die Gastronomie. „Allerdings haben wir genau an diesen Tagen auch die höchsten Erträge über die PV-Module“, erklärt Ingenieur Flohre. „Bei schlechterem Wetter und weniger Besuchern kann die Anlagenleistung für die Wasseraufbereitung reduziert und der Stromverbrauch deutlich gesenkt werden.“

Wasser hat nach der biologischen Reinigung wieder Badewasserqualität

Die biologische und mechanische Wasseraufbereitung – wie gesagt ohne Chlor-Einsatz – ermöglicht es den Betreibern, das Wasser nach der Reinigung wieder in Badewasserqualität in die Becken einzuspeisen. Aufgabe der Nass- und Trockenfilter ist es, Keime und Nährstoffe, die zum Beispiel durch Badegäste oder Wasservögel ins Wasser gelangen, zu beseitigen.

Blick in das Becken einer biologischen Filteranlage. In den Nassfilter werden später Pflanzen eingesetzt.
Blick in das Becken einer biologischen Filteranlage. In den Nassfilter werden später Pflanzen eingesetzt. © HA | Markus Steinbrück

Die Filter bestehen aus bis zu 1,60 Meter hohen Substratschichten, durch die das Wasser von oben nach unten hindurch sickert. Auf der Oberfläche der Substrate wächst nach und nach ein Biofilm, der ungewollte Nährstoffe, Keime oder Algen aufnimmt und bindet.

Badewasser beheizen? Weder wirtschaftlich noch ökologisch sinnvoll!

Das Badewasser im Naturbad wird grundsätzlich nicht beheizt. „Das wäre weder wirtschaftlich noch ökologisch sinnvoll“, sagt Sebastian Flohre. Weil es viele flache Becken gebe, die mit dunklen Folien ausgelegt sind, erwärme sich das Wasser relativ schnell. Teilweise sei das Gelände etwas angehoben worden, um über den Grundwasserspiegel zu kommen. Geben wird es einen großen Nichtschwimmerbereich, einen 1,60 Meter tiefen Schwimmerbereich mit Badeinseln und ein 25 Meter langes Sportbecken mit Startblöcken und senkrechten Wänden.

Die bereits installierte Kletterwand am tiefsten Becken. Das Gesetz schreibt vor Kletterwänden eine Mindesttiefe von 2,65 Meter vor.
Die bereits installierte Kletterwand am tiefsten Becken. Das Gesetz schreibt vor Kletterwänden eine Mindesttiefe von 2,65 Meter vor. © HA | Markus Steinbrück

Aus der Einbindung von Jugendlichen der Eckermann-Realschule erwachsen ist der Wunsch nach einer Kletterwand unmittelbar am Becken. An dieser Stelle schreibt das Gesetz eine Wassertiefe von 2,65 Meter vor – die tiefste Stelle im neuen Winsener Naturbad.

Naturbad Winsen: Baustellenführungen am ersten Sonnabend im Monat

Aus den Baukosten für Gelände und Naturbad, Planungskosten und baubegleitenden Kosten ergibt sich ein Investitionsvolumen von etwas mehr als zehn Millionen Euro. Gefördert wird das Projekt mit einer Fördersumme von drei Millionen Euro aus dem Bundesprogramm zur Anpassung urbaner Räume an den Klimawandel.

Wer sich persönlich einen Eindruck vom Baufortschritt verschaffen möchte, hat dazu an jedem ersten Sonnabend im Monat anlässlich öffentlicher Baustellenführungen die Möglichkeit. Die nächste kostenfreie Führung startet am Sonnabend, 6. April, um 10 Uhr. Treffpunkt ist der Eingang an der Hansestraße 21. Festes Schuhwerk wird empfohlen. Weitere Informationen in der Rubrik Naturbad der städtischen Internetseite www.winsen.de.