Winsen. Die Grenzen des Wachstums sind nicht überschritten. Wenn es nach Bürgermeister Wiese geht, soll sich die Einwohnerzahl weiter erhöhen
Die Grenzen des Wachstums sind für die Kreisstadt nicht überschritten. Wenn es nach Bürgermeister André Wiese geht, soll sich die Einwohnerzahl überschaubar weiter erhöhen. „Die Stadt liegt günstig in der Metropolregion, verfügt über eine Bahnanbindung, ein Krankenhaus, alle weiterführenden Schulen und viele Einkaufsmöglichkeiten. Damit wird sie für alle Generationen attraktiv bleiben“, sagte Wiese im Gespräch mit dem Abendblatt. „Es wäre falsch, die Zugtore jetzt hoch zu ziehen.“ Der Bürgermeister rechnet mittelfristig mit einem jährlichen Plus von 300 bis 400 Bürgern. Derzeit wohnen in Winsen gut 37.000 Menschen.
Um neuen Bürgern etwas anbieten zu können, sollen sowohl weiter Bebauungsgebiete erschlossen als auch innerhalb der Kernstadt nachverdichtet werden. Das bedeutet: Gebäude, deren energetischer Standard und Bauzustand nicht mehr ausreichen, sollen abgerissen und auf den Grundstücken neu gebaut werden. Wiese räumt aber ein: „Nachverdichtung ist wissenschaftlich und wirtschaftlich populär, aber in der Nachbarschaft nicht beliebt. Auch die Bereitschaft für neue Baugebiete sinkt, je näher sie der eigenen Haustür sind.“
Bei der Nachfrage nach neuen Wohnungen müssten die Themen Flächenverbrauch und Versiegelung ernst genommen werden. „Winsen braucht die Natur für die Naherholung, vor allem aber für die Landwirtschaft.“
Bürgermeister setzt auf neue, größere Baugebiete
Ansatzpunkt für künftige Lösungen soll eine Neubewertung des Flächennutzungsplans werden, die im kommenden Jahr (2022) starten wird. Sie schließt an die Analyse von 1996 bis 2001 an. Wiese empfiehlt für die Stadt größere Baugebiete wie etwa in der Norderbülte für um die 200 Wohnungen. In den Ortsteilen sollten sie wie jetzt im Allernweg in Pattensen kleinere Projekte nach und nach aufwachsen. „Unseren Stadtplanern wird nicht langweilig werden.“
Eng wird es bei den Gewerbegebieten. Letzte Reserve ist derzeit das Gebiet an der Boschstraße gegenüber der Norderbülte. Erster Bewerber für einen Hektar ist die Deutsche Post. Über die weiteren fünf Hektar soll politisch bis zum Sommer entschieden werden. Bei der Größe der zu vergebenenden Flächen bietet sich das Gebiet vor allem für Mittelständler und Handwerker an.
Winsens Wirtschaft entwickelt sich positiv, was nicht nur am Rekord bei der Gewerbesteuer für 2021 abzulesen ist. Erstmals halten sich jetzt Ein- und Auspendler mit jeweils 9800 die Waage. Die Zahl vor allem qualifizierter Arbeitsplätze vor Ort nimmt zu.
Die Kreisstadt wird aber nicht nur weiter wachsen. Ihr Bild wird sich in den kommenden Jahren verändern. Größtes Neubauprojekt ist die Stadtbibliothek, die mitten in der Stadt im Anschluss an den Marstall neben einem der Kreisgebäude entstehen soll. „Es wird ein moderner Bildungsort für alle Generationen nahe Schlosspark und Schlossteich, also in einer Umgebung, in der man sich wohl fühlen und zur Ruhe kommen kann“, ist Wiese überzeugt. Alle notwendigen Grundstücke hat die Stadt bereits erworben. Offen ist noch, wie rasch der gerade neu gewählte Rat das Projekt vorantreiben wird.
Weitere Fördermittel vom Land sind nötig
Nur: Allein wird die Stadt das auf acht bis neun Millionen Euro geschätzte Projekt nicht schultern können. Deshalb soll es über die Städtebauförderung mit in die Sanierung der Innenstadt integriert werden, auf die noch zurückgekommen wird. Mit dem Land muss über weitere Fördermittel und einen längeren Förderzeitraum verhandelt werden. Gelingt das, könnten die Investitionen zu je einem Drittel auf Stadt, Land und Bund verteilt werden.
Stand jetzt könnte die Bauleitplanung im ersten Halbjahr 2022 beginnen und die Bibliothek 2025 fertig sein.
Schon jetzt gilt neben der Bibliothek das geplante Naturbad im Eckermannpark als attraktiv für Einwohner und Gäste aus der Region. Nach der Eröffnung, die für Mai 2024 angepeilt wird, könnten täglich zwischen 900 und 1100 Badegäste kommen. Das Besondere an dem Projekt: Das Bad soll nicht nur während des Betriebs über Photovoltaik und eine Kleinwindkraftanlage CO2-neutral Strom erzeugen, sondern das über 30 Jahre während des Baus und Rückbaus entstehende CO2 durch Überschüsse aus regenerativer Energie kompensieren – eine internationale Premiere.
Die Erschließung von der Hansestraße aus soll im Herbst 2022 fertig sein, so dass die Baustelle von Anfang 2023 an eingerichtet werden kann. Die erste Hürde für das innovative Projekt wurde bereits genommen. Denn der Bund stellt, auch auf Initiative der beiden örtlichen Bundestagsabgeordneten Svenja Stadler (SPD) und Michael Grosse-Brömer (CDU), drei Millionen Euro aus einem Fördertopf für vom Klimawandel bedrohte Grünanlagen mit überdurchschnittlichen Investitionsvolumen bereit. Die Summe entspricht etwa der Hälfte der auf gut sechs Millionen Euro geschätzten Kosten.
„Als wachsende Stadt müssen wir investieren und alle Förderungen nutzen“, sagt Bürgermeister Wiese über die Strategie. Zu den Projekten zählt zudem ein neues Jugendzentrum oder die sechste Grundschule der Stadt in Stöckte, die wohl frühestens zum Schuljahr 2024/25 ihr Tore öffnen könnte. Vorgesehen ist, dass der Planungsausschuss am 13. Januar über den Start für die Schule entscheidet. Für alle Projekte müssen neben den Fragen zum Bau zudem die Vorschriften für Förderungen durchdrungen und berücksichtigt werden. „Wir müssen dabei aufpassen“, sagt Wiese, „dass die Mitarbeiter im Hoch- und Tiefbau sowie in der Stadtplanung nicht permanent überfordert werden.“
Sanierungen in der Innenstadt werden sich hinziehen
In der Innenstadt haben nach dem ersten Spatenstich am 8. November mit einem Monat Verzögerung die Arbeiten am neuen, einzig aus europäischen Granitsteinen gelegtem Pflaster begonnen. Auch in Winsen wirkten sich Lieferschwierigkeiten und die Corona-Pandemie aus, während der die Stadt Familien und Vereinen 2021 mit 200.000 unter die Arme gegriffen hat.
Verbunden mit dem neuen Pflaster sind neue Abwasser-, Gas- und Stromleitungen sowie Hausanschlüsse in der Rathaus- und der Marktstraße. „Mit Gesamtkosten von 13 Millionen Euro ist das ein hochwertiger Ausbau, der die Folgekosten senken wird“, versichert der Bürgermeister. Durch zwei Wasserspiele soll Winsens City blauer, durch klimaresistente neue Bäume grüner werden. Noch 2022 soll der erste Abschnitt zwischen dem südlichen Eingang der Fußgängerzone und dem Rathaus fertig sein. Der Abschluss der Arbeiten ist für 2025 geplant. „Wir glauben an die Innenstadt als Wohnzimmer von Winsen. Es wird attraktiv, wenn wir viele Anlässe schaffen, um sich dort aufzuhalten.“
Die gerade beschlossene Sanierung der 40 Jahre alten Stadthalle für eine Million Euro soll die Veranstaltungsstätte für Kunst und Kultur in der Kreisstadt absichern. Wiese sieht es jedoch derzeit nicht als „vordringlichste Aufgabe“an, sich mit dem Bau einer neuen Halle zu befassen. Vielmehr soll die Halle mit neuer Raumluft- und Bühnentechnik sowie mit fortlaufenden Malerarbeiten funktionstüchtig gehalten werden, bis eine Entscheidung für einen Neubau, ein Hotel oder weitergehende Vorschläge fällt.
Im Rat herrschen nach der Kommunalwahl vom September keine klaren Mehrheitsverhältnisse. Deshalb setzt der Bürgermeister auf gute Zusammenarbeit. „Ich wünsche mir für die großen Entscheidungen Mehrheiten, auf die sich alle verlassen können.“