Winsen. Trendsport wird von vielen belächelt. Doch ein Besuch beim MTV Hoopte zeigt: Wer hier bestehen will, muss hart an sich arbeiten.
- Hobby Horsing ist eine Trendsportart aus Skandinavien und boomt inzwischen auch in Deutschland
- Der Ritt auf den Steckenpferden sieht zwar kinderleicht aus, erfordert jedoch eine Menge Ausdauer und Geschicklichkeit
- In Finnland haben inzwischen auch Männer ihre Leidenschaft fürs Hobby Horsing entdeckt
Ein neuer Trend breitet sich aus: Hobby Horsing. Noch wird das Steckenpferdreiten von vielen als Freizeitbeschäftigung für Mädchen belächelt, die rosa Plüschtiere herzen, streicheln und spazieren tragen wollen. Ein Missverständnis: Hobby Horsing ist ein Sport, für viele sogar ein Leistungssport. Das Abendblatt hat eine Trainingseinheit beim MTV Hoopte besucht.
In der Turnhalle am Elbdeich ist ein Parcours mit neun Hindernissen aufgebaut. Oxer, Rick, Triplebarre. Ganz so, wie es Springreiter kennen. Sieben Mädchen laufen durch die Halle. Unter ihnen die neunjährige Lena aus Ohlendorf. Mit ihrer Schimmelstute Belle setzt sie über steile Kombinationen.
Hobby Horsing eim MTV Hoopte: Gefordert ist höchste Konzentration
Ganz hoch zieht sie die Beine, schafft es dabei, das Stoffpferd in korrekter Position zu halten, um gleich darauf in scharfer Wendung das nächste Hindernis in den Fokus zu nehmen. Das alles im Galopp, dessen typischer Dreier-Rhythmus so klingt, als sei hier wirklich ein Pferd unterwegs.
Am Rande des Parcours: Trainerin Anabell Harms. Mit kritischem Blick verfolgt die 30-Jährige die Leistungen ihres Schützlings. Sie mahnt, spornt an und fordert vor allem eines: Konzentration. Denn genau wie im Pferdesport fallen Stangen hier schon bei der kleinsten Berührung. Als sie gelobt wird, huscht ein glückliches Lächeln über das Gesicht der zierlichen Lena.
Sie springt für ihr Leben gern. Seit vier Jahren trainiert sie Hobby Horsing. 14 Steckenpferde hat sie zu Hause im Kinderzimmer und überlegt, für ihre Lieblinge jetzt einen Stall zu bauen. Während Anfängerinnen ihre Pferde oft auf der heimischen Nähmaschine zusammenstoppeln, ist Belle richtig wertvoll. Steckenpferde wie sie können leicht mehrere hundert Euro kosten.
Lena hat 14 Steckenpferde und überlegt, ihren Lieblingen einen Stall zu bauen
Die 13-jährige Laura kommt – wie fast alle Steckenpferd-Begeisterten – eigentlich aus dem Reitsport. Das Mädchen kommt mit ihrer Mutter aus dem 60 Kilometer entfernten Ahrensburg in den Winsener Ortsteil Hoopte. „Weil es Spaß macht und weil Anabell eine supertolle Trainerin ist.“
Kennengelernt hat sie Anabell bei einem Reitturnier, wo die Powerfrau aus Hoopte Preisrichterin war. Was Laura am Hobby Horsing mag: die Mischung aus intensiver Bewegung, Detailgenauigkeit und der Möglichkeit, sich kreativ auszuleben, indem sie neue Bewegungsabläufe erprobt.
Mädchen bereiten sich auf inoffizielle Weltmeisterschaften in Finnland vor
Während die Hindernisse Stück für Stück erhöht werden, läuft sich rund um das Spielfeld eine fünfköpfige Mädchencrew warm. Die Teilnehmerinnen sind zwischen 13 und 16 Jahre alt. „Und schon echte Profis“, wie die Trainerin meint. Gegenwärtig bereiten sie sich auf die Teilnahme an einem Championat in Seinäjoki in Finnland vor, das als inoffizielle Weltmeisterschaft gilt. „Wir wollen unter die ersten Fünf kommen“, gibt Anabell die Richtung vor.
Im vergangenen Jahr waren die Hoopter erstmals bei dem Wettbewerb in Skandinavien dabei. Damals gab es noch keine Lorbeeren für sie. Ganz einfach deshalb, weil die Deutschen vieles nicht wussten. Zum Beispiel, dass es nicht nur auf den Reiter und seine Beinhaltung ankommt, sondern auch auf die Stellung und Biegung des Pferdes, darauf, wie es seinen Kopf hält, ob es sich mit einem Rundhals den Einwirkungen des Zügels entzieht oder ob der Reiter es über dem Hindernis nach unten wegdrückt.
Hindernisse beim Hobby Horsing sind bis zu 80 Zentimeter hoch
Reiter kennen das. Aus dem Pferdesport kommen auch die Begriffe. „Rechte Hand, antraben“, ruft Anabell. Und die vier Teenager geben alles. In sauberem Takt ziehen sie die Knie hoch, machen raumgreifende Schritte und schaffen es trotz der Anstrengung, freundlich zu lächeln.
Als Anabell das Handy zückt, wird es ganz still in der Sporthalle. Denn die Trainerin nimmt jetzt die Zeit, während die Mädchen über die 80 Zentimeter hohen Hindernisse fegen. „Zieh, zieh, Attacke“, spornt Anabell die Sportlerinnen zur Höchstleistung an, die die ehrgeizigen Mädchen auch bringen wollen.
Manche bleiben nach dem letzten Hindernis ausgepumpt stehen, ohne an der Start- und Zielmaschine vorbeizulaufen. „Weiter, weiter, bis zum Ende“, bekommen sie zu hören. Hinterher gibt es eine präzise Analyse: Wo ist der Bogen, den die Mädchen reiten, zu groß? Wie lassen sich Sekunden sparen im Kampf um die vorderen Plätze?
Logik und klare Linienführung sind beim Bau des Parcours gefragt
Seit einer Stunde sind die Preisträgerinnen von morgen nun in der Halle. Ihre Konzentration lässt sichtbar nach. Doch Annabell wäre keine Erfolgstrainerin, wenn sie nicht auch dagegen ein Rezept hätte. Sie lässt die Mädchen einen Parcours bauen. Dabei sind Logik und klare Linienführung gefragt. Und manchmal auch das Maßband. Sinn der Übung: Sie schult die Fähigkeit, sich in einem Gewirr von Hindernissen zurechtzufinden. Denn vor dem Wettkampf bleiben oft nur fünf bis zehn Minuten, um sich die richtige Reihenfolge einzuprägen.
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Wer einen Parcours selbst baut, trainiert seinen Kopf. Auch das ist super anstrengend. Die Gesichter der Hobby-Horse-Reiterinnen zeigen es. Auch hier bleibt Anabell bei klaren, knappen Ansagen in bestimmendem Ton. Doch die Sportlerinnen wissen genau, wie es gemeint ist.
Sie vertrauen und mögen ihre Trainerin, lieben ihren Sport. Und sie wollen bei der Siegerehrung ganz oben auf dem Treppchen stehen. Wenn nicht in Finnland, dann zumindest bei einer der vielen Meisterschaften, die es inzwischen in ganz Deutschland gibt und für die sie ihre Eltern sogar bis nach Frankfurt fahren.
In den Osterferien trainiert die Gruppe bis zu viermal pro Woche
Zum Abschluss springen die Mädchen ihren selbstgebauten Parcours. Eines der Nachwuchstalente steigt aus: Ihr fehlt die Kraft, das nächste Hindernis anzusteuern. Nicht so schlimm. Schon bald soll es weitergehen. In den Osterferien trainieren die jungen Sportlerinnen bis zu viermal pro Woche. Zur Entspannung reitet die Gruppe öfters aus, am liebsten über den Deich.
Anabell Harms, Jugendwartin beim MTV Hoopte, seit ihrem fünften Lebensjahr Reiterin und stolze Besitzerin von vier Pferden, bekam die Anregung zu diesem ungewöhnlichen Sport durch eine Fernsehsendung. Und fand in der Tochter einer Arbeitskollegin eine aktive Hobby-Horse-Reiterin. Mit einem Team aus sechs Mädchen drehte sie ein Video, das für die neue Sparte im Verein warb. Bald danach konnte es mit 15 Teilnehmerinnen losgehen. Inzwischen sind es 33 in zwei Gruppen.
In Finnland ist Hobby Horsing längst zum Breitensport geworden
Die Reiterinnen des MTV Hoopte, die aus dem gesamten Landkreis Harburg und darüber hinaus stammen, haben ihre Begeisterung längst in ihre Heimatorte getragen. Nicht nur in Ahrensburg, Norderstedt, Behringen, Todtglüsingen, Sittensen und Steinkirchen wird jetzt ebenfalls auf dem Steckenpferd geritten. Auch in Marxen befindet sich eine neue Gruppe im Aufbau. Anabell hat derweil im neu gegründeten Deutschen Hobby Horsing Verband (DTHHV) ein verpflichtendes Regelwerk für den hierzulande neuen Sport erarbeitet.
Hobby Horsing – ein Erfolgsmodell. Aber warum machen das eigentlich nur Mädchen? „Vielleicht, weil viele Jungen Probleme haben, die bei diesem Sport geforderten runden, harmonischen Bewegungen hinzubekommen“, mutmaßt Harms. Klar, in Finnland, wo Hobby Horsing gleichberechtigt neben Tennis und Fußball steht, ist auch das anders. Dort reiten auch Männer ganz selbstverständlich auf den Stoffpferden.
Ob das in Deutschland auch gelingt? Warum eigentlich nicht? Schließlich war auch das heute weitverbreitete, ebenfalls in Finnland erfundene Nordic Walking in südlicheren Sphären zunächst nicht mehr als ein belächelter Minderheitensport.