Winsen/Buchholz. Gegen Hilflosigkeit und Schuldgefühl: In Buchholz und Winsen gibt es neue Angebote für den Umgang mit süchtigen Kindern und Jugendlichen.

  • Wenn Kinder und Jugendliche mit Drogen experimentieren oder ungebremst Medien konsumieren, kann das unbemerkt in eine Suchterkrankung münden
  • Eltern fühlen sich oft schuldig und hilflos im Umgang mit abhängigen Kindern
  • Ein neues Beratungsangebot für Eltern in Winsen und Buchholz informiert auch über Warnsignale und elterliche Selbstfürsorge

Es beginnt vielleicht mit einem Joint im Freundeskreis, einem Drink auf einer Party oder einer durchzockten Nacht – und führt in den Dauerrausch, der nichts anderes ist als eine Krankheit. Irgendwann dazwischen ist es gekippt, vom jugendlichen Ausprobieren in die Sucht. Nach illegalen Drogen, teilweise legalisierten Substanzen wie Cannabis, Alkohol oder auch Medien.

Wenn das eigene Kind süchtig ist, fühlen sich viele Eltern hilflos. Sie empfinden Schuld und Scham, fragen sich, ob sie es hätten verhindern können. Wann sollten Eltern hellhörig werden? Wie können sie ihr suchtkrankes Kind unterstützen und zugleich sich selbst schützen? Um Fragen wie diese geht es in der Elternberatung der Fachstelle für Sucht und Suchtprävention des Diakonischen Werkes der Kirchenkreise Hittfeld und Winsen.

Süchtige Kinder und Jugendliche: Immer mehr Eltern suchen Hilfe

Der Beratungsbedarf sei stark gestiegen, sagt Sylvia Gehmlich. Die Sozialarbeiterin und Suchttherapeutin in Ausbildung leitet die Gruppe für Eltern suchtgefährdeter und suchtkranker Kinder und bietet Beratung in Buchholz und Winsen an. Oft wüssten Mütter und Väter nicht, wie sie mit ihrem Kind umgehen sollen, sagt die Expertin. „Sie zahlen die Schulden ihrer Kinder, vermeiden Konflikte und unterstützen damit die Sucht.“

Sylvia Gehmlich von der Fachstelle Sucht und Suchtprävention des Diakonischen Werkes der Kirchenkreise Hittfeld und Winsen bietet das neue Angebot für Eltern suchtgefährdeter und suchtkranker Kinder an.
Sylvia Gehmlich von der Fachstelle Sucht und Suchtprävention des Diakonischen Werkes der Kirchenkreise Hittfeld und Winsen bietet das neue Angebot für Eltern suchtgefährdeter und suchtkranker Kinder an. © S. Zeuner | S. Zeuner

In der Beratung geht es um Verhaltenssüchte, zum Beispiel nach Computerspielen oder Pornografie, ebenso wie um die Abhängigkeit von Substanzen. Cannabis, Kokain und Opioide sind nur einige der gefährlichen Stoffe. „Gerade Tilidin und Oxycodon werden im Hip-Hop verharmlost und regelrecht besungen“, sagt Gehmlich. Auch Fentanyl schwappe aus den USA nach Deutschland über.

Cannabis wirkt auf Gehirnentwicklung von Jugendlichen und kann Psychosen auslösen

Die bevorstehende Teillegalisierung von Cannabis sieht die Suchtexpertin sehr kritisch. Cannabis sei eine Droge, die abhängig mache, und vor allem psychische Folgen habe. Es könnten Depressionen und Psychosen auftreten. „Wenn Jugendliche mit 15 oder 16 mit Cannabis anfangen, ist das Gehirn noch in der Entwicklung. Wichtige Verbindungen verkleben und körpereigene Cannabioide können nicht mehr ausgeschüttet werden.“

Und dann gibt es noch die sogenannten Legal Highs, chemische Drogen mit berauschender Wirkung, die als Badesalze oder Räuchermischungen verkauft werden. Jugendliche beschaffen sich die Drogen einfach übers Internet, sagt Gehmlich. Übliche Quellen seien Instagram und Telegram. Auch verschreibungspflichtige Medikamente, wie Benzodiazepine, sind auf dem illegalen Markt zu bekommen.

Bei Alarmzeichen sollten Eltern mit ihrem Kind ins Gespräch kommen

Ein spezieller Fall ist Alkohol, dessen Missbrauch auch schwere körperliche Schäden anrichten kann. Hier werde der Konsum eher toleriert, sagt Gehmlich. Mehr noch: „Alkohol ist die einzige Droge, für man sich rechtfertigen muss, wenn man sie nicht nimmt.“

Aufmerksam sollten Eltern werden, wenn sie Wesensveränderungen bei ihrem Kind bemerken. Ist es unkonzentriert, fällt in der Schule ab, zieht sich zurück, gibt Hobbys auf oder zeigt aggressives Verhalten, können das Warnsignale sein. Sylvia Gehmlich rät Eltern dann zur sogenannten gewaltfreien Kommunikation – nicht mit Vorwürfen oder drängenden Fragen, sondern mit Ich-Botschaften. „Eltern sollten ihre eigenen Gefühle schildern und signalisieren, dass ihre Tür immer für ein Gespräch mit dem Kind offensteht.“

Auch der Konsum der Eltern wird in der Beratung hinterfragt

Zudem sollten Mütter und Väter ihren eigenen Konsum, zum Beispiel von Alkohol, hinterfragen, rät die Expertin. Sei das abendliche Bier oder Glas Wein Teil des Alltags, übernähmen Kinder solche Verhaltensweisen. Bedeute Alkohol für Erwachsene Entspannung und Geselligkeit, erfülle Cannabis für Jugendliche dieselbe Funktion. „Beides ist ein soziales Schmiermittel.“

Jede Suchterkrankung folge demselben Muster, sagt Gehmlich. „Im Gehirn wird das Belohnungssystem aktiviert und es bildet sich ein Suchtgedächtnis aus.“ Irgendwann entwickele die Sucht eine Eigendynamik, deshalb falle es abhängigen Menschen so schwer, mit dem Konsum aufzuhören.

Niemand habe Schuld an der Sucht, sagt die Expertin

Mütter und Väter machten sich immer Vorwürfe, sie fragten sich, was sie falsch gemacht haben. „Aber Eltern sind nicht schuld an der Sucht“, betont die angehende Suchttherapeutin. In der Gruppe können sie sich austauschen und machen die Erfahrung, dass sie nicht allein mit ihren Sorgen sind.

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Oft beeinträchtigt die Krankheit das Familienleben. „Eltern vergessen ihre eigenen Bedürfnisse, stellen ihre Kinder an erster Stelle und sich hintenan. Es kommt zu einer sogenannten Co-Abhängigkeit. Auch Geschwister kommen zu kurz, die Familie verzichtet auf Unternehmungen oder Eltern entwickeln selbst eine psychische Erkrankung wie Depressionen. „Selbstfürsorge ist sehr wichtig“, betont Gehmlich. Eltern sollten klar kommunizieren, wo ihre Grenzen liegen und wann diese überschritten sind. Dazu gehöre auch, Regeln zu Hause durchzusetzen.

Betroffene müssen spüren, dass ihr Verhalten Konsequenzen hat

Am Anfang einer Sucht, wenn der problematische Konsum den Eltern auffällt, könne Druck von außen noch helfen – zum Beispiel das Geld fürs HVV-Ticket streichen oder den bekifften Sohn nicht in die Wohnung lassen. Denn: „Ein Suchterkrankter wird nie sein Verhalten ändern, wenn er keine Konsequenzen zu befürchten hat. Das müssen Eltern aushalten.“ Der Betroffene müsse spüren, dass sein Verhalten Folgen hat. Ist die Sucht bereits fortgeschritten, ist Abgrenzung wichtig. „Eltern wünschen sich, dass es ihrem Kind gut geht. Das ist ein Instinkt“, sagt die Expertin. „Aber sie können ihr Kind nicht retten.“

Die Gruppenberatung für Eltern besteht aus sechs Abenden, es werden Themen wie Kommunikation, Rechtliches, das Suchthilfesystem, Selbstfürsorge und Selbstreflexion angesprochen. Die nächste Gruppe startet im April in Buchholz, sie ist bereits voll belegt. Bei entsprechender Nachfrage soll im Herbst eine weitere Gruppe starten.

Wenn Kinder süchtig sind: Beratung für Eltern in Buchholz und Winsen

Wer will, kann anschließend eine Selbsthilfegruppe, die aus dem ersten Kurs im vergangenen Jahr hervorgegangen ist, besuchen. Die Fachstelle bietet zudem Einzelberatung Winsen und Buchholz an, alle Angebote sind kostenlos. Weitere Informationen gibt es unter Telefon 04181/4000 oder per E-Mail an suchthilfe@diakonie-hittfeld-winsen.de.