Buchholz. Harriet Rausche hat eine akademische Ausbildung, lebt seit drei Jahren in Deutschland. Als Pflegerin startet sie in der Klinik durch.

Rund 305.000 Pflegekräfte werden laut Schätzung des Instituts für deutsche Wirtschaft in Köln bis zum Jahr 2035 in Deutschland fehlen. Schon jetzt leidet der Betrieb vieler Pflegeheime und Krankenhäuser unter der krassen Personalnot. Die Akquise von Pflegekräften aus dem Ausland scheint ein Ausweg aus der Not. Doch nicht immer ist der Einstieg in das deutsche Pflegesystem so einfach, wie es angesichts der angespannten Situation zu vermuten wäre. Das macht der Werdegang von Harriet Rausche deutlich. Die 33-Jährige aus Uganda hat einen akademischen Abschluss in der Pflege und lebt seit 2020 in Deutschland. Welche Hindernisse Harriet auf dem Weg zu ihrem Traumberuf Pflege in ihrer neuen Heimat überwinden muss, hat sie dem Abendblatt geschildert.

Durch eine Kindheitsfreundin lernte Harriet in Uganda ihren heutigen Mann Helmut kennen. Sie wurden ein Paar, heirateten und Harriet zog zu ihm nach Dohren im Landkreis Harburg. Die heute dreijährige Tochter kam zur Welt. Harriet spricht neben der Landessprache Runyoro seit ihrem sechsten Lebensjahr Englisch, das in der ehemaligen englischen Kronkolonie am Victoriasee als offizielle Amtssprache gilt.

Sprachlevel zu erwerben war erst der Anfang eines Hindernisparcours

Inzwischen beherrscht die junge Frau auch fließend Deutsch. Zwei Jahre hat die Afrikanerin investiert, um den Sprachlevel B2 zu erwerben, der Voraussetzung für einen Pflegejob in Deutschland ist. Doch das war erst der Anfang eines Hindernisparcours.

Die 86-jährige Patientin Anita Meyer aus Wistedt freut sich, wenn Harriet zu ihr kommt.
Die 86-jährige Patientin Anita Meyer aus Wistedt freut sich, wenn Harriet zu ihr kommt. © HA | nanette franke

Denn Im Gegensatz zu Pflegekräften aus der EU hat Harriet Rausche keinen automatischen Anspruch auf die Anerkennung ihrer vierjährigen Pflegeausbildung, von denen sie zwei an der Universität der ugandischen Landeshauptstadt Kampala absolviert hat. Vielmehr muss die junge Frau demnächst eine Kenntnisprüfung ablegen, die voraussichtlich von der Gesundheitsfachschule der Krankenhäuser in Buchholz abgenommen wird.

Von Ligonda, einem privaten Anbieter für Sprach- und Vorbereitungskurse, erhält Harriet derzeit online Material für die Prüfungsvorbereitung. Parallel ist sie übergangsweise in Vollzeit als Pflegehelferin im Krankenhaus Buchholz angestellt. Was Harriet leisten muss, um in der Bundesrepublik in ihrem erlernten Beruf zu arbeiten, ist allerhand.

Gremium kritisiert Verfahren zur Anerkennung ausländischer Pflegeabschlüsse

Pflegedienstleiter Thomas Leonforte aus dem Krankenhaus Buchholz verweist auf eine Stellungnahme des Sachverständigenrats für Integration und Migration, einem unabhängigen Expertengremium, das auf wissenschaftlicher Grundlage arbeitet. Das Gremium kritisiert das Verfahren zur Anerkennung ausländischer Pflegeabschlüsse, das in jedem Bundesland anders geregelt ist, als uneinheitlich und intransparent. Und es dauere viel zu lange. Leonforte und seine Kollegen würden das vermutlich glatt unterschreiben, denn gerade jetzt vor Weihnachten ist die Pflegedecke auch in den Krankenhäusern Buchholz und Winsen dünn.

Dabei haben die Häuser es an Bemühungen nicht fehlen lassen und bereits reichlich Erfahrung mit Arbeitnehmern aus Drittstaaten. Bereits im Jahr 2020 warben die Häuser erstmals 15 philippinische Pflegekräfte an, im Jahr 2022 weitere 30. Inzwischen arbeiten die Filipinos erfolgreich auf den Stationen beider Häuser. Jetzt sollen weitere acht Pflegeanwärter aus dem südpazifischen Inselstaat hinzukommen. Dazu sieben aus Indien und 15 aus dem Iran.

Hinsichtlich der Integration der Weitgereisten sieht Leonforte positive Vorzeichen: Die Neuankömmlinge werden gemeinsam in einem Vorbereitungskurs betreut. Und sie werden in den Krankenhäusern Landsleute vorfinden: „Wir haben bereits indische Auszubildende und auch einige Mitarbeiter, die aus dem Iran kommen, darunter eine stellvertretende Stationsleitung“, listet er auf. Ein Apartment für jeden stellen die Krankenhäuser für das erste Jahr zur Verfügung. Danach helfen sie bei der Vermittlung von Wohnraum in Buchholz und insbesondere auf dem stark umkämpften Winsener Wohnungsmarkt.

Harriet geht allein ihren Weg. Sie hat viel Ehrgeiz. Im Sommer soll die Prüfung zur deutschen Pflegefachkraft sein. Danach will sie durchstarten: „Ich war in Uganda eine selbstständige Frau, das will ich auch hier sein. Der Mann kann schließlich nicht alles allein machen“, sagt sie. Dass sie gegenwärtig für einen deutschen Führerschein lernt, ist bei dieser souveränen, überaus gut organisiert wirkenden Frau schon fast eine Selbstverständlichkeit.

Harriet Rausche möchte in ihrem Beruf weiterkommen und ist bereit, viel zu lernen.
Harriet Rausche möchte in ihrem Beruf weiterkommen und ist bereit, viel zu lernen. © HA | nanette franke

Sie liebt ihren Beruf, mag es zu helfen und ist froh, wenn ihr jemand sagt, wie die Begriffe, die sie nur auf Englisch gelernt hat, auf Deutsch heißen. Doch über manches an ihrem neuen Arbeitsplatz wundert sie sich: Während deutsche Pflegekräfte auch Hilfsarbeiten verrichten, wie Essen anreichen und sogar die Bettpfanne ausleeren, sind Krankenschwestern in Harriets Heimat ausschließlich für medizinische Aufgaben zuständig.

Während der Festtage ist sie deshalb dort, wo sie ihre Stärken ausleben kann: Im Krankenhaus

Sie arbeiten im Team mit Ärzten, legen Gefäßzugänge, verschreiben Medikamente, und wenn kein Arzt verfügbar ist und der Mutterpass eine unkomplizierte Niederkunft erwarten lässt, sind sie selbstständige Geburtshelferinnen. Hierarchisches Denken wie es in vielen deutschen Krankenhäusern noch gang und gäbe ist, kennt die Frau aus Uganda nicht. „Wir brauchen einander. Die unten arbeiten, sind genauso wichtig wie die oben“, bringt sie es auf den Punkt und wirbt für mehr gegenseitigen Respekt. Auch würde sie es gerne sehen. wenn die erst zaghaft angelaufene Akademisierung der Pflege in Deutschland Fortschritte macht.

Auf ihrer Station, der Geriatrie, hat sie sich inzwischen gut eingelebt. „Die alten Leute sind lieb und so froh, wenn man sich Zeit für sie nimmt“, beschreibt sie. Dass manche der Senioren gar nicht zurück nach Hause wollen, weil dort niemand ist, der sich um sie kümmert, ist für Harriet unvorstellbar. „Bei uns in Uganda ist immer jemand da, viele Großeltern leben zusammen mit ihren Enkelkindern. Wer im Krankenhaus liegt, bekommt sein Essen, seine Wäsche und sein Bettzeug von seinen Verwandten, die auch die Körperpflege übernehmen“, schildert sie. „Aber ich habe meine Heimat verlassen, und hier gelten die deutschen Regeln, denen folge ich.“ Sagt es und posiert mit strahlendem Lächeln neben dem deutschen Tannenbaum auf der Station. Weihnachtstraditionen sind Harriet noch fremd. Während der Festtage ist sie deshalb dort, wo sie ihre Stärken am besten ausleben kann: Im Krankenhaus. „Ich habe Dienst“ sagt sie und wirkt dabei gar nicht unfroh.