Tiste. Serie: Unterwegs in der Region – Autorin Carolin George hat sich auf den Weg gemacht und gibt Tipps für schöne Ausflüge

Fangen wir mit dem Superlativ an: Es ist zwar nicht das größte im ganzen Land – aber das bedeutendste in Norddeutschland. Das Tister Bauernmoor in der Nordheide ist vom Torfabbaugebiet zum international relevanten Rastgebiet für Kraniche im Herbst geworden. An einem einzigen Oktobertag sind hier um die 10.000 der edlen grauen Vögel zu sehen, auf wenige hundert Quadratmeter konzentriert. Etwa genauso viele Menschen fahren im Jahr mit der Moorbahn – denn das ist die andere Besonderheit dieses Moores: Sie lässt sich wunderbar per Minizug erkunden.

Aber fangen wir von vorne an. Hier, in Tiste bei Sittensen, haben die Menschen vor rund 300 Jahren begonnen, Torf abzubauen. „Natürlich nicht für Blumenerde“, sagt Bernd Herzig und lacht. Der Mann mit dem rot-grünen Moorbahnlogo auf der Weste ist vor 73 Jahren im Dorf geboren worden, kennt das Moor seit Kindesbeinen: „Wenn die Eltern Torf gestochen haben, sind wir Kinder mit und haben hier gespielt.“

Zwei verschiedene Schichten Torf gibt es im Tister Moor

Zwei verschiedene Schichten Torf gibt es im Tister Moor: Die untere Schicht, der Schwarztorf, wurde zum Heizen und Brennen benutzt, die obere Schicht, der Weißtorf, als Streu im Stall – um Flüssigkeit aufzunehmen. Vor etwa 100 Jahren entstand ein Torfwerk in Tiste, mehr als 120 Menschen arbeiteten dort. Es lag auf der anderen Seite der Landesstraße. Das Werk schloss 1999; übrig sind bis heute die Gleise der Werksbahn. Heute gehört das Gelände dem Landkreis Rotenburg/Wümme, die Bahntrasse der Gemeinde Tiste.

Einen faszinierenden Anblick bieten die Tümpel mit ihrer offenen Wasserfläche. Das Wasser stand bereits höher - zu sehen an den Grassoden.
Einen faszinierenden Anblick bieten die Tümpel mit ihrer offenen Wasserfläche. Das Wasser stand bereits höher - zu sehen an den Grassoden. © HA | Carolin George

Es gibt einen Verein, der die Loks und Anhänger der alten Werkbahn übernommen hat und die Trasse pachtet. Und dann gibt es noch Menschen wie Bernd Herzig: sechs Rentner, die dafür sorgen, dass Gäste mit dem Bähnchen gemütlich durch das Moor zuckeln können. „Die Fahrten ins Moor hatte schon das Werk angeboten“, erzählt Herzig. „Als es schloss, sorgte der damalige Bürgermeister Jürgen Otten dafür, dass das weiterhin möglich ist. Damit dieses Stück Kulturgut weiterhin erlebbar ist.“ Oder eben erfahrbar.

Rund eineinhalb Stunden dauern die Touren mit der Moorbahn

Rund eineinhalb Stunden dauern die Touren mit der Moorbahn, Bernd Herzig und seine Kollegen erzählen unterwegs viel aus Geschichte, Flora und Fauna. So gibt es gefährliche und ungefährliche Bereiche des Moores, erklärt er: „Wo Torf in jüngerer Zeit für die Blumenerde maschinell abgefräst wurde, kann nichts passieren.“ Die wiedervernässten, renaturierten Torffelder wirken heute wie eine riesige Seenlandschaft – das Wasser aber ist maximal 30 Zentimeter tief.

Es ist schließlich kein klares Wasser, in das man fällt, sondern ein Morast

Doch wo die Menschen in früherer Zeit per Hand gestochen haben, bis zu zwei Meter tief, da kommt niemand alleine hinaus, sagt Herzig. „Man könnte denken, dass man auf dem Wollgras-Teppich laufen kann. Das ist aber nicht so. Denn die Gräser schwimmen auf dem Morast. Und wer einsinkt, wird nicht die Kraft haben, sich alleine wieder hochzuziehen. “

Die Loks der Moorbahn stammen aus den 1950er-Jahren. Zwei von dreien sind Originalloks des Werkes. Bernd Herzig macht den Zugführer ehrenamtlich.
Die Loks der Moorbahn stammen aus den 1950er-Jahren. Zwei von dreien sind Originalloks des Werkes. Bernd Herzig macht den Zugführer ehrenamtlich. © HA | Carolin George

Es ist schließlich kein klares Wasser, in das man fällt, sondern ein Morast voller Wurzeln und Schlingen. Ziel der Fahrt ist der Aussichtsturm: „Wohin wir aufgrund des Naturschutzgebietes nicht fahren dürfen, können wir von hier aus blicken“, sagt Bernd Herzig. Am meisten los ist im Herbst – und zwar nicht nur auf den einstigen Torffeldern, sondern auch auf dem Turm, schließlich wollen etliche Menschen das Schauspiel Tausender rastender Kraniche beobachten.

Der 73-Jährige ist zwar überhaupt kein Typ, der angeben will. Aber eines muss er hier oben doch loswerden: „Wer Kraniche beobachten will, braucht nicht bis zum Darß zu fahren. Natürlich sind dort in der Gesamtmenge mehr Tiere. Aber bei uns sind so viele Vögel geballt auf kleinen Raum wie sonst nirgendwo. Auch nicht im Diepholzer Moor.“ Kein Wunder also, dass im Oktober und November Busse aus ganz Deutschland Tiste ansteuern.

1,3 Kilometer sind es von Parkplatz und Café bis zum Turm

Wer das Moor lieber für sich haben möchte, sollte sich einen Wochentag für den Besuch aussuchen – und den Fußweg zum Aussichtsturm nehmen, von dem immer wieder auch kleine Pfade abführen. 1,3 Kilometer sind es von Parkplatz und Café bis zum Turm, der Weg ist mit Holzhackschnitzeln ausgelegt. Herrlich ist die sogenannte Erlebniszone: Dort laden Holzliegen und hölzerne Hängematten zur Rast ein, und wie die Wollgrassoden auf dem Wasser schwimmen, lässt sich auf der Schwingbrücke nachvollziehen. Dort, wo ein Steg an einem Wasserloch liegt, ist sogar das Baden erlaubt. „Schwimmen kann man allerdings nicht“, sagt Herzig. „Das Wasser geht nur bis zum Po.“

Und eines haben wir ganz vergessen zu erklären: Das Tister Bauernmoor heißt Bauernmoor, weil es auf verschiedene landwirtschaftliche Höfe aufgeteilt war. Die Bauern stachen hier Torf zum Eigenbedarf – auch noch zu Zeiten des Werkes.

Ein Wahnsinnsschauspiel: die einfliegenden Kraniche zum Sonnernuntergang.
Ein Wahnsinnsschauspiel: die einfliegenden Kraniche zum Sonnernuntergang. © HA | Carolin George

Ein letzter Hinweis zum Schluss: Einen Lehrpfad wie in anderen Naturschutzgebieten werden Sie im Tister Bauernmoor vergeblich suchen. Hier liegt der Schwerpunkt auf dem Beobachten und Erleben. Und wem das nicht reicht, findet an ausgewählten Orten Porträts über die Pflanzen im Moor, versteckt in Holzklapptafeln, die auf Pfählen stehen. Und die Audiostation „Ense oder Gänten?“ spielt die Stimmen von Kanadagans, Krickente und Co.

Das Tister Bauernmoor liegt an der Hauptstraße 70 in Tiste. Vom Bahnhof Tostedt fährt die Linie 3860 nach Tiste, mit dem Rad sind es von Tostedt etwa 15 km. Die nächstgelegene Autobahnabfahrt ist Sittensen. Der Besuch des Moores und des Aussichtsturms ist kostenfrei. Die Abfahrten der Moorbahn sind sonnabends 13 Uhr sowie sonntags 13 Uhr und 15 Uhr. Erwachsene zahlen sechs Euro. Für Einzelpersonen ist eine Anmeldung nicht nötig, Gruppen werden um Anmeldung gebeten. Rollstuhlfahrer melden sich bitte bis einen Tag vorher an. Gruppenfahrten sind zu jeder Zeit auf Anmeldung möglich: 04282-91 15 09. www.moorbahn.de

Das Café ist mittwochs bis sonntags ab 9.30 Uhr geöffnet. Die Toiletten im kombinierten Bahnhofs- und Cafégebäude sind täglich rund um die Uhr geöffnet. www.tister-bauernmoor.de

Unter www.youtube.de gibt es einige Filme aus dem Tister Bauernmoor, gedreht von Bernd Herzig. Zu finden sind sie unter „Bernd‘s Bauernmoor“. Außerdem gibt der Verein Moorbahn Burgsittensen e.V. einen Wegbegleiter heraus, ein kleines Heft mit etlichen Infos und Fotos zum Tister Bauernmoor.