Tiste. Auf ihrem Frühjahrszug zu den Brutgebieten im Norden legen die eleganten Zugvögel auch in der Metropolregion Hamburg Rastpause ein

Ein Kranich galt in der Antike als Symbol der Klugheit und Wachsamkeit. Die Lufthansa wählte ihn als Wappentier und in Schweden nennt man ihn „Vogel des Glücks“, weil er ein Vorbote des Frühlings ist, der mit seiner Ankunft wieder Wärme, Licht und Sonne verheißt. Und das schon bald.

Denn derzeit machen sich gerade wieder Hunderttausende dieser Zugvögel in Frankreich und Spanien auf, um ihre Brutplätze in Skandinavien zu erreichen. In ihrer typischen keilförmigen Flugformation überfliegen die Schwärme dabei auf einer westlichen Route aktuell auch Deutschland und legen hier im Norden nach langen Nonstop-Strecken oft einen Zwischenstopp ein.

„Zum Kranich-Gucken ist das hier einmalig“

In Mecklenburg-Vorpommern oder auch in Brandenburg etwa liegen die großen und bekannten Rastplätze. Aber auch in der südlichen Hamburger Metropolregion gibt es mit dem „Tister Bauernmoor“ zwischen Tostedt und Sittensen einen der wichtigsten Kranich-Rastplätze Niedersachsens. Und dort sind die ersten Vögel jetzt eingetroffen, offensichtlich hatten sie die Stürme der vergangenen Tage als Rückenwind genutzt.

„Es geht jetzt wieder los“, sagt dann auch Bernd Herzig, der in Tiste für die Arbeitsgemeinschaft Kranichschutz Deutschland die eintreffenden Vögel zählt. „Zum Kranich-Gucken ist das hier einmalig“, sagt er. Woanders gebe es vielleicht mehr Kraniche in dieser Zeit, aber nirgends könne man sie so dicht auf kleinem Raum beobachten. Mit Fotoapparat und Spezialfernglas steht er daher in diesen Tagen oft auf einem der beiden Beobachtungstürme, die eigens für Vogelfreunde und Besucher an einer großen Wasserfläche gebaut worden sind. Man erreicht sie nach einem etwa halbstündigen Spaziergang auf einem breiten Holzschnitzelweg, der dort durch eine bizarre Moorlandschaft führt. Tafeln und Schilder erklären links und rechts vom Weg immer einmal wieder Tier-und Pflanzenwelt und vor allem die Geschichte des Tister Bauernmoores.

Moor-Spaziergang zur blauen Stunde. Der Weg führt zu einem Beobachtungsturm.
Moor-Spaziergang zur blauen Stunde. Der Weg führt zu einem Beobachtungsturm. © AT | Axel Tiedemann

Im 18. Jahrhundert stachen Bauern hier schon Torf, um es als Brennstoff zum Heizen zu nutzen. Sie gruben dazu tiefe Gräben, entwässerten so das Moor und machten es damit überhaupt erst zugänglich. Auch ganze Flächen wurden dazu abgebrannt. Später wurde Torf industriell bis noch 1999 abgebaut. 2002 dann wurde das Gebiet unter Naturschutz gestellt. Gleichzeitig begann man, das Moor wieder zu bewässern, wobei in den Abbauzonen große Flachwasserbereiche entstanden. Und sie sind der eigentliche Grund, warum das Tister Bauernmoor zu einem Vogel-Eldorado geworden ist. Gerade im Herbst und Frühjahr, wenn eben hier Kraniche Station machen. 2000, 3000 Vögel kommen dann manchmal pro Tag, sagt Kranichzähler Herzig. Jetzt im Frühjahr bleiben sie zwei, drei Tage, im Herbst auf dem Weg zurück in den Süden sogar oft zwei Wochen.

In den 1970er Jahren fast ausgestorben

„Dann ist hier noch mehr los“, sagt er. Aber auch in den anderen Jahreszeiten sind in dem Moorgebiet noch immer etwa 500 Kraniche zu finden, die dort mittlerweile auch brüten. „Das liegt an den heutigen, milden Wintern, die müssen gar nicht mehr ziehen“, erklärt Kranich-Experte Herzig. Ein weiterer Grund dürfte der Schutz dieser Vögel sein, die in Deutschland in den 1970er Jahren fast ausgestorben waren.

Am besten beobachten lassen sich heute die Kraniche abends und morgens: Tagsüber suchen sie auf den nahen Feldern nach Nahrung, picken etwa nach Maisresten, aber ernähren sich auch nicht nur vegetarisch. „Die nehmen gern auch mal eine Wühlmaus“, sagt Herzig. Erst mit dem Sonnuntergang kommen sie mit den lauten, trompetenartigen „Krruu-Kraar“ Rufen in Schwärmen zum Tister Bauernmoor. Auch hier lässt sich dann die keilförmige Flugformation beobachten, mit der die Vögel im gegenseitigen Windschatten Kraft sparen. Majestätisch ziehen sie dabei manchmal einige Kurven, deutlich sieht man dann ihre typischen, weit abgespreizten Federn am Flügelende. Diese Feder sind neben den langen Beinen das hauptsächliche Unterscheidungsmerkmal zu Gänsen, die ein ähnliches Flugzugverhalten haben und ebenfalls im Herbst und Frühjahr in Scharen im Tister Bauernmoor zu beobachten sind.

Ein Trupp Kraniche befindet sich im Landeanflug, während ein große Gruppe sich bereits zur Nachtruhe niedergelassen hat.
Ein Trupp Kraniche befindet sich im Landeanflug, während ein große Gruppe sich bereits zur Nachtruhe niedergelassen hat. © Martina Berliner | martina berliner

Ziel der Kraniche sind dann in der Dämmerstunde die Flachwasserzonen. „Da schlafen sie im seichten Wasser stehend und geschützt vor Feinden“, erklärt Herzig. Ein ähnliches Schauspiel erleben Besucher des „Tister Bauernmoores“ auch, wenn sie frühmorgens zum Sonnenaufgang kommen. Dann erwacht das Vogel-Leben auf dem Wasser manchmal urplötzlich. Kraniche aber auch Gänse fliegen in Massen auf, wieder begleitet von einem lauten Konzert aus Geschnatter und Trompeten.