Lüneburg. In einem Anti-Gewalt-Training lernen Täter, Aggressionen und Impulse zu kontrollieren. Und sie erfahren, wie sie mit der Wut umgehen.
„Ich hatte Ausrutscher.“ Sagt Vitali*, 42, Metallbauer. „Früher merkte ich gar nicht, wie ich wütend wurde.“ Sagt Ed*, 24, Student. „Es gab Vorfälle, bei denen ich lauter geworden bin als ich selbst es will.“ Sagt Georg*, 61, Manager. Die drei haben eines gemeinsam: Sie nehmen Teil am Anti-Gewalt-Trainings für Männer, das die Drobs – Fachstelle für Sucht und Suchtprävention seit 15 Jahren in der Heiligengeiststraße anbietet.
Ob freiwillig oder aufgrund einer juristischen Auflage: Wenn Männer sich zu Hause aggressiv verhalten, Impulse nicht ausreichend steuern können, zählen sie zur Zielgruppe des Anti-Gewalt-Trainings. Denn: „Gewaltfreiheit ist erlernbar.“ Davon ist der Sozialpädagoge Albrecht v. Bülow überzeugt. Gemeinsam mit der Sozialpädagogin Imke Peters leitet er die Gruppe. Doch nicht jeder kann hier einfach so mitmachen – es gibt Voraussetzungen: das Mindestalter von 25 Jahren, zwei Vorgespräche mit den Trainern und die Bereitschaft, 26-mal an den Gruppentreffen teilzunehmen.
In der Gruppe ging es auch darum, was der Metallbauer selbst erlebt hat
Vitali, Ed, Georg und Matthias waren dazu bereit. Vitali, 42, erzählt: „Ich hatte Probleme in der Familie. Ich war sehr schnell gestresst, vor allem mit meiner Tochter. Einmal habe ich Gewalt gegen sie angewendet.“ In der Gruppe ging es auch darum, was der Metallbauer selbst erlebt hat. „Meine Mutter war sehr impulsiv. Ich habe automatisch das Gleiche gemacht.“ Nach vier Monaten bemerkte er bereits viele Veränderungen sagt er. „Ich bin viel ruhiger geworden. Meine Familie fürchtet sich nicht mehr.“
Ed, 24, hat sich nicht freiwillig für das Training angemeldet. Es war eine Auflage von der Staatsanwaltschaft. „Aber ich bin glücklich darüber“, sagt der Student. „Wenn ich es nicht gemacht hätte, könnte ich im Gefängnis sitzen. Ich war gegenüber meiner Freundin gewalttätig.“ Er habe selbst gar nicht gemerkt, wie er wütend wurde. „Heute merke ich es. Ich möchte eine Therapie machen. Meine Freundin und ich arbeiten beide an uns und finden gerade wieder zueinander.“
Georg, 61, hat mit seiner Frau abgesprochen, an dem Training teilzunehmen
Georg, 61, hat mit seiner Frau abgesprochen, an dem Training teilzunehmen. Er sei mitunter lauter geworden als sie akzeptieren wollte – aber auch als er selbst will. „Hier habe ich die Chance, mich damit auseinanderzusetzen“, sagt der Manager, der in der IT-Branche arbeitet. „In Stresssituationen habe ich jetzt Mittel, es nicht eskalieren zu lassen. Auch Lautstärke ist schon Gewalt.“
Matthias, 40, arbeitet als Gebäudereiniger. Seine Alkoholprobleme hatten Konflikte in der Partnerschaft „aufgebauscht“, erzählt er. „Ich habe überzogene Erziehungsmaßnahmen bei meinen Kindern angewendet.“
Bevor sie in die Gruppen kommen, haben die Männer in der Regel keine Ansprechpersonen
Bevor sie in die Gruppen kommen, hatten die Männer in der Regel keine Ansprechpersonen, wenn es Probleme gab. „Viele haben wenig Erfahrung mit solchen Gesprächen“, sagt Albrecht von Bülow. „Sie haben vielfach keine Freunde, mit denen sie über solche Themen reden.“ Es entstehe Einsamkeit, für Entlastung gebe es keine Ventile. „Eine Partnerschaft wird dann heillos überlastet.“ Wenn jemand dann über keine Mechanismen zur Impulskontrolle verfügt, kann Gewalt eine Folge sein.
Läuft es gut in der Gruppe, merken die Männer, dass sie etwas verändern können, wenn sie sich Hilfe holen. Dass es Themen gibt, die sie bearbeiten sollten. Es läuft aber nicht immer gut. Die Abbruchquote liegt zeitweise bei mehr als 30 Prozent, berichtet v. Bülow: „Ein Problem ist, dass wir mangels Finanzierung keine Einzelgespräche anbieten können.“
Das Angebot sucht im Raum Lüneburg seines Gleichen, entsprechen groß ist das Einzugsgebiet
Das Angebot ist nicht kostenlos, pro Sitzung wird ein Eigenanteil von 15 Euro pro Person fällig, ermäßigt fünf Euro. Das deckt allerdings bei weitem nicht die Kosten. Finanziell gefördert wird das Training daher vom Niedersächsischen Landesamt für Soziales, Jugend und Familien sowie von der „Lüneburger Stiftung Diakonie – ich mache mit“. Das Angebot sucht in der Region seines Gleichen, entsprechen groß ist das Einzugsgebiet: Die Teilnehmer kommen aus den Landkreis Lüneburg, Lüchow-Dannenberg und Uelzen.
*Namen geändert.
Orange Days
Die Orange Days wollen weltweit Zeichen gegen Gewalt an Frauen setzen. Sie laufen seit dem 25. November und enden am 10. Dezember. Niedersachsens Justizministerin Kathrin Wahlmann sagte zu der Aktion: „Egal ob die Nummer des Hilfstelefons für Frauen auf den markanten orangen Bänken steht, Plakate an belebten Orten, die auf die vorhandenen Angebote hinweisen, oder Informationsflyer auf öffentlichen Toiletten. Das sind Maßnahmen, die jeden Tag ganz konkret Betroffenen helfen. Deshalb bin ich den vielen Ehrenamtlichen sehr dankbar, die diese Angebote möglich machen.“
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Weiter sagte die Ministerin: „Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist kein Phänomen, das auf bestimmte Gesellschafts- oder Bildungsschichten beschränkt ist. Der unerträglichen Haltung, dass ‚einem doch schon mal die Hand ausrutschen kann‘ begegnen wir leider auch und gerade dort viel zu oft, wo man es im Jahr 2023 kaum für möglich hält - in der Mitte unserer Gesellschaft, der bürgerlichen Mittelschicht. Das dürfen wir nicht hinnehmen, sondern müssen jeden Tag für das Recht von Frauen und Mädchen auf ein gewaltfreies Leben kämpfen.“
In Niedersachsen gibt es 45 Frauenhäuser und 46 Gewaltberatungs- und Notrufstellen
In Niedersachsen gibt es 45 Frauenhäuser, 29 Standorte der Beratungs- und Interventionsstellen bei häuslicher Gewalt und 46 Gewaltberatungs- und Notrufstellen. „Dass wir ein so umfassendes Angebot brauchen, illustriert die Gefahr, der Frauen und Mädchen heute immer noch ausgesetzt sind.“ Statistisch gesehen wird jede dritte Frau im Laufe ihres Lebens Opfer von häuslicher oder sexueller Gewalt.