Ehestorf. Er brachte die roten Doppeldeckerbusse nach Hamburg – Seit 70 Jahren lebt er am Kiekeberg in direkter Nachbarschaft zum Freilichtmuseum
Nachts im Museum? Das kann nicht nur Hollywood, sondern auch Heinrich Schuster. Die blauen Augen blitzen jungenhaft auf, wenn er von seiner Kindheit am Kiekeberg erzählt. Der 73-Jährige war drei Jahre alt, als das Museum 1953 gegründet wurde. Er lebte mit seiner Familie im benachbarten „Gasthaus zum Kiekeberg“.
Zum Abschluss des Jubiläumsjahrs „70 Jahre Freilichtmuseum am Kiekeberg“ schilderte Schuster jetzt bei einer Veranstaltung im Agrarium des Museums, wie eng seine Familie mit dem Museum verbunden ist - damals wie heute. Und der Unternehmer, dessen rote Doppeldeckerbusse für Stadtrundfahrten seit bald 40 Jahren zum Hamburger Stadtbild gehören, erwies sich als das erhoffte Zugpferd: Im Vortragsraum waren alle Stühle schnell besetzt.
Museumsgelände Kiekeberg: Handschlag machte das beliebte Ausflugsziel erst möglich
„Hätte die Familie Schuster in der Vergangenheit nicht die Rolle gespielt, die sie gespielt hat, würde es heute im Museum anders aussehen“, sagte Museumsleiter Stefan Zimmermann. Wie wahr: Denn hätten die Schusters nicht so viel Vertrauen in das Vorhaben von Museumsgründer Professor Willi Wegewitz, Leiter des Hamburger Helms-Museums in Harburg, gesetzt und ihm ihr Grundstück per Handschlag für die Aufstellung erster Gebäude zur Verfügung gestellt, würde Ehestorf heute vielleicht nicht über das beliebte Ausflugsziel und eine der größten touristischen Attraktionen im Landkreis Harburg verfügen.
Deshalb lief das sehr persönliche Gespräch, das Verena Pohl, Leiterin der Abteilung Volkskunde im Museum, mit Heinrich Schuster führte, unter dem Titel „Zwischen Handschlag und Honigspeicher – Nachbarschaft mit dem Freilichtmuseum am Kiekeberg“. Der 1688 erbaute Honigspeicher aus Otter war 1953 das erste historische Gebäude des Freilichtmuseums am Kiekeberg. Mittlerweile zählt das Museum 40 historische Gebäude und Gärten, deren Bauzeit bis in die 1970er Jahre reicht. Die neueste Attraktion ist die Königsberger Straße, mit der das Freilichtmuseum eine Baugruppe mit Gebäudetypen errichtet hat, die typisch für das Leben in der Nachkriegszeit sind – die Zeit von Wiederaufbau und Wirtschaftswunder, in die Heinrich Schuster hineingeboren wurde und im Gasthaus zum Kiekeberg aufwuchs.
Ausflugsziel: Gasthaus zum Kiekeberg ist seit dem vergangenen Jahrgeschlossen und wird umgebaut
Teile der Familie Schuster residieren nach wie vor in dem traditionsreichen Gebäude, das im vergangenen Jahr nach 120 Jahren geschlossen wurde. Der Betrieb des beliebten und gut laufenden Hauses war – vor allem aufgrund von Personalmangel - für die jetzt in der Verantwortung stehenden Familienmitglieder nicht mehr zu bewältigen gewesen. Gerade hat Johannes Schuster, jüngerer Bruder von Heinrich Schuster, den Besitz an seine Tochter Irma Schuster überschrieben.
In dem Gebäude, in dem Generationen speisten und feierten, sollen Ferienwohnungen und fest vermietete Wohnungen entstehen. Die Anträge dazu laufen noch. „Das ist eine Entwicklung, die man hinnehmen muss und eine Entscheidung der Familie, die sich damit sehr schwer getan hat“, so Heinrich Schuster zum Abendblatt. „Ich kann aber versichern, dass der Kiekeberg nach wie vor in guten Händen ist und das Zuhause der Familie bleibt. Er wird auch nicht hermetisch abgeriegelt.“
Kiekeberg ist der höchste Punkt der Harburger Berge. Von hier hat man Blick bis nach Hamburg
So gab und gibt es am Kiekeberg, dem höchsten Punkt der Harburger Berge, zwar immer wieder Veränderungen, doch an dem festen Band zwischen Familie Schuster und dem Museum soll sich nichts ändern. „Meine Eltern Irma und Heinrich Schuster waren eng mit Professor Wegewitz befreundet“, berichtete Schuster. „Hinter unserem Haus war ein Urnenfeld entdeckt worden – und so lernten sie den Archäologen kennen und schätzen.“ Schusters Eltern hätten schnell das touristische Potenzial eines Freilichtmuseums in der Nachbarschaft zum eigenen Gasthaus erkannt und das Vorhaben von Anfang an positiv begleitet und tatkräftig gefördert, berichtete Heinrich Schuster.
Seine 2014 verstorbene Mutter Irma besitzt am Kiekeberg auch Jahre nach ihrem Tod noch Kult-Status. Generationen von Schulkindern aus Hamburg und Niedersachsen haben mit der Gastwirtin aus Leidenschaft im Museumsbackhaus im Freilichtmuseum Brot gebacken. An ihre Backkünste erinnerte sich auch ein Ehepaar, das zu Gast bei dem Vortrag im Freilichtmuseum war: „Irma Schuster hat meinem Mann in den 1970er Jahren einen Klumpen Sauerteig geschenkt. Seither backt er unser Brot selbst“, erzählte die Frau. Für Heinrich Schuster sind solche Äußerungen über seine Mutter nichts Ungewöhnliches. „Sie hat immer gesagt, ein gutes Brot gelingt nur, wenn der Sauerteig dafür ein Geschenk war.“
Heinrichs Mutter Irma Schuster ist heute noch eine Legende am Kiekeberg
Schuster sprach in warmen Worten von seiner Mutter und seiner Kindheit am Kiekeberg. „Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann“, sagte der „Hans Dampf in allen Gassen“, wie ihn Museumsleiter Stefan Zimmermann nannte. Der Busunternehmer und Gastronom, der einst auf dem Segelschulschiff „Gorch Fock“ zur See fuhr und den Makens Hoff an der Ehestorfer Straße als Eventlocation betreibt, ist auf vielfältige Weise mit dem Kiekeberg und dem dortigen Museum verbunden. „Zuerst befürchteten meine Geschwister und ich, dass uns unser Eldorado genommen würde. Doch dann wurde das Museumsgelände unser neuer Spielplatz. Wir durften miterleben, wie die ersten Fachwerkbauten am Kiekeberg aufgebaut und Richtfeste gefeiert wurden und wie sich das Museum mit Leben füllte.“
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Schuster erzählte von einem „Dumme-Jungen-Streich“: Er warf mit seinem Bruder die Fenster eines Stalls mit Steinen ein. „Wir dachten, dass der sowieso abgerissen werden sollte“, sagte der Zeitzeuge. Zur Strafe mussten die Schuster-Kinder ihre Sparschweine einpacken und zum Helms-Museum nach Harburg fahren, um für den angerichteten Schaden gerade zu stehen und sich bei Wegewitz zu entschuldigen. „Das war sehr peinlich“, erinnerte sich Schuster. „Aber unser Geld wollte der Professor nicht.“
Die Nacht, in der die Familie Schuster einen Einbrecher stellte
Auch der Meynsche Hof, das größte und älteste Gebäude im Museum, ist eng mit den Schusters verbunden. Denn sie ließen es 1973 in Marschacht abbauen, lagerten es ein und überließen es schließlich dem Freilichtmuseum, das es ab 1990 restaurierte und wieder aufbaute. Gern erinnert sich Heinrich Schuster auch noch an den Tag, als er mit seinem Vater eine Pferdekutsche über mehr als 30 Kilometer mit einem Traktor fürs Museum heranschaffte.
„Sie war nur mit Sackband am Trecker befestigt und ich durfte in der Kutsche sitzen“, beschrieb er die Aktion, die heute wohl sicherheitstechnisch nicht mehr durchgehen würde. Oder der nächtliche Einsatz, als ein Dieb in ein Gebäude des Freilichtmuseums eingebrochen war und von Familie Schuster geschnappt werden konnte. Auch heute noch ist Heinrich Schuster ist mit seiner privaten Lastwagensammlung sowie auf dem historischer Jahrmarkt und als Gastronom nach wie vor als Akteur im Museum zu finden.
„Mich verbinden viele besondere Momente mit dem Kiekeberg und dem Museum“,
„Mich verbinden viele besondere Momente mit dem Kiekeberg und dem Museum“, sagte der 73-Jährige. Bei seinem jüngsten Vortrag kam ein weiterer hinzu, denn ein Zuhörer überraschte den Referenten mit seinem Besuch ganz besonders: Klaus Reschke war extra aus Bad Oldesloe nach Ehestorf gekommen, um seinen ehemaligen Marine-Kameraden nach 50 Jahren erstmals wiederzusehen. Die beiden waren zusammen in den USA und in der Karibik auf einem Schiff gewesen. Reschke hatte von dem Vortrag im Abendblatt gelesen und sich spontan entschlossen zu kommen. „Ich freue mich sehr und bin deshalb ganz aufgeregt“, teilte Schuster die Überraschung mit den Anwesenden. So schafft es das Freilichtmuseum am Kiekeberg bis heute immer wieder, Menschen zusammenzubringen, denen die Vergangenheit nicht egal ist - auch noch nach 70 Jahren.