Ehestorf. Der Bau der „Königsberger Straße“ war mit spektakulären Aktionen verbunden. Nach sechs Jahren Bauzeit ist sie fertig.

Ist etwas, das man selbst erlebt und benutzt hat, das man als normal und alltäglich begreift, geeignet, um in einem historischen Museum ausgestellt zu werden? Wenn man theoretisch seinen Enkeln davon erzählen könnte, ja. Man muss sich nur eingestehen dass man alt genug ist, um Enkel zu haben. So kann die anfangs oft gestellte Frage „Was soll das denn?“, wenn es um die „Königsberger Straße“, den Teil des Freilichtmuseums am Kiekeberg, der sich mit den deutschen Nachkriegsjahrzehnten beschäftigt, beantworten.

Diese Nachkriegszeit begann vor 78 Jahren, Das „Wirtschaftswunder“ der 1950er-Jahre tauchte bereits in den Geschichtsbüchern der späten Babyboomer auf, die mittlerweile selbst alle um die 60 sind und von denen nicht wenige in Fertig- oder Doppelhäusern groß geworden sind und damals in kleinen Geschäften eingekauft haben, wie sie in der Königsberger Straße ausgestellt sind.

Die Nachkriegsjahre werden hier am Kiekeberg wieder lebendig

Das große Interesse an den bereits bestehenden Gebäuden im Museumsdorf gibt den Machern recht. Mit der Eröffnung des Tostedter Flüchtlings-Siedlungshauses aus den 1950er-Jahren ist die „Königsberger Straße“ nun komplett. Das wurde im Museum gebührend gefeiert.

Sie spendeten Häuser ihre für die neue Königsberger Straße.
Sie spendeten Häuser ihre für die neue Königsberger Straße. © HA | Lars Hansen

Der Bundestagsabgeordnete Michael Grosse-Brömer (CDU) erinnerte sich an die ersten Gespräche mit dem Initiator Prof. Rolf Wiese. Der Ex-Kiekeberg-Chef habe ihn mit einem Klappkoffer besucht, in dem ein Modell der Straße vorempfunden war. Und er habe gefordert, dass der Bund bei der Finanzierung ein klares Zeichen geben und voran gehen möge. „Letztlich haben wir vier Millionen Euro gegeben“, so Grosse-Brömer. „Doch das Projekt hat eben auch bundesweite Bedeutung! Es schlägt Brücken von der Vergangenheit in die Gegenwart.“ Die SPD-Bundestagsabgeordnete Svenja Stadler musste ihre Teilnahme absagen. Ihre Partei brauchte sie in Berlin für Abstimmungen.

Für den Landkreis Harburg sprach die Vize-Landrätin Nadja Weippert (Grüne). Die Tostedterin stammt selbst aus einer Familie mit Fluchterfahrung. Sie kennt das Tostedter Flüchtlingssiedlungshaus noch aus der Zeit, bevor es transloziert wurde.

Dorfalltag in der jungen Bundesrepublik von den 1950er bis in die späten 1970er Jahre

In der „Königsberger Straße“ erleben Besucher den Dorfalltag in der jungen Bundesrepublik von den 1950er bis in die späten 1970er Jahre. Zu sehen sind das erwähnte Flüchtlingssiedlungshaus mit dem typischen Selbstversorger-Stall, eingerichtet wie in den 1960er Jahren; ein rekonstruiertes Siedlungsdoppelhaus mit Ausstellung zur regionalen Nachkriegszeit; eine Gasolin-Tankstelle im Schnitt der 1950er Jahre; ein eingeschossiges Geschäftshaus-Ensemble mit sechs Ladeneinrichtungen aus den 1950er und 1960er Jahren und ein Quelle-Fertighaus, eingerichtet wie in den späten 1970er Jahren.

Straßenbild wird ergänzt durch eine typische gelbe Telefonzelle mit Briefkasten

Das Straßenbild wird ergänzt durch eine typische gelbe Telefonzelle mit Briefkasten aus den 1970ern, einem Kinderspielplatz, einer Bushaltestelle und historischer Straßenbeschilderung sowie Gärten, wie sie seinerzeit zunächst zur Selbstversorgung und später immer mehr zur Selbstdarstellung erst üblich und dann in Mode waren.

Auch diese alte Tankstelle steht in der Königsberger Straße am Kiekeberg
Auch diese alte Tankstelle steht in der Königsberger Straße am Kiekeberg © Freilichtmuseum am Kiekeberg | Frelichtmuseum am Kiekeberg

Die Einrichtung der Straßenzeile war mit diversen spektakulären Aktionen verbunden, denn einige der Häuser wurden nicht etwa rekonstruiert, oder irgendwo ab- und am Kiekeberg wieder aufgebaut. Das Quelle-Fertighaus aus den 1970er-Jahren und das Tostedter Flüchtlings- (Eigen-)Heim kamen im Ganzen über die Straßen des Landkreises (das Abendblatt berichtete). Dadurch ging auch der Begriff „Translozierung“ (etwas von einem festen Standort an einen anderen bewegen) aus dem Architektenlatein in den allgemeinen Sprachgebrauch des Landkreises Harburg ein.

Feier der Macher, Gönner und Förderer des Projekts „Königsberger Straße“

Nach der Feier der Macher, Gönner und Förderer des Projekts „Königsberger Straße“ am Freitag Abend sollen am Sonnabend und Sonntag die Museumsbesucher die Eröffnung feiern. An beiden Eröffnungstagen führt Doktorandin Zofia Durda, Projektleiterin der „Königsberger Straße“, Interessierte erstmals durch das Flüchtlingssiedlungshaus (Sa. 12 und 14 Uhr, So. 12.30 und 15.30 Uhr) und Museumsgärtner und Abendblatt-Podcaster Matthias Schuh zeigt jeweils um 13 Uhr die Gärten des Projektes.

Am Sonntag lädt Matthias Gröll, der ehemalige Bewohner des Quelle-Fertighauses, um 14 Uhr zu einer Zeitzeugenführung durch sein einstiges Elternhaus.

Kinderspielplatz der „Königsberger Straße“ wird zugänglich gemacht

Zeitgleich mit dem Flüchtlingssiedlungshaus wird auch der Kinderspielplatz der „Königsberger Straße“ zum Eröffnungswochenende für kleine Besuchende zugänglich gemacht. Die bunten Geräte sind dem Stil der 1950er und 60er Jahren nachempfunden und bieten viel Raum zum Hangeln, Klettern und Spielen.

Beim offenen Mitmachprogramm „Spiele spielen“ an der Tankstelle werden die Kinder mit Straßenkreide kreativ und spielen gemeinsam Hüpfspiele. Auf einer Schaubaustelle in Nähe der Tankstelle können große und kleine Maschinenbegeisterte historische Baustellenfahrzeuge wie Fuchsseilbagger, Straßenwalze und Asphaltfertiger entdecken.

Bild von der Translozierung eines Hauses im Winter auf der B 75. 
Bild von der Translozierung eines Hauses im Winter auf der B 75.  © HA | Joto

Begleitet wird die Eröffnung, zwischen 11 und 18 Uhr, durch die ehrenamtlichen Darstellenden der „Gelebten Geschichte“. Sie bringen den Besuchenden in zeitauthentischer Kleidung den Alltag der Nachkriegszeit, sowie des Marsch- und Heidedorfes nah.