Landkreis Harburg. Flüchtlings-Unterbringung und Kliniken reißen Millionen-Defizit in den Haushalt. Nach 2015 werden nun erneut rechtliche Schritte geprüft.

„Wir als Landkreis Harburg sind unschuldig in Not geraten. Die Frage ist, wie wir aus diesem Dilemma wieder herauskommen.“ Kompakt fasste der Ausschussvorsitzende Jan-Thorsten Lüdemann (Freie Wähler) die schwierige finanzielle Lage des Landkreises Harburg zusammen. Die Mitglieder im Kreis-Ausschuss für Finanzen, Haushalt und Controlling konnten ihm nur zustimmen.

Und sie erteilten Landrat Rainer Rempe einen bemerkenswerten Auftrag – einstimmig und fraktionsübergreifend. Der Landrat solle die Erfolgsaussichten einer Klage auf vollständigen Defizitausgleich in Sachen Krankenhaus-Finanzierung und Unterbringung von Flüchtlingen prüfen lassen. Beklagte vor dem Staatsgerichtshof Bückeburg wären dann einerseits der Bund, andererseits das Land Niedersachsen.

Landkreis Harburg fühlt sich allein gelassen von Bund und Land Niedersachsen

Die ernüchternden Aussichten für den Doppelhaushalt 2024/2025 im Kreis Harburg: „Wir planen für 2024 derzeit mit einem Defizit von rund 50 Millionen Euro ohne Erhöhung der Kreisumlage. Inklusive einer Erhöhung beliefe sich das Defizit auf 34,6 Millionen Euro“, sagte Kreisrätin Annerose Tiedt bei der Vorstellung des Haushaltsvoranschlags. Kommt die Erhöhung der Kreisumlage, die Städte und Gemeinden im Kreisgebiet zusätzlich belasten würde, beliefe sich das Defizit 2025 auf knapp 30 Millionen Euro, so Tiedt.

Kreisrätin Annerose Tiedt stellte den Haushaltsentwurf 2024/2025 des Landkreises Harburg im Finanzausschuss vor. 
Kreisrätin Annerose Tiedt stellte den Haushaltsentwurf 2024/2025 des Landkreises Harburg im Finanzausschuss vor.  © HA | Markus Steinbrück

Auch das laufende Geschäftsjahr wird nicht mit einer schwarzen Null enden. Die Kreisrätin erwartet einen Fehlbetrag von knapp 29 Millionen Euro. „Seit Anfang 2020 befinden wir uns in einer dynamischen und ununterbrochenen Ausnahmesituation, die zur strukturellen Schieflage der kommunalen Finanzen geführt hat – nicht nur im Landkreis Harburg.“

Auch die Ausgaben im sozialen Bereich sind enorm gestiegen

Es gibt drei zentrale Gründe: die unzureichenden Pauschalen für Flüchtlingskosten, die hohen Zuschüsse für die kreiseigenen Krankenhäuser in Buchholz und Winsen sowie einige Posten im sozialen Bereich, zum Beispiel Schulbegleitungen und Kosten der Unterkunft. Bei den ersten beiden Punkten fühlt sich der Landkreis von Bund und Land im Stich gelassen.

Stichwort Flüchtlinge: Weil die vom Land Niedersachsen gewährten Pauschalen bei weitem nicht ausreichen, erwartet der Kreis in diesem Bereich ein Defizit von 13 Millionen Euro – mit Blick auf die vergangenen zehn Jahre summiert sich der Fehlbetrag auf 130 Millionen. „Auf diese Sozialausgaben haben wir keinen Einfluss, wir können sie nur zur Kenntnis nehmen. Wenn es so weiter geht, wird der Landkreis Harburg in die Knie gezwungen“, sagte Rainer Rempe. Zu diesem Thema habe er unzählige Gespräche in Hannover geführt, geändert habe sich nichts.

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Flüchtlinge: Die meisten Kommunen kommen mit Pauschale vom Land zurecht

„Die Kosten für Sammelunterkünfte im Landkreis (43 Stück, Anm.d.Red.) machen es richtig teuer, da reicht der Abgeltungsbetrag vom Land nicht aus“, so Rempe. Auf eine große Allianz der Kommunen gegenüber der Landesregierung könne er indes nicht hoffen. Die meisten niedersächsischen Städte und Gemeinden kommen mit der Pauschale vom Land gut zurecht. Nur in der Region Hannover und im Kreis Harburg – sie erhalten das Gleiche wie etwa der Kreis Lüchow-Dannenberg – reiche sie eben nicht, um die Kosten zu decken.

Rainer Rempe: „Wir sind Ausfallbürge für den Bund, und der Gesundheitsminister tut nichts“

Stichwort Krankenhäuser: als Betriebskostenzuschuss zahlt der Kreis in diesem Jahr 17 Millionen Euro, im kommenden Jahr 15 Millionen sowie 2025 voraussichtlich acht Millionen und 2026 vier Millionen. „Auch das ist nicht unsere Aufgabe. Wir sind Ausfallbürge für den Bund, und der Gesundheitsminister tut nichts“, formulierte der Landrat seine Kritik Richtung Bundesregierung.

In vielen Bereichen tritt die Kreisverwaltung auf die Kostenbremse, konkrete Maßnahmen werden in den kommenden Wochen in den Fachausschüssen diskutiert. „Dass wir es einfach laufen lassen, lassen wir uns nicht vorwerfen. Stellschrauben können wir aber nur dort drehen, wo wir Einfluss haben und wo wir es auch verantworten können“, sagte Rainer Rempe.

In den vergangenen Jahren hatte der Kreis gut gewirtschaftet und Überschüsse erzielt. „Mit der Überschussrücklage und einer Erhöhung der Kreisumlage könnten wir den Ergebnishaushalt für 2023 und 2024 ausgeglichen gestalten“, sagte Annerose Tiedt. Damit wären aber alle Rücklagen und mögliche Handlungsalternativen für die Zukunft aufgebraucht. Die Kreisrätin plädierte daher für eine Erhöhung der sogenannten Kreisumlage um vier auf 49,5 Punkte.

Erhöhung der Kreisumlage belastet die Städte und Gemeinden im Kreis

Jeder Punkt bringt der Kreiskasse zusätzliche Einnahmen von etwa 3,7 Millionen Euro, die dann allerdings den Städten und Gemeinden fehlen. Bis Mitte November haben die Bürgermeister noch Gelegenheit, ihre Stellungnahmen im Kreishaus zu hinterlegen. Die Kreisrätin übermittelte im Ausschuss zwei Kernbotschaften:

  1. Eine nachhaltige Haushaltslage sei eine Investition in die Zukunft
  2. Diese Frage müsse gestellt werden: Was kann und will sich der Landkreis Harburg in welcher Intensität weiterhin leisten?

Nach sachlicher und unaufgeregter Diskussion empfahlen die Ausschussmitglieder das Zahlenwerk zur weiteren Diskussion in die Fachausschüsse. Das weitere Prozedere: am 6. Dezember kommt der Finanzausschuss erneut zusammen. Nach der Zwischenstation Kreisausschuss soll der Doppel-Haushalt 24/25 schließlich in der Kreistagssitzung am 20. Dezember endgültig verabschiedet werden.

Nach der ersten Flüchtlingswelle war dem Kreis von Klage abgeraten worden

Zurück zur angedachten Klage vor dem Staatsgerichtshof Bückeburg. Nach der ersten großen Flüchtlingsbewegung und ähnlichen Problemen hatte sich die Kreisverwaltung 2016/2017 extern beraten lassen und seinerzeit angesichts schlechter Erfolgsaussichten von einer Klage Abstand genommen. „Eventuell sollten wir jetzt nochmal neu überlegen. Das wäre aber keine kurzfristige Lösung unserer Probleme“, sagte der Landrat.

Und so erteilten die Mitglieder des Finanz-Ausschusses einstimmig und fraktionsübergreifend folgenden Auftrag an Rainer Rempe: Der Landrat solle die Erfolgsaussichten einer Klage auf vollständigen Defizitausgleich in Sachen Krankenhaus-Finanzierung und Unterbringung von Flüchtlingen prüfen lassen. Beklagte wären einerseits der Bund, andererseits das Land Niedersachsen.