Neu Wulmstorf. In Neu Wulmstorf schließt das letzte Pflegeheim: Hochbetagte Bewohner brauchen nun eine neue Bleibe. Betroffene Familien erzählen.
Eine 101-jährige Dame aus Neu Wulmstorf muss zum zweiten Mal in zwei Jahren ihre gewohnte Umgebung verlassen – und nun auch ihren Heimatort.
Rainer Siewert hätte es bis vor ein paar Wochen nicht für möglich gehalten, dass seiner Schwiegermutter Maria Rieck so etwas auf den letzten Metern ihres Lebens noch einmal zugemutet wird. Doch mit der Schließung des Pflegeheims „An den Moorlanden“ in Neu Wulmstorf – dem letzten verbliebenen Altenheim in der Gemeinde – ist die 101-Jährige innerhalb kurzer Zeit doppelt vom Pflegenotstand betroffen.
Pflegeheim „An den Moorlanden“: Schließung sorgte für Entsetzen in Neu Wulmstorf
Neu Wulmstorfs letztes Altenheim schließt – diese Nachricht, die das Abendblatt am 7. Juli exklusiv vermeldete, hatte die Bewohner des Neu Wulmstorfer Pflegeheims „An den Moorlanden“, ihre Angehörigen und die Pflegekräfte in dem Altenheim an der Konrad-Adenauer-Allee kalt erwischt und im gesamten Ort für Entsetzen gesorgt.
„Wir waren von der erneuten Kündigung des Pflegeplatzes für meine betagte Schwiegermutter erschüttert“, sagt Rainer Siewert. Nur mit viel Eigeninitiative fand er für die pflegebedürftige Mutter seiner Frau inzwischen eine Nachfolgelösung in Harburg. Die Seniorin muss sich nun zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre an eine völlig neue Umgebung gewöhnen.
Alte Dame war 2021 schon Opfer der Schließung eines Pflegeheims
Sie war auch von der Schließung des Pflegeheims „Haus am Marktplatz“ im Zentrum von Neu Wulmstorf betroffen, das im Mai 2021 kurzfristig vom damaligen Betreiber dicht gemacht wurde. Es war der gleiche, der nun zum Ende des Jahres das Haus „An den Moorlanden“ schließt: der europaweit agierende Heimkonzern Korian. Damals wie heute wurde die Aufgabe der jeweiligen Pflegeeinrichtung mit dem schlechten Zustand der Mietimmobilie begründet.
Die Korian Deutschland GmbH hatte als Betreiberin des Pflegeheims „An den Moorlanden“ am 7. Juli mitgeteilt, dass der Pflegebetrieb zum Jahresende eingestellt werde und der Mietvertrag mit der IMMAC Holding AG am 31. Dezember auslaufe. Das Heim mit 124 Plätzen konnte schon länger nicht mehr voll belegt werden, da es erhebliche Wasserschäden und weitere bauliche Mängel gab.
Eine Handvoll Senioren lebt noch in dem Neu Wulmstorfer Heim
Mieter und Vermieter konnten ihre Unstimmigkeiten über die Beseitigung der Schäden nicht beilegen – letztlich zum Schaden der im Juli noch etwa 70 verbliebenen Bewohner und Bewohnerinnen des Hauses „An den Moorlanden“, denen gekündigt wurde.
Aktuell wohnen noch eine Handvoll Senioren in dem Pflegeheim an der Konrad-Adenauer-Allee. „Momentan leben noch fünf Bewohner und Bewohnerinnen in unserem Haus, um die sich unser Team besonders engagiert kümmert. Alle anderen ehemaligen Bewohner haben eine neue Bleibe gefunden“, antwortet Korian auf eine entsprechende Abendblatt-Anfrage. Korian habe sie und ihre Angehörigen bei der Suche und beim für viele „sehr aufregenden Umzug“ nach Kräften unterstützt. „Wir sind zuversichtlich, dass bis Jahresende alle unsere Bewohner ein neues Zuhause gefunden haben“, so eine Korian-Sprecherin.
Wie groß war die Unterstützung bei der Suche nach einer neuen Bleibe tatsächlich?
Sehr wichtig sei dem Unternehmen auch, die Mitarbeitenden versorgt zu wissen. „Die meisten von ihnen haben inzwischen eine andere Stelle gefunden. Einige unserer Mitarbeitenden sind im Unternehmen geblieben“, teilt Korian mit.
Wie groß die Unterstützung des Heimbetreibers bei der Suche nach einer neuen Unterkunft für die ehemaligen Bewohner des Hauses „An den Moorlanden“ tatsächlich war – darüber gibt es unterschiedliche Bewertungen. Viele ehemaligen Bewohner leben nun sehr verstreut in Heimen in Hamburg, Norderstedt, Lüneburg, Seevetal, Buxtehude oder Apensen. Rainer Siewert und Sven Bastorf, dessen 85-jährige Mutter ebenfalls in dem Pflegeheim „An den Moorlanden“ untergebracht war, hatten vom Betreiber als Nachfolgeunterkunft ein Korian-Heim in Lüneburg empfohlen bekommen, das aber schon allein aufgrund der weiten Entfernung von Neu Wulmstorf höchstens eine Notlösung für sie sein konnte.
Ein Lüneburger Heim wies die 101-Jährige ab: zu pflegebedürftig
Für Siewert war der Weg nach Lüneburg aber von vornherein umsonst: Seine 101-jährige Schwiegermutter wollte die Heimleitung dort nicht aufnehmen. „Ihnen war der Pflegeaufwand für meine Schwiegermutter, die zeitweise dement und bettlägerig ist, wohl zu hoch“, berichtet Siewert. Er fand letztlich eine Einrichtung in Harburg, die Maria Rieck aufnahm.
„Es ist schlimm, wie man bei uns mit den Senioren umgeht. Sie haben überhaupt keine Lobby“, sagt Sven Bastorf. „Einen alten Baum sollte man nicht mehr verpflanzen.“ Seine Mutter Anny lebte seit 1987 in Neu Wulmstorf, hatte dort viele Kontakte und engagierte sich im Heimbeirat im Haus „An den Moorlanden“. Sie mochte die zentrumsnahe Lage des Pflegeheims.
Im Umfeld des neuen Heims müssen erst einmal Ärzte gefunden werden
Jetzt musste Anny Bastorf in eine Pflegeeinrichtung nach Fleestedt umziehen, wo die geistig noch sehr mobile Frau niemanden kennt. Dass sie den Platz in dem 22 Kilometer von Neu Wulmstorf entfernten Heim überhaupt erhielt, ist der Hartnäckigkeit ihres Sohnes zu verdanken.
Doch damit seien längst nicht alle Probleme vom Tisch, sagt Sven Bastorf: „Der neue Pflegeplatz muss ja auch finanzierbar sein, denn das Pflegeheim ,An den Moorlanden‘ lag preislich im unteren Drittel. In anderen Heimen muss man schnell 300 Euro oder mehr pro Monat zahlen.“ Außerdem benötigten die alten Leute an dem neuen Wohnort einen neuen Hausarzt, Zahnarzt und so weiter. „Und viele Ärzte nehmen keine neue Patienten mehr auf“, beschreibt Bastorf die Problematik.
In Neu Wulmstorf wohnte der Sohn 600 Meter Luftlinie entfernt
Seine Mutter sei noch verhältnismäßig fit und gehe auf andere Menschen zu. Dennoch falle ihr die Eingewöhnung in der neuen Umgebung nicht leicht. „Sie muss sich ein komplett neues Netzwerk aufbauen“, sagt Bastorf. In Neu Wulmstorf wohnte er lediglich 600 Meter Luftlinie von seiner Mutter entfernt. „Da konnte ich mal eben schnell vorbeischauen. Das ist nun nicht mehr so einfach möglich“, so Bastorf.
Wenn das Pflegeheim an den Moorlanden nach der von der IMMAC Holding zugesagten Sanierung unter einem neuen Betreiber tatsächlich wiedereröffnen würde, wären Bastorf und seine Mutter an einer Rückkehr interessiert: „Falls meine Mutter dann noch lebt und ich mir das Heim nach der Sanierung noch leisten kann.“ Wann und ob die Einrichtung wieder als Pflegeheim betrieben werden kann, steht allerdings noch in den Sternen. Eigentümerin und Vermieterin ist die Fondsgesellschaft IMMAC Pflegezentrum Neu Wulmstorf Renditefonds GmbH & Co. KG.
Neu Wulmstorfs Bürgermeister akzeptiert nur ein Pflegeheim
IMMAC hat mitgeteilt, im ersten Quartal 2024 mit den Sanierungsarbeiten beginnen zu wollen, die eigentliche Sanierungsphase werde voraussichtlich etwa acht bis zehn Monate in Anspruch nehmen. Dieser Zeitplan könne allerdings „aufgrund zahlreicher unbekannter Faktoren“ möglicherweise noch Änderungen unterliegen, heißt es in einer entsprechenden Stellungnahme der Fondsgesellschaft.
Neu Wulmstorf Bürgermeister Tobias Handtke, der sich vehement, aber letztlich erfolglos für einen Erhalt des letzten Altenheims in seiner Gemeinde eingesetzt hatte, macht noch einmal deutlich, dass die Gemeinde nichts anderes als ein Alten- und Pflegeheim an dem Standort genehmigen werde. „Da haben wir alle eine klare Erwartungshaltung und das wurde der Eigentümerin auch so mitgeteilt“, so Handtke.
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Die gesamte Entwicklung sei tragisch und sehr schmerzhaft für die Betroffenen. Bürgermeister und Verwaltung sowie alle Gruppen und Fraktionen im Gemeinderat sähen die Entwicklung im Pflegesektor mit großer Sorge. Selbst nach einer erfolgten Sanierung des Hauses „An den Moorlanden“, der Fertigstellung des Seniorenwohnparks nördlich der Bahn, die für das kommende Jahr geplant ist und dem noch nicht begonnenen Bau des Senioren- und Pflegeheims am Kirchberg sei der Bedarf an Pflege im Alter in Neu Wulmstorf nicht umfassend gedeckt, so Handtke: „Wir werden uns daher weiter intensiv mit dem Thema beschäftigen.“