Kreis Harburg. Die Tiere waren zwischen Lübberstedt und Eyendorf unterwegs. Naturschutzverband schlägt Zonen für Wölfe vor.
Es war an einem Montagmorgen, kurz nach sechs Uhr morgens, als Peter Petersen sie von seinem Hochsitz aus mit dem Fernglas sichtete. Sie zogen durch die Feldmark bei Gödenstorf im südlichen Landkreis: Wölfe. Ein Rudel mit bis zu zehn Tieren in etwa 300 Meter Entfernung. Der Jagdpächter und Landwirt Petersen hat sein 600 Hektar großes Revier seit mehr als 20 Jahren und erstmals vor fünf oder sechs Jahren Wölfe zu Gesicht bekommen. „Aber ich war wohl der erste, der so viele auf einmal gesehen hat“, sagte er am Mittwoch dem Abendblatt. „Sie sind jetzt massiv da.“
Das Rudel mit neun Tieren wurde aus einem Auto gefilmt
Das hat ein unter Jägern verschicktes Video, das auch Petersen erhalten hat, nun erneut dokumentiert. Das Rudel, das aus einem Auto gefilmt wurde, läuft über ein Feld und quert dann eine Straße zwischen Lübberstedt und Eyendorf. Im Hintergrund zählt der Autor mit und kommt auf neun Tiere.
Wie viele Wölfe insgesamt im Landkreis Harburg unterwegs sind, lässt sich jedoch nur schwer sagen. Nachgewiesen sind zwei Rudel und dazu Einzelgänger, die viel unterwegs sind. Immerhin können die Tiere mehr als 70 Kilometer pro Tag zurücklegen. „Daher fällt es schwer nach Köpfen zu zählen“, sagt Raoul Reding, der Wolfsbeauftragter bei der Landesjägerschaft. Der Verband hat das Monitoring der Tiere im Rahmen einer Kooperation mit dem niedersächsischen Umweltministerium übernommen.
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Wildbiologen: Tiere vermehren sich stark
Deutlich ist für den Wildbiologen jedoch, dass die Tiere sich stark vermehren. Seit dem Jahr 2000, als erstmals wieder Welpen in Deutschland geboren wurden, hat sich eine Wachstumsrate von mindestens 32 Prozent pro Jahr ergeben. Gezählt werden dabei nur Rudel, Paare und Wölfe, die über Monate standorttreu sind. Der Zuwachs könnte also noch höher liegen.
Dennoch „war es im Landkreis Harburg bislang relativ ruhig, wenn man auf die Zahl der gerissen Nutztiere schaut“, sagt Svenja Oßenbrügge, eine der drei Wolfsberater des Kreises. Der Heidekreis und der Landkreis Lüneburg seien stärker betroffen, weiß die Umweltpädagogin, die im Wildpark Schwarze Berge arbeitet, wo fünf Wölfe gehalten werden. Auch Landwirt Petersen hat bislang keine Klagen von Tierhaltern vor Ort gehört. „Wir müssen in unserer Region wohl einen guten Wildbestand haben“, folgert der Landwirt.
Kreisjägermeister Norbert Leben jedoch hält eine Reaktion auf die wachsenden Wolfsbestände für dringend notwendig- „Als Jäger gehen wir davon aus, dass jedes Lebewesen seine Daseinsberechtigung hat. Es ist aber mehr als an der Zeit, dass wir uns ernsthaft Gedanken darüber machen, wie wir den Wolfsbestand regulieren“, sagt er. Schließlich werde auch bei Dam- und Rotwild oder Wildschweinen eingegriffen. „Bei den Wölfen aber tun wir so, als ob wir ein solches Regulativ nicht brauchen.“
„Regulierung der Wölfe ist unumgänglich“
Bei der VNP Stiftung Naturschutzpark Lüneburger Heide sieht das der Kaufmännische Leiter Marc Sander ähnlich. „Wir haben uns frühzeitig und eindeutig Ende Februar 2019 zum Thema Wolf positioniert und uns festgelegt“, sagt Sander. Der Wortlaut: „Um eine Freilandtierhaltung und damit die Pflege und Entwicklung der historischen Kulturlandschaft im Naturschutzgebiet Lüneburger Heide nachhaltig gewährleisten zu können, ist eine Regulierung der Wölfe unerlässlich.“ Die Konsequenz: Wölfe müssen nach Ansicht des VNP künftig geschossen werden können.
Doch derzeit ist die Rechtslage eindeutig. Das absichtliche Stören, Fangen und Töten von Wölfen ist verboten, wie die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf klarstellt. Die Tiere sind nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU streng geschützt. Der vorsätzliche Abschuss eines Wolfes ist damit eine Straftat und wird mit Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren geahndet. Darüber hinaus drohen jagdrechtliche Konsequenzen wie der Entzug des Jagdscheines.
VNP fürchtet um die Sicherheit von Heidschnucken und Ziegen
Ohne einen Eingriff von Jägern fürchtet der VNP, der als einer der größten landwirtschaftlichen Betriebe in Niedersachsen 5200 Hektar Heide und 1000 Hektar landwirtschaftliche Flächen bewirtschaftet, jedoch um die Sicherheit seiner sechs Heidschnucken- und der Ziegenherde mit rund 4000 Tieren. Denn sie werden auf freien Gelände gehütet und kommen nur abends in den Stall. „ Selbst der Schutz durch die Schäfer hat aber bislang nicht verhindern können, dass die Herden tagsüber von Wölfen angegriffen wurden“, versichert Sander.
Abgesehen von der Jagd schlägt der VNP nun sowohl wolfsfreie Zonen als auch im Gegenzug sogar Wolfszonen vor. Etwa in Nationalparks oder auf Truppenübungsplätzen. Das wäre ein Kompromiss, der sowohl Wölfe als auch Weidetiere schützen könnte.
Wölfe in Europa
Der Wolf ist das größte Raubtier aus der Familie der Hunde. Wölfe leben meist in Familienverbänden, die in der Fachsprache Rudel heißen. Die Art war mit mehreren Unterarten in ganz Europa, weiten Teilen Asiens, einschließlich der Arabischen Halbinsel und Japan, und in Nordamerika verbreitet.
Vom 15. Jahrhundert an wurden Wölfe in Mitteleuropa systematisch verfolgt. Im 19. Jahrhundert waren sie in nahezu allen Regionen weltweit durch die Jagd stark dezimiert und in West- und Mitteleuropa fast sowie in Japan vollständig ausgerottet.
In vielen Ländern steht der Wolf seit Ende des 20. Jahrhunderts unter Schutz. In Deutschland wurde im Jahr 2000 erstmals wieder die Geburt von Welpen nachgewiesen. Seitdem steigt die Anzahl der Tiere auch in anderen Teilen Mittel- und Nordeuropas. Im Erfassungszeitraum 2018/19 wurden in Deutschland 105 Rudel, 25 Paare und 13 territoriale Einzeltiere registriert.