Winsen/Lüneburg. Reaktionen auf Entscheidung gegen neue Bahnstrecke sind gespalten. Lüneburg sieht Chance in Neubau, Harburg lehnt ihn ab.

Ein Neubau der ICE-Bahnstrecke zwischen Hamburg und Hannover durch den Landkreis Harburg ist vorerst vom Tisch. Der Bund und das Land Niedersachsen haben sich darauf geeinigt, stattdessen die bestehende Strecke über Lüneburg auszubauen. Zuerst hatte die „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (F.A.Z.) berichtet.

Die bereits geplante Sanierung dieser Strecke soll dafür um drei Jahre auf 2029 verschoben und die Pläne erweitert werden. Dies bestätigte ein Sprecher des Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr, Digitalisierung und Bauen des Landes Niedersachsen.

Bundesverkehrsministerium: Keine Absage an Kapazitätssteigerung

Laut Bundesverkehrsministerium ist die Absage des Neubaus allerdings keine Absage an die Steigerung der Schienenkapazitäten auf der viel befahrenen Strecke: „Die Steigerung soll in zwei Stufen geschaffen werden“, sagt ein Ministeriumssprecher. „Einmal bringt die erweiterte Generalsanierung des Hochleistungskorridors kurzfristig die bestehende Infrastruktur auf den aktuellen Stand der Technik. Durch die Verschiebung des Hochleistungskorridors von 2026 auf 2029 lassen sich dabei zeitgleich auch zusätzliche kapazitive Maßnahmen auf der Strecke realisieren.“

Diese würden die bestehende Überlastung abmildern und damit zu einer deutlichen Verbesserung der Betriebsqualität beitragen. Insbesondere durch Spurplan-Optimierung in den Knoten Lüneburg und Uelzen sowie den Ausbau der Strecke seien spürbare Fahrzeitgewinne möglich. Entscheidend sei die Frage der künftig nötigen Kapazität, um die ambitionierten Verlagerungs- und Klimaschutzziele zu erreichen. Antworten darauf sollen im Dialog mit Land, Kommunen und Bürgern erarbeitet werden.

Lüneburgs Landrat: „Chance genommen für Bahnverbindung mit Zukunft“

Im Landkreis Lüneburg sorgt die Nachricht vom vorläufigen Aus für einen Neubau der Bahntrasse für Verärgerung und Unverständnis. „Mit dieser Absprache bremsen Bund und Land die Verkehrswende deutschlandweit aus. Sie nehmen den Menschen im Landkreis Lüneburg die Chance auf eine schnelle, gute, verlässliche Bahnverbindung mit Zukunft“, sagt Landrat Jens Böther.

Lüneburgs Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch und Jens Böther, Landrat des Landkreises Lüneburg (vorn), und Vertreter der Region schrieben zum Thema Bahntrasse im Dezember einen Brief an Bundesverkehrsminister Volker Wissing.
Lüneburgs Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch und Jens Böther, Landrat des Landkreises Lüneburg (vorn), und Vertreter der Region schrieben zum Thema Bahntrasse im Dezember einen Brief an Bundesverkehrsminister Volker Wissing. © HA | Privat

Die Pendlerinnen und Pendler zwischen Lüneburg, Hamburg und Hannover litten seit Jahren unter den Zuständen auf der verstopften Strecke. „Nun soll auch noch die Generalsanierung um Jahre verschoben werden“, sagt Böther. „Und das alles, weil einige an der überholten Idee Alpha-E hängenbleiben und die Politik es nicht schafft, den Menschen in der Heide die Chancen eines Neubaus zu vermitteln?“

Ausbau der Bestandsstrecke bei Lüneburg enthält auch Umfahrungen

Angesichts der nun getroffenen Entscheidung sieht der Landrat gravierende Nachteile für das künftige Angebot an Bahnverbindungen zwischen Hamburg und Hannover. „Da frage ich mich: Wo bleibt hier das versprochene Deutschland-Tempo?“

Der Landkreis Lüneburg hatte sich zuvor für einen Neubau der Strecke ausgesprochen. Die Varianten für den Ausbau der bestehenden Strecke zwischen Hamburg und Hannover verlaufen teilweise mitten durch den Landkreis. Möglich ist demnach auch eine Umfahrung der Stadt Lüneburg, die bei Radbruch von der Hauptstrecke abzweigt, bei Reppenstedt und Melbeck verläuft und bei Suderburg im Landkreis Uelzen zurückgeführt wird.

Bürgermeister gibt Entwarnung für Neubaugebiet in Reppenstedt

Diese Umfahrung, die auch ein entstehendes Neubaugebiet zwischen Lüneburg und Reppenstedt betreffen würde, ist aus Sicht des Bürgermeisters der Samtgemeinde Gellersen jedoch nun vom Tisch. Niedersachsens Verkehrsminister Olaf Lies habe diese Variante des bestandsnahen Ausbaus auch immer als Neubauvariante angesehen, sagt Steffen Gärtner. Die Familien, die im Neubaugebiet ihr Zuhause planen, könnten daher aufatmen.

„Für die Zukunft des Bahnverkehrs in unserer Region und die angestrebte Mobilitätswende ist dies jedoch ein schwarzer Tag“, sagt Gärtner. Der Bestandsausbau werde nicht die auf der Schiene notwendigen verkehrlichen Verbesserungen bringen. „Zudem werden die Menschen in der Region Lüneburg jahrelang auf einen Schienenersatzverkehr verlagert und in diesem Zuge vermutlich eher auf das Auto setzen.“

Landrat: Neubau würde Potenzial für Nahverkehr in Lüneburg verdoppeln

Die Vergleiche der vier möglichen Varianten für einen Ausbau der norddeutschen Verbindung zeigten deutlich, was die Region brauche, sagt Lüneburgs Landrat Böther. „Diese Entscheidung ist so weit weg von den Zahlen, Daten und Erfordernissen, die allen Verantwortlichen bekannt sind.“

Der Neubau einer Strecke mit vier Gleisen würde nicht nur bis zu 20 Jahre früher Verbesserungen bringen, sondern hätte für Lüneburg zahlreiche Vorteile, meint Böther. „Doppelt so viel Potenzial für den Nahverkehr, die gleiche Zahl an Fernverkehrsverbindungen und halb so viel Güterverkehr.“

Auch für die Heide-Region wäre der Nutzen enorm, so könnten dort mehrere neue Bahnhöfe entstehen. Ohne den Neubau werde die Region dagegen wirtschaftlich und verkehrlich abgehängt, betont der Landrat. „Diese Entscheidung koppelt den Norden vom Bahnverkehr ab.“

Gute Pendelanbindungen nach Hamburg und Hannover seien nötig

„Das ist in mehrfacher Hinsicht wirklich enttäuschend“, sagt Claudia Kalisch, Oberbürgermeisterin der Hansestadt Lüneburg. Schon jetzt bestehe dringender Handlungsbedarf, um für die Menschen in Stadt und Landkreis gute Pendelanbindungen nach Hamburg, Celle, Uelzen und Hannover zu schaffen.

„Die Verschiebung der Generalsanierung bedeutet eine noch längere Wartezeit auf lang ersehnte Verbesserungen“, meint Kalisch. Ein Ausbau der Bestandsstrecke mit einem dritten Gleis durch Lüneburg hätte zudem über Jahre zusätzliche Einschränkungen zur Folge. Auch sie verweist auf die Variantenvergleiche, die ergeben hatten, dass durch den reinen Ausbau nicht die notwendigen Kapazitäten erreichen würden. „Hier wird ganz klar eine politische Entscheidung gegen objektive Fakten getroffen“, sagt die Oberbürgermeisterin. „Hoffen wir, dass diese noch nicht final ist.“

Harburgs Landrat: „Ausbau der Bahnstrecke ist schneller und günstiger“

Im benachbarten Landkreis Harburg ist die Freude dagegen groß. Landrat Rainer Rempe hatte sich stets für einen Ausbau der bestehenden Strecke ausgesprochen, die sogenannte Variante Alpha-E. Dieser Kompromiss war auch das Ergebnis des Dialogforums Schiene Nord im Jahr 2015.

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„Ich freue mich sehr, dass es eine Einigung zwischen Bund, Land und Deutscher Bahn über die Bahnstrecke Hamburg – Hannover gibt“, sagt Rempe. Die Generalsanierung biete die Chance, zeitnah zusätzliche Kapazitäten auf der Strecke zu schaffen. Eine leistungsfähige Schieneninfrastruktur sei nicht nur für den Fern- und Güterverkehr, sondern auch für viele Pendlerinnen und Pendler von größter Bedeutung.

Die Weiterverfolgung der Neubaustrecke hätte aus Sicht des Landrats zu immensen Nachteilen für die Region geführt, wie zerstörte Naturräume und erhebliche Einschnitte in die Lebensqualität vieler Menschen. Ob nach der Generalsanierung weiterer Bedarf an zusätzlichen Schienenkapazitäten besteht, werden man dann sehen müssen.

Seevetals Bürgermeisterin ist vorsichtig optimistisch

Ähnlich positiv wird die Nachricht vom mutmaßlichen Aus für einen Neubau der Bahnstrecke in der Gemeinde Seevetal gesehen. Hier sollte ein Abschnitt der Trasse, die in der Diskussion stand, verlaufen.

Noch liege ihr keine schriftliche Erklärung vor, sagt Bürgermeisterin Emily Weede. „Die Zeichen stehen jedoch offensichtlich auf ‚Grün‘ für den Erhalt unserer wunderschönen Gemeinde, für die Lebensqualität der hier lebenden Menschen und für eine Verbesserung des Bahnverkehrs auf der Bestandsstrecke.“

Emily Weede, Bürgermeisterin der Gemeinde Seevetal, warnt mit einem Protestkreuz vor den Neubauplänen der Deutschen Bahn, hier im Helmstorfer Moor.
Emily Weede, Bürgermeisterin der Gemeinde Seevetal, warnt mit einem Protestkreuz vor den Neubauplänen der Deutschen Bahn, hier im Helmstorfer Moor. © HA | Hanna Kastendieck

Bei vielen Aktionen in den vergangenen Monaten hatten sich Menschen aus der Gemeinde gegen einen Neubau gestellt. „Die Gefahr einer die Gemeinde durchschneidenden Eisenbahntrasse für ICE und schwere Güterverkehre scheint gebannt zu sein“, sagt Weede. Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre mit der Deutschen Bahn werde man das Verfahren aber weiter kritisch begleiten.

Betroffener Milchbauer atmet vorsichtig auf

Ein potenziell von der Neubaustrecke durch Seevetal Betroffener atmet schon einmal auf: Landwirt Henning Wübbe-Behr hat seinen Milchhof direkt neben der bestehenden Strecke in Glüsingen. Die Neubaustrecke würde sich direkt über sein Land und sogar durch seine Betriebsgebäude an die bestehende Trasse annähern, um sich in Rönneburg mit dieser zu vereinigen. „Ich bin erst einmal erleichtert, dass es nicht dazu kommt“, sagt er. „Allerdings glaube ich nicht, dass der Plan völlig vom Tisch ist. Die Vergangenheit hat uns gezeigt, dass solche Vorhaben sehr schnell erneut aufgegriffen werden.“

Naturschutzbund NABU setzt auf die Lösung Alpha-E

Der NABU Niedersachsen begrüßt die Entscheidung ausdrücklich, mit Alpha-E gebe es bereits andere Lösungen als den Neubau. „Dies ist ein vernünftiger Schritt, welcher dazu beiträgt, dass Naturflächen erhalten bleiben und eine Zerschneidung der Landschaft vorerst abgewendet wurde“, sagt der Landesvorsitzende Dr. Holger Buschmann.

Die Lösung Alpha-E sei schon vor einigen Jahren von einer breiten Mehrheit getragen worden. „Es braucht keine Naturzerstörung, nur um ein paar Minuten mehr Zeitgewinn zu realisieren.“ Für die weiteren Planungen bedürfe es einen weiteren Dialogprozess, an dem auch die Umweltverbände wieder stärker mit eingebunden werden müssen.

Bahn begrüßt Kompromissvorschlag

Die Deutsche Bahn hatte ursprünglich auf die Neubau-Variante gesetzt, war jedoch nicht nur im Landkreis Harburg auf Widerstand gestoßen, sondern auch im Heidekreis und bei der niedersächsischen Landesregierung. „Wir begrüßen, dass endlich Bewegung in die seit Jahren festgefahrene Diskussion über die erforderliche Ertüchtigung der bestehenden Schieneninfrastruktur und den dringend notwendigen Ausbau der Kapazitäten auf der Schiene in Niedersachsen gekommen ist“, sagt Ingrid Felipe, Infrastruktur-Vorständin der DB Netz AG. „Niedersachsen braucht dringend zusätzliche Spielräume auf der Schiene, für die Verdoppelung der Fahrgastzahlen bis 2030 genauso wie für die Erhöhung der Gütertransportquote auf 25 Prozent.“