Buchholz. Haus der 14-köpfigen Familie soll abgerissen werden. Woran die Suche nach Ersatz bisher scheiterte – und was der Bürgermeister sagt.
Eine Sinti-Familie, die sich in ihrer Heimatstadt Buchholz stigmatisiert fühlt und den Verlust ihrer Wohnung fürchtet. Und ein Bürgermeister, der sich um Verständnis und eine neue Bleibe für diese Familie bemüht – das ist die Konstellation einer Geschichte voller Konflikte, die keinen Gewinner kennt.
Sie beginnt bei einem Gründerzeithaus in Buchholz, wie es nicht mehr viele gibt. Vom Bahnsteig der Schnellzugstrecke Hamburg-Bremen auf der anderen Straßenseite schallen Lautsprecheransagen herüber. Von der Rückseite des Hauses, auf dessen Hof zwei Wohnwagen stehen und kleine Kinder spielen, geht der Blick auf eine scheinbar idyllische Wiese, unter der die hochgiftigen Hinterlassenschaften der einstigen Schwellenfabrik der Rütgerswerke schlummern.
Hier, in einem Haus, das sich im Besitz der Stadt Buchholz befindet, wohnt seit 18 Jahren die nun 14-köpfige Familie Punde.
Sinti-Familie in Buchholz: Warum spielt das Punde-Trio kaum noch öffentlich Musik?
Das Familienoberhaupt, der 74-jährige Walter Punde, und sein Sohn Emanuel, genannt Dani, haben zum Kaffee eingeladen. Warum, fragt die Abendblatt-Reporterin, spielt das von Kennern hochgelobte Punde-Trio, das schon mehrfach in der Empore auftrat, kaum noch öffentlich Musik? Warum haben sich die Pundes so zurückgezogen?
Für Walter Punde ist die Sache klar: „Das hängt mit unserer Herkunft zusammen.“ Die Pundes sind Sinti. Und fühlen sich in Buchholz schlecht behandelt. „Wir haben große Probleme“, so der Senior, der vor Kurzem einen Schlaganfall erlitten hat. Ihr Wohnhaus sei in einem desolaten Zustand, die Stadt habe dafür nur Geld kassiert und renoviere nichts.
Offenkundigen Mängel: Schwarzer Schimmel im Keller, Ratten im Gebälk
Die Pundes sagen, sie hätten lange eine Miete von 3000 Euro für das Objekt gezahlt. Doch das Versprechen auf Beseitigung der Mängel sei nie eingelöst worden. „Schade, dass nichts gemacht wird. Wir fühlen uns hier eigentlich wohl“, sagt Walter Punde. Er blickt zurück auf einen Rechtsstreit, der für ihn und die Seinen nicht gut ausging: Wegen der offenkundigen Mängel – schwarzer Schimmel im Keller, Ratten im Gebälk – habe die Familie zunächst die Miete gemindert und dann deren Zahlung ganz verweigert.
Den Prozess gegen die Stadt Buchholz verlor Familie Punde aber, ihr Anwalt habe Unterlagen zu spät eingereicht. Daraufhin bekamen die Pundes von der Stadt die fristlose Kündigung, nur um als nun Obdachlose wieder eingewiesen zu werden in das städtische Haus, das schon in früheren Jahren als Obdachlosenunterkunft genutzt worden war.
Die Pundes möchten als Familie zusammenbleiben – ganz in der Sinti-Tradition
Der Großfamilie fehlt nun die Sicherheit eines Mietvertrages. Sie befürchtet, bald ausziehen zu müssen. Da die Pundes – ganz in der Sinti-Tradition – darauf bestehen, im Familienverbund zu bleiben, ist es für sie nahezu unmöglich, auf dem freien Markt eine neue Bleibe zu finden.
Walter Punde hat fast schon resigniert. Er erzählt seine Lebensgeschichte als die eines historisch interessierten Menschen, der sich zeitlebens gegen Ausgrenzung, die eigene und die seines Volkes, gewehrt hat. Als Sohn eines deutschen Kapitäns zur See und einer Sinti in Köln geboren und aufgewachsen, absolvierte er eine Kfz-Lehre. Er arbeitete in verschiedenen Berufen, machte sich dann als freier Möbelrestaurator selbstständig.
Sinti-Familie in Buchholz: Eine Heimat, in der man sich zunehmend fremd fühle
Seit 58 Jahren lebt er in Buchholz. „Hier sind meine Kinder und meine Enkelkinder zur Welt gekommen, Buchholz ist für uns Heimat“, sagt er. Aber eine Heimat, in der er sich zunehmend fremd fühle: Üble Gerüchte seien über ihn verbreitet worden, „das sind Zigeuner, denen kann man doch nicht teure Möbel anvertrauen“, hat er über seine Tätigkeit als Restaurator gehört.
Selbst die Kleinsten der Familie würden gemobbt, nicht zu Geburtstagsfeiern eingeladen und in der Schule gehänselt. Dabei hätten weder er noch seine Kinder und Kindeskinder sich jemals etwas zu Schulden kommen lassen: weder Vater Walter noch Sohn Emanuel „Dani“ Punde, der als Gärtner arbeitet, noch sein Bruder Gerd, „Kiki“, ein Musiklehrer, noch Walter „Romano“ Punde, ein Busfahrer.
„Bei Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Nazi-Regimes, da durften wir spielen“
Alle drei Söhne sind in der Musikszene anerkannte Multiinstrumentalisten. „Bei Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Nazi-Regimes, da durften wir spielen, aber im Alltag haben wir immer um unsere Rechte kämpfen müssen“, sagt Walter Punde. Unter der schlechten Wohnsituation habe letztlich auch die musikalische Entwicklung des Punde-Trios gelitten, das lange nicht gemeinsam proben konnte.
An Bemühungen seinerseits, für sich und seine Angehörigen ein angemessenes Zuhause zu schaffen, habe es nie gefehlt, sagt Walter Punde. Doch immer wieder seien ihm Steine in den Weg gelegt worden. Punde erzählt davon, dass er aufgrund seiner Bedürftigkeit Fördermittel vom Land Niedersachsen für den Wohnungsbau zugesagt bekommen und ein Grundstück in Erbpacht im Buchholzer Ortsteil Seppensen für seine Familie gesichert habe.
Die wohl einzige Sinti-Familie in Buchholz, die sich offen zu ihrer Herkunft bekennt
Doch der bereits zugesagte Kredit für den Hausbau sei plötzlich zurückgenommen, das Grundstück an andere vergeben worden, so Punde. Er berichtet von grundlos befristeten Mietverträgen in Abbruch-Immobilien, davon, dass seine Familie mit einem Neugeborenen wochenlang im Zelt hausen musste, von Missachtung und Grenzüberschreitungen. Sein bitteres Fazit: „Man will uns hier nicht haben.“
Die Pundes sind die wohl einzige Sinti-Familie in Buchholz, die sich offen zu ihrer Herkunft bekennt. Walter Punde liebt es, sein Wissen zu teilen: Sinti – das ist ein Volk, das aus dem heutigen Pakistan stammt und hinduistischen Glaubens war, dessen Sprache, das Romanes, auf dem alten Sanskrit beruht und das seine eigenen Lebensformen hat, die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geschützt sind.
„Ich bin kein dummer Zigeuner“
Bei ihrer Einwanderung in den westeuropäischen Kulturraum im Mittelalter galten Sinti als vogelfrei – eine der Erklärungen dafür, warum sie lange die mobile Lebensweise bevorzugten. Die Roma, eine Abspaltung der Sinti, unterstellten sich dem Schutz des Papstes in Rom und schlossen sich der Katholischen Religion an, so Walter Punde. Die meisten von ihnen leben heute im osteuropäischen Raum, doch einige auch in der Stadt Buchholz. Punde senior kennt sie alle. „Ich bin kein dummer Zigeuner“, sagt er von sich. Vielmehr gehörte er lange dem Vorstand des Landesverbandes deutscher Sinti an: „Ich habe Wirtschafts- und Wohnungsbauberatung für unser Volk gemacht, damit unsere Leute rauskommen aus Lagern und anderen Notunterkünften“, berichtet er.
Doch nun ist er selbst in Not: Walter Punde wirft der Stadt Buchholz „aktive Vertreibungspolitik“ vor. Woher das Misstrauen gegen Andersartige komme, sei ihm ein Rätsel. „Bloß weil es einen Adolf Hitler gegeben hat, kann ich doch auch nicht sagen, dass alle Deutschen Nazis sind. Genauso wenig sind alle Sinti und Roma Kriminelle“, so Punde. Er möchte mit seiner vielköpfigen Familie nur eines: menschenwürdig und sicher leben. Und natürlich auch üben können, denn trotz der großen Begabung der musikalischen Pundes – regelmäßiges, gemeinsames Proben müsse trotzdem sein.
Die Stadt Buchholz erhebt schon seit längerem keine Miete mehr
Jan-Hendrik Röhse, Bürgermeister von Buchholz, hat Gespräche mit den Pundes geführt. Doch eine Lösung der prekären Wohnsituation ist derzeit nicht in Sicht. „Über den schlechten Zustand des Hauses besteht Einigkeit“, erklärt das Stadtoberhaupt. Deshalb werde auch seit längerem keine Miete mehr erhoben. Die Stadtverwaltung bemühe sich nach Kräften, ein anderes Haus für die Pundes zu finden.
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Dass die Sinti-Familie in der Vergangenheit benachteiligt und schikaniert worden sei und Versprechen nicht eingehalten wurden, könne er nicht bestätigen. In der Tat habe die Stadt eine Räumungsklage angestrengt und einen Titel erwirkt, sagt Röhse, verschweigt auch nicht, dass der Umgang miteinander schwierig sei und die Stadt mit den Pundes deshalb keinen neuen Mietvertrag angestrebt habe.
Ein Haus für die Pundes zu finden – eine Herkulesaufgabe für die Stadt
Doch das Haus an der Rütgersstraße sei nicht mehr zu retten. Ein anderes von der Stadt angebotenes Haus mit großem Grundstück sei von Familie Punde gerade abgelehnt worden, weil es als zu klein empfunden werde. Die Familie wolle nun zunächst im Haus in der Rütgersstraße bleiben. Die Stadt sei interessiert daran, die Pundes anders und besser unterzubringen. Das marode Haus solle abgerissen und der entstehende Platz für Container zur Unterbringung von Flüchtlingen genutzt werden.
Eine Bleibe für die Pundes zu finden, dies in geeigneter Umgebung auf einem ausreichend großen Grundstück im Buchholzer Raum, ist eine Herkulesaufgabe für die Stadtverwaltung. Doch Röhse verspricht: „Wir werden uns weiter um eine vernünftige Lösung bemühen.“